Rudi Dutschke: die Kraft der Worte
Seite 3: Mehr als ein revolutionärer Oberlehrer vor dem dummen Volk
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- Der "Stalinismus der SPD"
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In einem seiner Briefe an Ernst und Karola Bloch gestand Dutschke offen ein, dass er nach seiner eigenen Meinung ohne das "Bloch'sche Moment" wie "alle anderen Agitatoren" gewesen wäre. "Nahziel und Fernziel" waren in Rudi Dutschke selbst durch die Einheit von Person und Sache vermittelt, dem was Dutschke sagte, wer er war und was er tat. Nur das macht sein gar nicht so unerklärliches "Charisma" aus. Er steht für das Antlitz des "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", der historisch noch immer auf der Tagesordnung steht.
Der Zeithistoriker Günter Bartsch urteilte über Dutschke, "seine Person" sei "in den Jahren 1964-68 zum Knotenpunkt aller sozialen Bewegungen" geworden, "die er auf originelle Weise miteinander verschmolz. Dergleichen gab es bisher nur einmal: bei Marx." Der Vorrang der freien Rede und des Gespräches gegenüber der Schrift, so wird in Platons Phaidros ausgeführt, liegt darin begründet, dass sich die Wahrhaftigkeit einer Lehre nur im Individuellen bewähren kann, in einer konkreten Situation und an einem je Einzelnen, denn nur der Dialog entspricht dem dialektischen Wesen der Welt. Dutschkes lebendiger Marxismus pfropfte sich der sozialen Wirklichkeit nicht auf, vielmehr drückte sie sich in ihm aus.
Die andere Seite des Dialogs ist das Zuhören. In der Fernsehgesprächsrunde des ORF 1978 mit dem Publizisten Matthias Walden und dem Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer macht Daniel Cohn-Bendit eine Bemerkung, mit der er versucht, seinen Eindruck, Dutschke verstünde den Dialog mit diesen politischen Kontrahenten viel besser als er selbst, auf den Punkt zu bringen.
Er sagt: "Es gibt halt ‘ne Kommunikation - der Rudi ist da - also ich bewundere Dich manchmal... er vermittelt und vermittelt." Dutschkes Antwort darauf ist wieder einmal vielsagend: "Für den Christen da gibt’s keine Vermittlung, da gibt es noch Hören - und das muss man können". Die geschichtliche Selbstreflektion der Aufklärung im Marxismus führt zu Dutschkes Einsicht von der "Tiefenidentität von Christentum und Sozialismus".
Wie für Sokrates ist ihm der Dialog Mäeutik, ein Hebammendienst an der Wahrheit. "Unter Aufklärung verstand Rudi nicht, dass ein paar revolutionäre linke Oberlehrer dem dummen Volk die Wahrheit einpaukten, unter Aufklärung verstand Rudi eher einen gemeinsamen Lernprozess von unwissenden Menschen mit brüderlicher Grundhaltung.
Wie alle großen Lehrer hat Rudi sich selbst immer als Lernenden begriffen", erinnerte sich Fritz Teufel. Und doch wissen wir von Sokrates, der selbst nichts Schriftliches hinterlassen hat, nur von Plato, der uns dessen Dialoge in seinen Schriften überlieferte.
In einer Fernsehdokumentation von Roman Brodman über Ernesto Che Guevara, wendet sich Dutschke direkt an den ermordeten Revolutionär: "Warum bist du diesen Weg gegangen? Nach Bolivien. War das der Weg, um fertig zu werden mit einer kubanischen Katastrophe - oder Tragödie? Warum bist du nicht nach Mexiko gegangen, um dich hinzusetzen, um eine Arbeit zu schreiben, um klarzumachen für die nächsten Generationen, wie die sich auf dem revolutionären Kampf für den Kontinent hingeben müssen? Was die Voraussetzungen sind, revolutionsstrategisch - langfristig?"
Gleich nach der Sendung notiert Dutschke in sein Tagebuch "Mehrere Genossinnen riefen an, ging um die Guevara-Sendung...". Man habe ihm unterstellt: "der will nur noch schreiben". Dutschkes eigene "Revolutionstheorie", gehört nach Bartsch "nun zu den ständigen Gärstoffen unserer Epoche". Auch wenn er sich nicht in den Aktionismus flüchtete, hingesetzt und eine zusammenhängende größere Arbeit geschrieben hat er nicht darüber. Sie muss aus Wort, Erinnerung, Bild und Ton präzise rekonstruiert werden und durch Hören - "das muss man können".