Russische Band gegen Krieg: "Uns haben rund 70 Prozent der Hörer den Rücken gekehrt"
Kurz nach der Ukraine-Invasion machten Künstler, die Russland verließen, viele Schlagzeilen. Was denken sie ein Jahr später? Ein Gespräch mit Maks Pokrovsky.
Die Alternative-Rockband "Nogu Svelo!" gehört von Anbeginn zu den großen Namen der nachsowjetischen Rockgeschichte. Fünfzehn Studioalben und zahlreiche Auszeichnungen bis zum MTV Russia Award konnten die Musiker seither verbuchen.
Nach dem Beginn der Ukraine-Invasion haben sie beschlossen, nicht mehr nach Russland zurückzukehren und sich stattdessen gegen den Krieg zu engagieren, mit Antikriegssongs, Spendensammlungen, Aufrufen und Konzerte bei der russischen Diaspora. Telepolis hat mit dem Frontmann Maks Pokrovsky über die Situation russischer Musiker im Exil und die Situation der zurückgebliebenen Musikszene gesprochen.
Sie haben von Beginn der Invasion an eindeutig Stellung gegen den russischen Feldzug genommen. Waren Sie zu Beginn unentschlossen, ob Sie das Land verlassen sollen? Ihr Publikum war ja vor allem dort?
Maks Pokrovsky: Nein, das war kein Problem. Erst einmal wegen des Krieges an sich. Aber auch, weil ich persönlich seit 2016 einen Wohnsitz in den USA hatte. Körperlich war ich schon mehr dort, geistig 50/50. Ab dem Kriegsbeginn hörte der körperliche Aufenthalt in Russland auf und der geistige wurde zu einem Problem.
"Diese Leute waren wahrscheinlich keine echten Fans"
Spüren Sie dann keinen Verlust der Verbindung zu Ihren Fans in Russland? Ich meine diese innere Verbundenheit mit dem Nerv des Publikums?
Maks Pokrovsky: Mir wurde erzählt, dass einige Leute in Russland aufgehört haben, uns zu hören. Ich würde aber nicht davon sprechen, dass wir da einen Nerv verloren haben. Diese Leute waren wahrscheinlich keine echten Fans unserer Band und haben auch kaum Konzerte von uns besucht. Ich weiß, das klingt ein bisschen zynisch, aber auch sie behandeln uns damit so.
Mit Fans, die diesen verdammten Krieg auch hassen, würde ich das mit dem Nerv umgekehrt beantworten. Hier haben wir eine neue und sehr starke Verbindung hergestellt. Diese Leute machen sich große Sorgen und brauchen die Bestätigung, nicht alleine zu sein. Hier meine ich sowohl Russen in Russland als auch im Ausland. Und wir haben einen neuen Nerv zu den Ukrainern entwickelt, obwohl wir dort vorher schon viele Fans hatten.
Spüren Sie dann keine Feindseligkeit von Ukrainern gegenüber allem Russischen?
Maks Pokrovsky: Wir haben den Song Ukraine im letzten Sommer veröffentlicht und noch einen zum Thema am Jahrestag des Kriegsausbruchs. Mit einem ukranischsprachigen Refrain. Es gibt auch andere, unschöne Situationen. Aber ich versuche, das zu ignorieren. Es ändert meine Einstellung zu dem, was passiert oder meine generelle Einstellung zu den Ukrainern nicht. Es gibt auch unter den Ukrainern, die pauschal negativ denken, einige, die gut in Europa leben und Pässe von dort haben.
Aber generell verteidigen die Ukrainer ihr Land und die, die weit weg sind, unterstützen es. Selbst denen, die ehrlich etwas Negatives äußern, kann ich nur Mitgefühl und Respekt zollen. Ich muss mich aber vor niemandem rechtfertigen. Als in der ukrainischen Führung jemand erklärte, dass "alle Russen aus Europa vertrieben werden sollten", habe ich dazu offen meine Meinung gesagt und es haben mich viele Ukrainer unterstützt.
Schon vor dem Krieg schrieben Sie immer mehr Songs mit gesellschaftspolitischen Untertönen. Jetzt sind fast alle Ihre Lieder so. Wie reagiert das Publikum darauf?
Maks Pokrovsky: Unsere Lieder hatten immer schon eine soziale Komponente, nur nicht so direkt wie jetzt. Aber Ungerechtigkeit und menschliche Verwundbarkeit hat uns immer schon beschäftigt. Wie viel unseres Publikums geblieben ist, können wir nur schätzen. Nach den Aufrufzahlen unseres neuen Clips haben uns etwa 70 Prozent der Hörer den Rücken gekehrt. Ich würde diese Zahl gerne niedriger schätzen, aber vielleicht will ich es nicht wahrhaben.
Wer ist dann jetzt Ihr Publikum bei Konzerten? Sind es nur russische und ukrainische Migranten? Oder auch Leute, die gar kein Russisch können?
Maks Pokrovsky: Natürlich gibt es bei unseren Konzerten nur wenige, die kein Russisch können. Unser Hauptpublikum sind Russen, Ukrainer und Weißrussen. Während in den USA vor allem solche zuhören, die schon lange ausgewandert sind, sind es in der Türkei oder Serbien solche, die erst kurz im Ausland sind. In Belgrad hatte ich neulich das Gefühl, unser Konzert wäre gerade in Moskau oder Sankt Petersburg.
"Siegel aus der Hand von Attentätern"
Was sagen Sie zur aktuellen russischen Musikindustrie? Haben die Künstler, die jetzt das "Z" der Kriegsbefürworter tragen, Ihren Platz dort eingenommen?
Maks Pokrovsky: Ich war nie ein sonderlicher Fan von vielem russischen Pop oder Rock. Es klang oft nicht authentisch, nach einer ungeschickten Nachahmung westlicher Originale mit widerlichem Gesang. Vielleicht, weil die betreffenden Musiker unaufrichtig waren. Genau das tritt jetzt bei vielen in den Vordergrund. Ich kritisiere aber nicht nur die, die den Krieg unterstützen.
Sondern auch andere, die so tun, als würde er gar nicht existieren. Vom Publikum wollen viele natürlich weiter ihr Leben leben und ihre Feste feiern. Für die braucht es jetzt Hofnarren, deren Rolle diese Z-Darsteller spielen. Viele gute Musiker sind gegangen. Die, die blieben, haben jetzt mehr Arbeit - und viele tun sie gerne.
Aktuell wird viel über eine mögliche Schließung von YouTube in Russland gesprochen. Wird das zum Problem für Sie? Oder werden die Russen das einfach umgehen?
Maks Pokrovsky: Sicher wird das Auswirkungen haben. Das Publikum wird schrumpfen. Wir fühlen uns schon bedrängt. Nach unserem Video zur Ukraine hat sich der Prozentsatz unseres russischen und unseres ukrainischen Publikums aneinander angenähert.
Die russischen Behörden haben sie in das Register der "ausländischen Agenten" aufgenommen. Das ist ja eine Art Stigma als "Volksfeind". Hat Sie das vielleicht verändert oder Ihr Publikum?
Maks Pokrovsky: Nein, nicht viel. Selbst wenn man diesen Status als Qualitätsmerkmal ansieht, ist es ein Siegel aus der Hand von Attentätern. Ja, man hat mich sogar beglückwünscht. Aber ich habe nur geantwortet, dass ich diesen Titel nicht brauche. Ich habe meine finanziellen Angelegenheiten in Russland soweit erledigt, wie ich das vom Ausland aus konnte.
Sie halten sich nicht an die Kennzeichnungspflicht als "ausländischer Agent"?
Maks Pokrovsky: Wir kennzeichnen nicht. Man sollte Putin kennzeichnen, gegen den der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl erlassen hat.