Russische Behörden geben Atom-Entwarnung
Noch am Freitag erklärte der stellvertretende Direktor der russischen Atombehörde, ein Austritt von Radioaktivität aus japanischen Kernkraftwerken sei "unmöglich"
"Die Leute bei uns sind sehr besorgt", meint Dmitri Lisitzyn. Der Umweltschützer leitet die Öko-Organisation "Umwelt-Wache" in der Stadt Juschno-Sachalinsk im russischen Fernen Osten. Die Stadt mit ihren 170.000 Einwohnern liegt nur etwa 1.000 Kilometer von dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima entfernt. Noch hätten die russischen Behörden keine erhöhten radioaktiven Werte in der Luft festgestellt, "doch die Jod-Tabletten in den Apotheken sind schon ausverkauft", berichtet Lisitzyn in einem Skype-Gespräch mit Telepolis. "Wir glauben den Angaben, welche die Behörden machen", sagte der Umweltschützer.
Trotzdem sei die Bevölkerung sehr besorgt, insbesondere weil der Gouverneur der Insel Sachalin, Aleksandr Choroschawin, sich bisher im Fernsehen nicht zu den Folgen der Katastrophe in Japan geäußert hat. Es gehe bereits das Gerücht um, dass der Gouverneur aus Angst vor Radioaktivität die Insel Sachalin verlassen habe.
Die Angst davor, dass der Wind dreht
Eine Gefahr für die 950 Kilometer lange Insel bestehe dann, so der Umweltschützer, wenn der Wind drehe oder wenn, die radioaktiven Partikel in höhere Luftschichten gelangen, wo es oft andere Windrichtungen gibt wie in Bodennähe.
Der Chef des russischen Notstandsministeriums auf der Insel Sachalin, Tajmuras Kasajew, der für die Luftmessungen auf der Insel Sachalin und der Kurilen-Inselgruppe verantwortlich ist, erklärte am Sonntag, das Niveau der Radioaktivität werde von 36 Beobachtungsposten alle zwei Stunden gemessen. "Das Niveau ist normal. Es gibt keine Hinweise für eine Erhöhung." Selbst wenn sich in Japan eine radioaktive Wolke bilden sollte, werden sie nach den Wettervorhersagen für die nächste Woche auf den Pazifik geweht.
Moskauer fatalistisch
Anders als in Sachalin schwankt die Stimmung der Bevölkerung in Moskau zwischen unbesorgt und fatalistisch. Auf die Frage, ob er sich von Radioaktivität aus Japan bedroht fühle meinte ein Mann mittleren Alters gegenüber dieser Zeitung, "das liegt doch 20.000 Kilometer von uns entfernt". Ein junger Angestellter meint, "der Wind bläst doch alles zu den Amerikanern". Und in einer Mischung aus Humor und Fatalismus meinten zwei Mitarbeiterinnen eines Schwimmbads, "wir russischen Frauen haben schon vor nichts mehr Angst."
Dass die Menschen in Moskau noch relativ unbesorgt sind, hat unter anderem damit zu tun, dass das Fernsehen über die atomare Gefahr aus Japan sehr zurückhaltend berichtet. Atom-kritische Experten kommen im russischen Fernsehen nicht zu Wort. Stattdessen lässt man den japanischen Regierungssprecher und Experten der Internationalen Kommission für Atomenergie die Lage erklären. Das russische Fernsehen vermeidet das Wort Kernschmelze. Es wird nur von Problemen bei zwei Reaktoren berichtet, dabei gibt es Kühlprobleme schon bei sechs japanischen Atom-Reaktoren.
"Japanische AKWs gegen alles geschützt"
Noch zurückhaltender sind die Stellungnahmen der russischen Atombehörde Rosatom. Am Freitag Nachmittag behauptete Wladimir Asmolow, einer der stellvertretenden Direktoren der Atombehörde, die Atomkraftwerke in Japan seien heute gegen alles geschützt, "gegen Tsunamis, Überschwemmungen, Tornados, Flugzeugabstürze und Erdbeben," und auf Erdbeben bis zur Stärke zehn ausgelegt. Der Austritt von Radioaktivität sei deshalb auch bei einem starken Erdbeben "nicht möglich".
Aleksandr Lokschin, ebenfalls stellvertretender Direktor von Rosatom, erklärte im russischen Fernsehen, durch das Ablassen von radioaktivem Dampf in die Umgebung des AKWs Fukushima erhöhe sich die Radioaktivität in der Umgebung "nur kurzzeitig", weil die radioaktiven Partikel im abgelassenen Dampf nur eine kurze Halbwertzeit hätten. Am Sonnabend erklärte Rosatom in einer Pressemitteilung, selbst "im schlimmsten Fall" rechne man in Fukushima ähnlich wie bei der Katastrophe im amerikanischen AKW Three Mile Island im Jahre 1979 nur mit einer Teil-Kernschmelze, wobei der Reaktor nicht zerstört werde.
Putin bietet Japan Flüssiggas-Lieferungen an
Ministerpräsident Wladimir Putin hat Japan am Sonnabend Flüssiggas-Gas-Lieferungen angeboten, damit das Land sein Energiedefizit ausgleichen könne. Ein Tanker mit Flüssig-Gas von der neuen russischen Flüssiggasanlage "Sachalin 2" wurde bereits auf den Weg geschickt.
Russland und Japan liegen seit dem Zweiten Weltkrieg im Streit um die Kurilen-Inselgruppe, die jetzt zu Russland gehört, aber von Japan als "nördliches Territorium" beansprucht wird. Putin erklärte, unabhängig davon, dass es mit Japan "verschiedene Probleme" gäbe, sei das Land ein "freundschaftlicher Nachbar" und man werde alles für die Lieferung der nötigen Energie-Rohstoffe tun. Außerdem ordnete Putin an, die Situation genau zu kontrollieren und alle Kräfte vorzubereiten, falls es zu ähnlichen Vorfällen im russischen Fernen Osten kommen sollte wie in Japan.
Die großen Pläne der russischen Atombehörde "Rosatom"
Dass die russische Atombehörde die Katastrophe in den japanischen Atomkraftwerken derart zurückhaltend beschreibt, hat einen einfachen Grund. Rosatom will in nächsten Jahren 28 neue Reaktoren für russische AKWs bauen. Und von diesen Plänen will man sich auch durch die Katastrophe in Japan nicht abbringen lassen.
Geplant sind unter anderem auch der Bau von Atomkraftwerken in Kaliningrad (dem ehemaligen Königsberg) und Weißrussland. Rosatom ist an AKW-Projekten in zahlreichen Ländern beteiligt. Auf der Kundenliste stehen die Ukraine, Bulgarien, Slowakei, Iran, Indien und China. Im November 2007 vereinbarten Siemens und Rosatom eine enge Zusammenarbeit bei Atomprojekten. Gemeinsam wollen die beiden Konzerne den Weltmarkt mit Atomtechnologie versorgen.