Rücksturz in das Mittelalter

Seite 2: Verwehte Kategorien des Strafens

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Unter Berufung auf die höchste Rechtssprechung des Landes tröstet uns eine Website amerikanischer Strafrechtsverteidiger: „But, as a general rule, humiliation isn't cruelty.“ Amerikanische Semantik ist inzwischen allerdings selbst eine Gefahr. Ex-US-Präsident Bush präsentierte in seinem Antiterrorkrieg "Waterboarding" als unentbehrliches Mittel gegen terroristische Verschwiegenheit, so als müssten wir neu begreifen, was Folter alles nicht ist. Was Bush Recht war, erschien Obama zwar nicht mehr billig, aber die staatlich angezettelte Begriffsverwirrung steckt noch tief in den Knochen.

Ob Demütigungen als Grausamkeit angesehen werden können, ist keine Frage bloßer bzw. rabulistischer Semantik oder nur abhängig vom Standpunkt des Betroffenen. Eine vom Strafrichter gebuchte Nacht im Wald für den, der just da Kätzchen ausgesetzt hat, kann auch objektiv als unangemessener, wenn nicht – je nach Bedingungen - grausamer Eingriff in die körperliche Integrität gelten. Fataler noch ist der strafrechtliche Kategorienfehler, der sich über das immer noch wache, so durch und durch untaugliche Talionsprinzip in das Denken einschleicht. So „süß“ die Kätzchen gewesen sein mögen und so schändlich der Tierquäler ist, so kann doch deren Leiden nicht zum Maßstab menschlichen Leidens in der Strafe werden.

Demütigungen haben in einem humanitär nicht völlig ahnungslosen System der Ahndung von Verbrechen nichts zu suchen. Winfried Hassemers aktuelleres Plädoyer für die Würde des Menschen, die der Straftäter in der Strafe nicht verlieren darf1, scheint bei einigen amerikanischen Gerichten den Status des Selbstverständlichen zu verlieren. Dabei gehört dieses Wissen zum Kernbestand der abendländischen Selbstaufklärung über den so existenziellen Umstand des Strafens.

Hegel ging sogar so weit, die Spezial- und Generalprävention abzulehnen. Der Mensch dürfe nicht zum Hund werden, gegen den man den Stock hebt. Er bleibe in der Strafe ein freies Subjekt, das nicht instrumentalisiert werden dürfe. Dass auch jenseits der neueren amerikanischen Praxis die bestehenden Strafvollzugsysteme von Demütigungen erfüllt sind und seien es die der Disziplinierung durch eine bürokratische Ordnungsstruktur, die elementare Lebensvollzüge von Genehmigungen und zahlreichen Gängeleien abhängig macht, ist nicht erörterungsbedürftig. Jede Strafhaft ist geeignet, die Elastizität menschlichen Willens über das Erträgliche hinaus zu strapazieren. Ob also Strafe sein muss, bleibt jedenfalls weiterhin erörterungsbedürftig, wenn die Würde des Menschen in ihrer vollen Bedeutung gelten soll.

Ugly in Pink

Im „kreativen“ Department der US-Justiz riskiert jeder Täter seinen Einzug in ein großes Spiegelstrafengefängnis. Der Richter, nicht der Gesetzgeber, wird jetzt zum Gestalter der Strafe. Das ist undemokratisch und daher illegitim. Judge Dredd äschert im gleichnamigen Film das Fahrzeug eines Verkehrssünders unmittelbar nach dessen Festnahme ein. Jugde Dredd ist die Ikone der vom Stammtisch ersehnten Schnellverfahren, in denen Erkenntnis und Vollstreckung nahtlos ineinanderübergehen.

Fantasie? Die dreizehnjährige Kaytlen Lopan wurde angeklagt, die Locken einer Dreijährigen in rüder Weise abgeschnitten zu haben. Lopan erhielt einen Straferlass dafür, dass sie sich gleich im Gerichtssaal ihren eigenen Pferdeschwanz abschneiden ließ. Der Gerichtsraum ist nicht mehr auf das Erkenntnisverfahren reduziert, sondern hier wird gleich vollstreckt. Wir hätten diese Praxis eher in die Zeit der chinesischen Kulturrevolution verortet, wo Demütigung und Gehirnwäsche maßgebliche politische Instrumente waren, den Machtpol wiederherzustellen. Denn letztlich ging es hier nicht um Menschen, sondern um Systeme, die sich in aller Finsternis reproduzieren.

Jonathan Turley, Rechtslehrer an der George Washington University betrachtet solche Richter als „Little Cesars“. Der "Haarschnitt-Richter" ist allerdings selbst von der Mutter angezeigt worden, die ihre Tochter im Gerichtssaal nicht aus Überzeugung, sondern aus der Einschüchterung heraus zwangsfrisierte. Sollte der Richter bestraft werden, bekommt er sein eigenes Schild „Little Cesar“ verordnet, ganz in der sadomasochistischen Logik von Kafkas Strafkolonie, dass der Strafende sich schließlich selbst zum Delinquenten macht.

Das neue metaphorische Strafen ist Teil eines Abschreckungssystems das dem Geist, besser Ungeist des Prangers entstammt. Amerika kennt dieses Modell aber schon länger als Teil der Strafvollzugs. Joe Arpaio, US-Sheriff in Arizona, ist der Mann für´s Grobe, für staatliche Sanktionen, die sich vor allem durch eines auszeichnen: Gemeinheit, Zynismus, Herabwürdigung der Delinquenten. "Die Frauen hatten mich gebeten, für die Uniformen schmale und senkrechte Streifen zu verwenden, weil man darin schlanker wirkt. Also habe ich besonders dicke Streifen bestellt und sie waagrecht verarbeiten lassen, damit die Gefangenen aussehen wie fette komische Käfer..." Er lässt Unterwäsche in Pink tragen mit der Begründung: "In dieser Unterwäsche muss sich der härteste Macho wie eine Schwuchtel fühlen." Dass Strafanstalten Sado-Typen anziehen ist also nicht nur das gesicherte Wissen der Sexploitation-Movies.

Das Gefängnis präsentiert sich hier nicht allein als ein Ort der Strafe, sondern der Perversion, die vor allem deshalb hier ihren Namen verdient, weil Gewalt ihre allgegenwärtige Erscheinungsform ist. In den USA wurden zahlreiche legislative und exekutive Maßnahmen ergriffen, um endlich der grassierenden Vergewaltigung von Häftlingen vorzubeugen, die geradewegs als Erfahrungsstandard des Knastaufenthalts anzusehen ist. Erst kommt die Gewalt des Staates und dann die Strafe in der Strafe, von der man nicht glauben mag, dass sie sich zufällig ereignet. Wer ist eigentlich der Vergewaltiger, wenn ein Häftling in einem staatlichen Gefängnis vergewaltigt wird?

Diese Erosion des staatlichen Gewaltmonopols hin zur Selbstjustiz findet ironisch genug inzwischen aber selbst im Gerichtssaal statt, während wir doch vermuteten, uns hier im Zenith gerechter Machtausübung zu bewegen. Richter Joe Brown eröffnete Raubopfern den Zugang zur Wohnung des Räubers. Hier durften sie, streng aristotelisch maßnehmend, sich Werte in eben der Höhe aneignen, die ihren Verlusten entsprach. Die kulturell imprägnierte "Lonely Avenger"-Ideologie, die kategorisch weiß, was Gerechtigkeit ist, lässt sich das an den Staat übertragene Gewaltmonopol wieder zurück übertragen. Der Western wird von der Justiz geadelt.

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