Rücksturz in das Mittelalter

Seite 3: Strafen als Selbstbeschreibung des Strafrechtssystems

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Dem Marquis de Sade kann man viele hässliche Dinge nachsagen. Sicher aber nicht, dass er unkreativ im Entwurf von immer neuen Strafen und Foltern gewesen wäre. Um in der Semantik zu bleiben: Er zermarterte sich das Hirn, um wirklich auch noch die - nach seinem Dafürhalten - perverseste Phantasie wenigstens literarisch umzusetzen. Die Strafjustiz bis hin zum Mittelalter war mit keinem geringen Teil seiner Straffantasien d´accord. In der Neuzeit wird das Strafen "fantasielos". Das Grau der Knäste und ihr Lebenszeitdiebstahl sind das Wesen des modernen Strafvollzugs. Das ist nicht nur Teil eines Gerechtigkeitsmodells, das von der Tat abstrahiert und auf den Täter umstellt, sondern auch ein Ausdruck des fragilen Selbstverständnisses aufgeklärter Gesellschaften, wenn sie auf der Suche nach der Wiederherstellung der verlorenen Gerechtigkeit sind.

Von dieser Scham des Strafenden ist das Strafen à l'américaine weit entfernt. Die amerikanischen Strafen sind metaphorische, laute, medial inszenierte Strafen. Aber nicht nur die Medien drehen sich um die neuen Pranger und Schaulust-Veranstaltungen mit Fremdschäm-Effekten verschiedenster Art. Die neue Inquisition vertraut auf „double bind“: Wer mit seinem Feind Händchen halten muss, wird einem Harmoniemodell unterworfen, das zugleich geeignet ist, die Innenwelt des Täters zu beschädigen. Hier wird die Psycho-Garotte angezogen, um Liebe mit Hass, Ablehnung mit Anerkennung in eine psychologische Dissonanz zu zwingen. Das diskrete Modell der elektronischen Fußfessel war gestern. Verordnet wird nun eine schizophrene Handfessel, die es nicht mehr erlauben soll, die Strafe und den Bestrafenden zu hassen. Wer nicht mehr hassen darf, wird seiner Freiheit über den Akt des Strafens hinaus beraubt, zuvor hieß das: Gehirnwäsche.

Hierzulande sind Bilder unter der Herrschaft des Hakenkreuzes bekannt, in denen ein Anzeigeerstatter mit dem Schild durch die Straßen geführt wurde: „Ich werde mich nie mehr bei der deutschen Polizei beschweren“. In der Kulturrevolution waren solche Beschilderungen von Menschen übliche Praxis der Gestaltung des öffentlichen Lebens. Der Mensch wird hier nicht nur auf eine sich selbst diffamierende Litfaßsäule reduziert, sondern zur Systemanklage.

Wenn also eine Frau mit einem Schild prostituiert wird, das sie als Idiotin ausweist, beschreibt sich das Justizsystem selbst. “Creative Punishing” hebelt mit solchen Bilderstrafen und Strafbildern das System staatlicher Strafzwecke aus. Die westliche Klage über die Sharia, die Konfusion von staatlicher und religiöser Macht, lässt sich in den USA auch noch direkter verorten. In Kentucky bot Richter Michael Caperton Drogentätern an, anstelle der üblichen Ahndung mit einer Freiheitsstrafe zehn Gottesdienste zu besuchen. Hier ist dann die im Westen so sakrosankt beschworene Demarkationslinie zwischen Staat und Kirche explizit überschritten.

Vom Übermaß der Poesie

Wer also vor der Gefahr warnt, das westliche Recht würde im Falle der Islamisierung um sein "proprium" gebracht, möge auch die Amerikanisierung des Strafrechts fürchten, wenn kreatives Richterrecht weiterhin legislative Grundentscheidungen überwuchert. Die demütigende Strafpraxis des texanischen Richters Ted Poe, aka "The King of Shame", ging sprichwörtlich als "Poe-tic Justice" in die Geschichte ein. Es wird dann zukünftig nicht mehr primär um die Frage gehen, welchem Strafrechtssystem der Täter unterworfen ist, sondern welcher Richterpoesie.

Soviel Poesie ist in rechtsstaatlichen Systemen nicht vorgesehen, weil auch der einfache, nicht lyrisch geschulte Leser des Gesetzes seinen Sinn verstehen und voraussehen soll. Unter der Geltung des Grundgesetzes sind solche richterrechtlichen Straffantasien illegitim. Art. 103 Abs. 2 GG verlangt nach Auslegung des Bundesverfassungsgerichts die Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Strafandrohung aus der Sicht des Bürgers - oder auch eines „lesenden Arbeiters“. Der "Normadressat" muss also anhand des gesetzlichen Tatbestandes voraussehen können, ob und in welchem Umfang ein Verhalten strafbar ist.

Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit gilt auch für die Strafandrohung. Zwar wird der Richter durch die Ausgestaltung der Sanktion autorisiert, im Einzelfall eine gerechte und verhältnismäßige Strafe zu verhängen. Hinsichtlich des Maßes der in Frage kommenden Strafe hat aber der Gesetzgeber einen Strafrahmen zu bestimmen, dem sich grundsätzlich das Mindest- und Höchstmaß einer Strafe entnehmen lassen. Dieses simple Prinzip auf der "Kostenseite" der Straftat wird von amerikanischen Justizkritikern vermisst, sodass die Strafandrohung dann auf die zweifelhafte Option reduziert wird: "Probation or humiliation?" Delinquenten würden damit zum persönlichen Spielzeug der Richter, wenn die erstmal ihren Straffantasien nachgeben.

Unter solchen Auspizien hätte sich der Marquis de Sade sicher auch gerne für das höhere Richteramt beworben. Denn die Spielräume, die hier in den letzen Jahren freigeschaufelt wurden, sind sicher noch ausbaufähig. Vielleicht bietet sich dann ein interkultureller Austausch mit noch religiöser orientierten Strafsystemen an, die den Menschen wieder voll in den Griff kriegen. Die Klagen über das Unrecht und die Unmenschlichkeit fremder Rechtsordnungen könnten dann schon bald der Vergangenheit angehören, wenn alle guten Menschen die wenigen bösen mit den Pflastersteinen traktieren, die schon je in die richtige Richtung wiesen.

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