Russische Politik mit Zuckerbrot und Peitsche
Der Konflikt zwischen Weißrussland und Russland geht weiter
Mit der Einigung am 31. Dezember konnte Weißrussland noch einen Lieferungsstopp von Gas in letzter Minute abwenden. Dies jedoch zu einem hohen Preis, denn Minsk muss seit dem 1. Januar den doppelten Preis an Gasprom zahlen und gleichzeitig für 2. 5 Milliarden Dollar die Hälfte seiner in den Westen führenden Pipelines an den Erdgasmonopolisten abgeben. Der Konflikt zwischen Weißrussland und Russland geht aber weiter. Weißrussland erhob zum 1. Januar eine Transitgebühr für russisches Öl und Moskau dagegen einen Schutzzoll. Damit versucht Russland seine eigene Wirtschaft zu stärken und seine Nachbarn noch mehr an sich zu binden. Um an dieses Ziel zu gelangen, wendet Russland brachiale, oder wie im Fall der Ukraine, auch diplomatische Mittel an. Doch egal auf welche Art und Weise, das Ziel bleibt dasselbe: der Ausbau der russischen Dominanz auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion.
Für osteuropäische Verhältnisse war es in den letzten Tagen relativ warm in Weißrussland. Mit um die 10 Grad lässt der Winter bisher auch in der "ganz gewöhnlichen Kolchose", wie ein Dokumentarfilm über Lukaschenkos Staat vor einigen Jahren hieß, auf sich warten – wie im übrigen Europa. Trotzdem hätte es den Weißrussen in den ersten Wochen des Jahres kalt werden können, wenn sich am 31. Dezember 2006 nicht doch noch Vertreter der weißrussischen Regierung und des russischen Erdgasmonopolisten Gasprom in allerletzter Minute geeinigt hätten. Beide Seiten schlossen einen Kompromiss, der Weißrussland weiterhin die Versorgung mit russischen Gas garantiert, Gasprom einen höheren Preis pro Kubikmeter sowie die Teilhabe an der weißrussischen Pipelinegesellschaft Beltransgas einbringt und der vor allem Westeuropa eine unbehinderte Belieferung mit dem wertvollen Energiemittel verspricht.
Seit den Weihnachtstagen stritten sich Weißrussland und Gasprom über eine eventuelle Erhöhung des Gaspreises. Gasprom verlangte ab dem 1. Januar 2007 von Weißrussland den vierfachen Preis, statt 47 Dollar pro 1000 Kubikmeter sollte Weißrussland 200 Dollar zahlen, ansonsten drohte das russische Staatsunternehmen mit der Einstellung der Gaslieferungen. Ein Schicksal, dass die Ukraine bereits im letzten Jahr erleiden musste, nachdem sie sich geweigert hatte, den aus Moskau neudiktierten Preis zu akzeptieren. Doch im Gegensatz zu dem südlichen Nachbar, der die nach Westeuropa führenden Gasleitungen während der kalten Tage lediglich nur anzapfte, kündigte die Regierung in Minsk die totale Sperrung der in den Westen führenden Pipeline an. Eine Drohung, die sowohl in der Moskauer Gasprom-Zentrale als auch in Westeuropa für Entsetzen sorgte, da 20 Prozent der russischen Gaslieferungen in den Westen über Weißrussland verlaufen.
Gasprom reagierte sofort auf die Drohung. Man bot den Weißrussen neue Verhandlungsrunden an und senkte den Preis auf knapp über hundert Dollar plus Anteile an der weißrussischen Pipelinegesellschaft Beltransgas. Weißrussland war jedoch mit dem Angebot der russischen Verhandlungspartner weiterhin unzufrieden, vor allem wegen der Forderung nach den Anteilen an Beltransgas, und blieb bei seinem Nein. Darauf sah sich Gasprom-Chef Alexej Miller schon gezwungen, seine europäischen Geschäftspartner vor möglichen Lieferengpässen zu warnen, während in Deutschland die Presse vermeldete, dass die deutsche Gaspromtochter Wingas ausreichend Gas auf Lager habe.
Zu Lieferengpässen oder einer Anzapfung der Gasreserven von Wingas kam es am Ende doch nicht. Kurz vor dem Ablauf des Ultimatums einigten sich Gasprom und Weißrussland auf eine Lösung. Ab sofort zahlt Weißrussland 100 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas und übergibt für 2. 5 Milliarden Dollar 50 Prozent von Beltransgas an Gasprom. Für die ehemalige Sowjetrepublik, die vom Westen geächtet wird, ein hoher Preis, denn neben dem Verlust von Beltransgas wurde bei den Verhandlungen in Moskau auch vertraglich vereinbart, dass ab 2011 Weißrussland den vollen Weltmarktpreis zahlen muss.
Nach dem Streit um das Gas kommt nun der um das Öl
Weißrussland dürften nun schwierige wirtschaftliche Jahre bevorstehen. „Wir stehen vor einem schwierigen und entbehrungsreichen Weg. Wir müssen Maßnahmen treffen, die nicht leicht fallen“, sagte Alexander Lukaschenko, der letzte Despot Europas, bereits in seiner Neujahrsansprache. Dabei dürfte er jedoch nicht nur an den höheren Gaspreis gedacht haben, den Weißrussland nun nach Moskau überweisen muss, sondern auch an weitere wirtschaftliche Streitigkeiten, die zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken herrschen. Denn zwischen den beiden Nachbarn ist nicht nur ein Streit um den Gaspreis entbrannt, sondern auch einer ums Öl.
Seit dem 1. Januar erhebt Minsk eine Transitgebühr für von Russland in den Westen exportiertes Öl. 45 Dollar pro Tonne verlangt Minsk von seinem großen Nachbar, was dem Staat eine jährliche Einnahme von 3.5 Milliarden Dollar einbringen dürfte. Mit der Erhebung dieser Gebühr reagierte Weißrussland aber nicht nur auf den erhöhten Gaspreis, sondern auch auf einen von Moskau eingeführten Zoll. 180 Dollar verlangt Moskau neuerdings für jede von Russland nach Weißrussland verkaufte Tonne Rohöl, obwohl zwischen den beiden Staaten eine Zollunion existiert. Doch mit der Einführung dieses Zolls versucht Moskau seine eigene Ölindustrie zu schützen, denn die bisher wichtigste Einnahmequelle für die weißrussische Wirtschaft war die Verarbeitung und der Weiterverkauf vom subventioniertem russischen Öl. Dabei war Russland wiederum der beste Kunde der weißrussischen Raffinerien, was Weißrussland allein im ersten Halbjahr 2006 eine Einnahme von 3,7 Milliarden Dollar einbrachte.
Diese Einnahme dürfte dieses Jahr für Weißrussland aber wahrscheinlich nicht mehr so hoch ausfallen. Dadurch muss der isolierte Staat mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten rechnen, denn Weißrussland ist wirtschaftlich von seinem großen Nachbar abhängig. Russland ist nicht nur der wichtigste Handelspartner Weißrusslands, sondern auch der wichtigste Geldgeber der ehemaligen Sowjetrepublik. Laut Einschätzung von Experten hat Russland mit jährlich 4 Milliarden Dollar den westlichen Nachbar bisher subventioniert. Diese Subventionen erlaubten, die marode Wirtschaft Weißrusslands am Leben zu erhalten und gleichzeitig Lukaschenkos Regime zu festigen. Die staatlichen Medien in Minsk dagegen bezeichneten die Wirtschaftlage als einen wirtschaftlichen Aufschwung. Mit einem Durchschnittseinkommen von 200 Euro, erhöhten und sicheren Renten sowie zahlreichen sozialen Dienstleistungen genießen die Weißrussen eine wirtschaftliche Situation, von der die Bevölkerungen anderer Nachfolgestaaten der Sowjetunion nur träumen können. Und dieser relative Wohlstand macht einen Großteil der Weißrussen zu Anhängern Lukaschenkos.
Russische Geo- und Energiepolitik
Die Bereitwilligkeit Russlands, seinen Nachbar mit Subventionen unter die Arme zu greifen, beruht auf der Annäherung zu Russland, die Alexander Lukaschenko nach seinem Amtsantritt 1994 forcierte. Sogar von einer Vereinigung der beiden Staaten sprach Lukaschenko, was in Moskau mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Im Laufe der letzten Jahre erwies sich der im Westen geächtete Despot aber als ein unzuverlässiger Partner für den Kreml. Und als er letztens auch noch den Versuch unternahm, die Beziehungen zur Ukraine zu verbessern, hat es sich Lukaschenko endgültig mit Putins Administration verscherzt. Russland vollzog Maßnahmen, die der größte Staat der Welt in den letzten Monaten immer anwendete, wenn sich ehemalige Partner zu sehr von Moskau abwendeten. Die Ukraine nach der Orangenen Revolution und Georgien unter Michail Saakaschwili haben dies schon zu spüren bekommen.
Doch im Gegensatz zu den Konflikten mit der Ukraine und Georgien nutzt Russland den Konflikt mit Weißrussland gleichzeitig zum Ausbau der Monopolstellung von Gasprom auf dem Energiesektor aus. Mit der Übernahme von 50 Prozent von Beltransgas avanciert der russische Erdgasriese nämlich auch zum Lieferanten und nicht nur zum Erzeuger. Dies garantiert zwar dem Westen eine sicherere Lieferung mit Gas, die nicht mehr abhängig ist von der Lage in den Transitländern, dafür werden die westlichen Abnehmer aber auch abhängiger von Gasprom, da die Zentrale in Moskau auch die Möglichkeit bekommt, Einfluss auf die Pipelines zu nehmen.
Für Russland und Gasprom eine Investition in die Zukunft. Die Erdgasbestände Russlands neigen sich langsam dem Ende zu. Dagegen streben andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf den rentablen Gasmarkt. Turkmenistan, das nach dem Tod seines langjährigen Diktators Saparmurad Nigasow zwar momentan noch in einem politischen Vakuum steckt, hat enorme Erdgasvorräte und dürfte deshalb zukünftig für westliche Industrienationen ein interessanter Geschäftspartner werden. Dies gleiche gilt auch für Aserbeidschan, wo schon jetzt vorwiegend zahlreiche amerikanische Energieunternehmen investieren. Aber um turkmenisches und kaukasisches Gas in den Westen zu liefern, müssten Pipelines von Gasprom benutzt werden. Dies würde Gasprom seine starke Stellung sichern, denn es könnte bestimmen, welches Gas durch seine Rohre strömt – und dabei gut verdienen.
Aber nicht nur auf dem Gasmarkt versucht Russland seine Rolle zu stärken. Auf dem gesamten Gebiet der GUS versucht Russland seine führende wirtschaftliche Position auszubauen. Dies wurde bei Putins Besuch in der Ukraine am 22. Dezember sichtbar. Während nach der Orangenen Revolution die Beziehungen zwischen den beiden Staaten stark abkühlten, suchte der russische Präsident bei seiner Visite in Kiew bewusst die Nähe zu seinen ukrainischen Gesprächspartnern. Als einen „guten Nachbarn“ bezeichnete Wladimir Putin die Ukraine und bot Kiew eine wirtschaftliche Kooperation an. Russland möchte einen gemeinsamen Markt mit Weißrussland, Kasachstan und der Ukraine errichten. Zudem soll ein gemeinsamer Antrag gestellt werden, um in die WTO aufgenommen zu werden.
Die Ukraine ist auf dieses Angebot bisher nicht eingegangen. Es ist aber möglich, dass es irgendwann realisiert werden könnte, da Russland schon jetzt der wichtigste Handelspartner der Ukraine ist. Im Fall der Ukraine würde aber nicht nur die handelspolitische Lage diese wirtschaftliche Kooperation möglich machen, sondern auch die innenpolitische Schwäche des zweitgrößten Staates Europas. Seit August ist der nach Russland orientierte Viktor Janukowitsch Ministerpräsident und somit ein Gegenpol zum westlichgesinnten Präsidenten Viktor Juschtschenko. Seitdem streiten sich beide über die außenpolitische Zukunft der Ukraine, weshalb das Land in eine immer tiefere politische Krise stürzt. Und das russische Angebot eines gemeinsamen Marktes stärkt in diesem Fall nur die Position Janukowitsch’.
Russland wird seine wirtschaftlichen Ziele jedenfalls weiter verfolgen, egal ob mit diplomatischen Mitteln wie neuerdings im Fall der Ukraine oder mit der Brechstange wie Ende letzten Jahres mit Weißrussland. Wie erfolgreich Russland dabei sein wird, wird sich in der nächsten Zeit zeigen. Die Chancen dafür stehen gut, da Russland für alle ehemaligen Sowjetrepubliken der wichtigste Handelspartner ist. Weißrussland dürfte der größte Staat der Welt zumindest schon jetzt noch fester an sich gebunden haben, trotz der Erhöhung des Gaspreises und der eingeführten Zölle für Öl. Weißrussland ist seit seiner Souveränität wirtschaftlich extrem abhängig von Russland und ist es aufgrund von eigenem Verschulden in den letzten Jahren noch stärker geworden. Da dürfte Minsk nichts anderes bleiben, als sich seinem Schicksal zu ergeben. Ein Ausweg aus dieser Sackgasse wäre für Weißrussland lediglich eine Annäherung an den Westen, doch dies dürfte wegen der Politik Lukaschenkos sehr unwahrscheinlich sein.