Rückzug des Comandante

Nach Fidel Castros Abtritt herrscht im Ausland gespannte Stimmung, in Kuba selbst entspannte Ruhe. Ein Stimmungsbericht aus Havanna

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Auf diesen Tag haben viele gewartet, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Gefühlen. Nach 49 Jahren hat Fidel Castro Ruz alle Ämter aufgegeben. Vier Tage vor der Wahl des neuen Staatsrates gab der kubanische Revolutionsführer an diesem Dienstag de facto seinen Rücktritt bekannt. "Meinen Mitbürgern, die mir vor wenigen Tagen die immense Ehre haben zuteil kommen lassen, mich ins Parlament zu wählen (...) möchte ich mitteilen, dass ich die Posten des Präsidenten des Staatsrates und Comandante en Jefe weder anstrebe noch akzeptieren werde." Der Satz wurde in internationalen Medien als Ende der Ära Castro bewertet.

Foto von Fidel Castro, das die Zeitung Granma mit dem Brief veröffentlicht hat

In Kuba selbst wurde die Nachricht mit für ausländische Beobachter erstaunlicher Ruhe aufgenommen. Während die Berichte internationaler Medienanstalten vom US-amerikanischen Nachrichtensender CNN bis hin zum deutschen Auslandssender Deutsche Welle beinahe einen Umbruch in Kuba erwarten ließen, ging im Land selbst der Alltag seinen gewohnten Gang.

Fast zwei Jahre lang hatten sich die Menschen hier an Fidel Castros Absenz gewöhnt, seit er die Amtsgeschäfte Ende im Sommer 2006 an seinen fünf Jahre jüngeren Bruder Raúl Castro abgegeben hat. Die Mensaje del Comandante en Jefe, die am Dienstag die gesamte Titelseite der Staatszeitung "Granma" füllte, traf daher zwar auf Interesse der Leser. Mehr aber nicht.

"Bleibe ein Soldat der Ideen"

Erstmals ging Fidel Castro ausführlich auf seinem Gesundheitszustand ein. Nach seinem Abtritt, so heißt es in dem auf Montagnachmittag datierten Brief, habe er einige Zeit gebraucht, um "die völlige Gewalt über meinen Geist und die Kraft zu lesen" wieder zu erlangen. Er gestand damit indirekt die Schwere der Erkrankung ein. Bislang ist nur bekannt, dass der inzwischen 81-Jährige sich im Laufe des Jahres 2006 mehreren Notoperationen unterziehen musste. "Mein Wunsch war es immer, die Pflichten bis zum letzten Atemzug zu erfüllen. Das ist alles, was ich anbieten kann", heißt es in dem Schreiben:

Ich verabschiede mich nicht von euch. Ich möchte weiter als ein Soldat der Ideen kämpfen.

Fidel Castro bei Bekanntgabe des Rücktritts am 19.02.2008

Am Ende des Schreibens fehlte die für den Politiker Fidel Castro übliche Schlussformel "Vaterland oder Tod". Statt dessen schloss Castro seine Mitteilung mit einem einfachen "Danke".

Der Rücktritt Fidel Castros beendet alle Spekulationen über die künftige Führung des Karibikstaates. Vor wenigen Wochen war er zwar noch als einer der 614 Abgeordneten in die Nationalversammlung gewählt worden. Damit hätte dem langjährigen Staatschef theoretisch der Weg in den Staatsrat offen gestanden, dem er seit Einführung der sozialistischen Verfassung 1976 vorstand. Nach Dienstag nun ist klar, dass Fidel Castro, selbst wenn er am Sonntag von den Parlamentsabgeordneten in das 31-köpfige Regierungsgremium gewählt wird, die Leitung nicht mehr übernehmen wird.

Wirtschaftliche statt politische Probleme

Für den Historiker Luis Suárez Salazar hält sich die Überraschung über den Amtsverzicht in Grenzen:

Die "historische Generation", die Generation der Revolution, konnte schließlich nicht ewig die Geschicke des Landes führen. Was wir also erleben, ist ein Generationswechsel.

Dies sei schon bei der Wahl der Nationalversammlung deutlich geworden, von deren Abgeordneten weit über die Hälfte nach 1959 geboren wurde. Dabei finde selbst eine Transition in Kuba statt, sagt Suárez – "auch wenn man das im Ausland nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will". Den "eigentliche Widerspruch" sieht der Geisteswissenschaftler im kubanischen Sozialismus zwischen dem "Zentralismus" und dem "demokratischen Moment":

Ich glaube, dass es nun Zeit ist, den demokratischen Charakter, die demokratische Kontrolle in der Revolution zu stärken.

Was der Historiker Suárez sachlich beschreibt, geben die Menschen auf der Straße emotionaler wieder. Das Ansehen Fidel Castros ist bei der Mehrheit der Kubaner ungebrochen, auch wenn die Unzufriedenheit über die wirtschaftliche Lage in dem Karibikstaat groß ist.

"Wer auch immer auf Fidel folgt, muss die Probleme des Alltags lösen", sagt die Grundschullehrerin Yaneth Berasain González. Die junge Frau führt die Beschwernisse an, die das Land seit zwei Jahrzehnten in unterschiedlicher Intensität plagen: Stromausfälle, Transportprobleme, Mangelwirtschaft. Nach der Öffnung Kubas zum Tourismus vor fast zwei Jahrzehnten bekommen die Menschen den Wohlstand der Ausländer auch noch tagtäglich vorgeführt, ohne selbst teilhaben zu können. Einer Phase relativer wirtschaftlicher Öffnung in den neunziger Jahren folgte die Einschränkung des privaten Kleinunternehmertums.

Kuba ist heute war keine Zwei-Klassen-, wohl aber eine Zwei-Schichten-Gesellschaft: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die nur Zugang zu dem schwachen kubanischen Peso haben. Auf der anderen Seite finden sich jene, die an Devisen gelangen. Die aus dem doppelten Währungssystem entstehenden Spannungen belasten die kubanische Innenpolitik weitaus mehr als politische Einschränkungen, auf die ausländische Regierungen und politische Gruppierungen immer wieder rekurrieren. Trotzdem werden zunehmend auch politische Missstände angesprochen. Seit Raúl Castro im Juli vergangenen Jahres zur Kritik aufrief, sind in Basisorganisationen über eine Million Meinungen zusammengetragen worden. Inwieweit diese Hinweise nun erst genommen und umgesetzt werden, wird über die Stabilität Kubas entscheiden.

Innere Opposition isoliert

Das Unverständnis der politischen Lage Kubas wurde indes auch aus Stellungnahmen von der internationalen Ebene deutlich. Während US-Präsident George W. Bush auf seiner derzeitigen Afrika-Reise in einer ersten Reaktion auf den Rücktritt Fidel Castros einen "demokratischen Übergang" in Kuba einforderte, drängte auch ein Sprecher Brüssels auf die Einführung einer "pluralistischen Demokratie" in Kuba. Dieses Beharren auf einen Systemwechsel wird im Land selbst aber nur von einer Minderheit getragen. Dissidente Gruppen um den Politiker Osvaldo Payá haben trotz massiver Unterstützung aus Washington und Brüssel keine Unterstützer im Land mobilisieren können - was nicht an der Zensur durch die kubanische Presse liegt. Viele Kubaner haben inzwischen freien Zugang zum Internet und können sich über die Gruppen informieren. Dass die Kommunistische Partei Kubas und die Massenorganisationen des Landes das politische Monopol behalten haben, liegt an dem Grundkonsens, die Probleme innerhalb Kubas zu lösen. Oder "innerhalb der Revolution", wie es seit 1959 heißt.

Harald Neuber, Havanna