Roboter als Staatsbürger
Seite 2: Paradoxerweise geht die "Überwindung des Menschen" von Staaten und Führern aus, die in einem mittelalterlichen Weltbild leben
- Roboter als Staatsbürger
- Paradoxerweise geht die "Überwindung des Menschen" von Staaten und Führern aus, die in einem mittelalterlichen Weltbild leben
- Auf einer Seite lesen
Auffallend als Zeitsymptom ist, dass praktisch ausnahmslos all jene, die die KI in der Kombination mit Internet und Robotik selbst erfunden haben, dieser Entwicklung gegenüber kritisch bis apokalyptisch eingestellt sind und eindringlich vor den Gefahren warnen, die sie als "Dammbrüche" auch im Selbstverständnis und in der Humanität des Menschen darstellen; und dass die "positiven" Stimmen mehrheitlich von Akademikern kommen, die das Ganze nur von außen kommentieren.
Viele der letzteren vermitteln - wie im November 2017 von KI-Starinvestor und -Kritiker Elon Musk ausdrücklich betont - das Gefühl, eigentlich nur zu reden aus einer akademisch-politischen Korrektheit heraus, aber im Kern keine Einsicht in die realen Prozesse zu haben. Dass dies ein trauriges Zeichen für die heutige Universitäts-Sphäre ist, steht außer Frage. Musk ist allerdings selbst ein typisches Kind der Epoche. Er treibt die Entwicklung etwa mit der Gründung des Unternehmens "Neuralink" zur Direktverschaltung von menschlichem Gehirn mit Maschinen und Künstlicher Intelligenz aktiv voran - warnt zugleich aber davor, dass die Menschheit mit der Künstlichen Intelligenz "den Dämon beschwört". Musk macht vor allem der hohe VUCA-Wert (Verletzlichkeit, Ungewissheit, Komplexität, Ambiguität) der Entwicklung Sorgen.
Weit wichtiger für die Durchsetzung der KI-Robotik-Entwicklung als Star-Investoren, Befürworter oder Warner ist aber die Frage nach der Rolle von Staaten und Vereinten Nationen. Staaten wie China und manche arabische Staaten versuchen mit Macht, das Geschäft an der "menschenähnlichen" Schnittstelle zwischen Robotik und Künstlicher Intelligenz an sich zu ziehen.
Man hat den Eindruck, dass vor allem aufstrebende Schwellenstaaten, die sich dem Westen zunehmend parallel mittels nicht-liberaler und nicht-demokratischer Gesellschaften an die Seite stellen, nicht wissen, wie sie mit dem Verhältnis zwischen neuen Technologien und Menschen, einschließlich Menschenwürde und Menschenrechten (die sie kaum oder ungenügend berücksichtigen), umgehen können und sollen.
Fazit? Einen größeren Gegensatz zwischen orthodoxer Auslegung des Islam und der Aufwertung "transhumanistischer" Technologie zu Menschenwürde wie bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft an "Sophia" durch Saudi-Arabien kann es wohl nicht geben. Die Aktion ist erklärlich vor dem Hintergrund enger politischer Ziele, die hauptsächlich innenpolitisch gelten: der angestrebten medialen "Modernisierung" des saudi-arabischen Wahabismus zu einem "moderaten Islam", wie Kronprinz Mohammed bin Salman im Oktober ankündigte. Er benutzt diesen Slogan allerdings vor allem zur Eliminierung von Gegnern und zur Festigung eigener Macht. Um wie viel weiter als die Festigung innerer Führung in solchen tagespolitischen Ränkespielen die Durchbrüche formal-juridischer Vermenschlichung Künstlicher Intelligenz für die ganze Menschheit gehen, ist diesen Herrschern alter Gottesgnaden nicht bewusst.
In der Tat: Das für die heutige Epoche grundlegende Paradox ist, dass die "Überwindung des Menschen" von Staaten und Führern ausgeht, die in einem mittelalterlichen Weltbild leben, das sich mit der humanoiden Hypertechnologie von morgen verbindet - und zwar ohne Zwischenschritt.
Das kann die westlichen offenen Gesellschaften, die in der Welt immer mehr in die Minderheit geraten, etwa mit einem Europa, das in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nur mehr 5% der Weltbevölkerung stellen wird, nur bedenklich stimmen. Denn mit Aktionen wie der Verleihung der Staatsbürgerschaft an Roboter werden Grunderrungenschaften wie Aufklärung und Humanismus, die die vom demokratischen Westen dominierte Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg prägten, von aufstrebenden Drittstaaten in der Grundtendenz eher untergraben als gefestigt oder gar transkulturell angepasst.
Und das ist nur ein Teil des Puzzles, das auch in der Technik-Mensch-Konvergenz einen absteigenden Westen und ein desillusioniertes Europa zeigt, dessen Errungenschaften gegen es selbst gewendet werden. Der durch Saudi-Arabien geschaffene Präzedenzfall wird sich auch auf Europa auswirken: Auch Deutschland wird schon bald nicht umhin kommen, Fragen nach der Staatsbürgerschaft für Künstliche Intelligenz und Roboter per Gesetz zu regeln.
Was dazu als Vorlauf nötig ist? Kontinentaleuropa muss gerade nach dem Brexit dringend eigene "Institute für die Zukunft der Menschheit" gründen, so wie das gleichnamige britische Institut an der Universität Oxford, um Gegengewichte zum wenig bewussten, aber wachsenden Einfluss nicht-offener Gesellschaftsmodelle zu schaffen, die in Spitzentechnologie, Medien und akademischer Sphäre global immer stärker Einfluss nehmen.
Ein Beispiel, das Mut macht? Die Regierungserklärung von Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet vom September 2017, in dem dieser die Einrichtung eines neuartigen Instituts zur Reflexion und Antizipation Künstlicher Intelligenz fordert, geht in die richtige Richtung - mit Vorbildwirkung für Deutschland, den deutschen Sprachraum und andere europäische Staaten.
Roland Benedikter ist Co-Direktor des Centers for Advanced Studies von Eurac Research Bozen, dem Forschungsflaggschiff der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, Forschungsprofessor für Multidisziplinäre Politikanalyse am Willy Brandt Zentrum der Universität Wroclaw-Breslau, Polen, und Affiliate Scholar des Institute for Ethics and Emerging Technologies Hartford, Connecticut. Kontakt: rolandbenedikter@yahoo.de.