Russischer T-80-Panzer: Der Irrtum "Retro-Waffe" im Ukraine-Krieg
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Westen rätselt über die Neuproduktion eines alten Kampfpanzers. Warum das beunruhigend ist und was das mit der Nato-Mitgliedschaft Finnlands zu tun hat. Eine Einschätzung.
Russland fällt eine merkwürdige Rüstungsentscheidung, denn es will mit dem T-80 ein Panzermodell vom Band laufen lassen, das 22 Jahre lang nicht mehr produziert worden ist. Die Information stammt von dem Geschäftsführer des Rüstungskonzerns Uralvagonzavods (UVZ), Alexander Potapow.
UVZ, der größte Panzerhersteller der Welt, produziert aktuell zwei entsprechende Systeme: Zum einen den neuen und im Design erneuerten T-14 Armata, hier allerdings nur eine Vorserie – und den T-90M. Zudem setzt Russland stark auf technische Ertüchtigung älterer oder sogar eingelagerter Panzer.
Die Entscheidung zur Wiederaufnahme der Produktion überrascht. Einer der Gründe könnten Probleme bei der Produktion des neuen, russischen Hightech-Panzers T-14 Armata sein.
Es wird von Schwierigkeiten beim Motor und der elektronischen Ausrüstung berichtet. Der Panzer wurde zwar im Zuge des Angriffs auf die Ukraine offensichtlich ausgiebig getestet, war aber anscheinend nicht an Gefechten beteiligt, wahrscheinlich, um ihn nicht der Gefahr auszusetzen, durch ukrainische Kräfte erbeutet zu werden.
Allerdings bleiben die Informationen rund um den T-14 dürftig. Er soll sich nun in der finalen Entwicklungsphase vor der Massenproduktion befinden, berichtet das Fachportal Army Recognition.
Herausragendes Merkmal Gasturbine
Der T-80 ist ein Kampfpanzer, der zeitgleich mit dem Leopard 2 und M1 Abrams entwickelt und hergestellt wurde. Während man sich in den USA oder etwa in Deutschland auf die Produktion von nur einem Hauptkampfpanzer fokussierte, gab es in den 1980er-Jahren in der damaligen Sowjetunion gleich drei Panzermodelle, die parallel gefertigt wurden: den T-64, den T-72 (dem späteren T-90) und den T-80.
Der T-80 basiert auf dem T-64. Sein herausragendes Merkmal ist sein Antrieb: Wie der US-amerikanische M1 Abrams wird der T-80 von einer Gasturbine angetrieben. Das macht ihn zum schnellsten Panzer Russlands, 1.250 PS treiben ihn an. Nur der T-14 Armata hat mit 1500 PS mehr Motorleistung.
Unklar ist, warum Russland nicht den T-90M in größeren Stückzahlen produziert, statt zusätzlich nach über 20 Jahren den T-80 von Grund auf neu fertigen zu wollen. Denn der T-90M gilt als einer der modernsten Panzer der Welt. Zudem ist die russische Rüstungspolitik eigentlich bekannt für konsequente Komplexitätsreduktion.
"Vielleicht haben sie in Omsk noch Bauteile des T-80 Panzers eingelagert, sodass die Wiederaufnahme der Produktion einen Kostenvorteil ergibt. Vor einigen Jahren wurde berichtet, dass dort eine Reihe unbenutzter Gasturbinentriebwerken herumliegen. Möglich ist, dass auch anderes Material eingelagert wurde", glaubt Marko1, Betreiber des Youtube-Channels Redeffect. Zudem sei seine im Vergleich höhere Rückwärts-Geschwindigkeit gegenüber dem T-90M ein wichtiger Faktor.
Warum der T-80 kein Retro-Panzer ist
Der T-80 wurde zuletzt im Werk Omsktransmash in Omsk gefertigt. 2001 lief dort der letzte T-80 vom Band, da sich Russland damals entschied, die Panzerflotte zu vereinheitlichen und nur noch den T-90 bei UVZ in Nizhny Tagil produzieren zu lassen. 2002 ging Omsktransmash bankrott, die Designabteilung der Firma ging in UVZ auf, das Produktionswerk wurde verstaatlicht.
Zurzeit rüstet die riesige Fabrik ältere Panzer auf moderne Standards um, viele dieser Kampffahrzeuge kommen aus der Langzeit-Einlagerung. Zudem werden ältere T-72-Panzer zu schweren Flammenwerfer TOS-1 umgebaut.
Obwohl der T-80 bereits seit 22 Jahren nicht mehr gebaut wird, wurde und wird er regelmäßig technisch aktualisiert, zuletzt noch in diesem Monat mit der Version T-80BVM Model 2023.
Bezeichnungen wie Retro-Panzer oder Uralt-Panzer, wie wir ihn in aktuellen Zeitungsartikeln etablierter Print-Medien finden, treffen also nicht zu, sonst müsste man den Leopard 2 oder Abrams ebenso bezeichnen.
Panzer sind Plattformen, die kontinuierlich mit neuester Technik hochgerüstet werden können, wie das auch beim Leopard 2, dem M1 Abrams oder dem T-80 der Fall ist. Es ist, um es deutlich zu sagen, extrem töricht, Russland nicht ernst zu nehmen und russische Rüstungspolitik unfachmännisch zu verspotten.
Die große Gefahr dabei liegt darin, die russische Rüstung zu unterschätzen und auf Basis leichtfertiger Überheblichkeit gefährliche Entscheidungen zu treffen.
Falls Russland tatsächlich die Produktion des T-80 wieder aufnimmt, wird es sich nicht um das alte, sowjetisches Fahrzeug handeln, sondern um einen bereits verbesserten Panzer, vielleicht gemäß dem Burlak-Projekt, einer T-80-Weiterentwicklung, die einst zugunsten des T-14 Armata-Projekts aufgegeben wurde.
Nato-Finnland: Russlands polare Nuklearstreitkräfte
Ein wichtiger Grund für die Neuaufnahme der Produktion könnte darin begründet liegen, dass der T-80 eine Gasturbine verbaut hat. Diese ist aufwändiger zu warten und verbraucht rund 30 Prozent mehr Treibstoff als ein Diesel-Motor, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Die Gasturbine lässt den Panzer auch bei minus 50 Grad Celsius aus dem Stand heraus starten.
Auch wenn die Kaltstartfähigkeit moderner Panzerdiesel erheblich verbessert werden konnte, liegt hier ein deutlicher Pluspunkt der Gasturbine gegenüber eines Dieselmotors. Ein mit Gasturbine angetriebener Panzer würde sich also besser eignen, in polaren Gebieten eingesetzt zu werden. Warum könnte Russland also einen Panzer nach 22 Jahren wieder in die Produktion nehmen wollen, dessen herausragendes Merkmal seine Einsatzfähigkeit in Polargebieten ist?
Die Nato-Unterstützung der Ukraine, die einer De-facto-Mitgliedschaft sehr nahekommt, hat aus Moskauer Sicht mit dazu beigetragen, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist, weil Russland eine nicht neutrale Ukraine als existenzielles Sicherheitsrisiko bewertet.
Mit dem Eintritt Finnlands in das Nato-Militärbündnis dürfte sich Russland in einer ähnlichen Bedrohungs-Lage wiederfinden. Das Hauptproblem: Murmansk und die Kola-Halbinsel liegen nur 170 Kilometer Luftlinie von der finnischen Grenze entfernt. Hier ist ein elementarer Teil der russischen Nuklearstreitkräfte Russlands stationiert.
Die US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) schreibt im Jahr 2020:
Russlands westliche Arktis zeichnet sich durch eine hohe Konzentration fortschrittlicher konventioneller Fähigkeiten für defensive und potenziell offensive Zwecke aus, die auf der Halbinsel Kola konzentriert sind.
Dort befindet sich das Hauptquartier der russischen Nordflotte, die Russlands fortschrittlichste arktische Land-, Luft- und Seestreitkräfte beherbergt, zu denen insbesondere das Nukleararsenal und die Zweitschlagskapazität gehören.
Die Lage der Halbinsel - ein Tor zwischen der Arktis und dem Nordatlantik - und ihre umfangreichen militärischen Einrichtungen machen sie zu einem zentralen Punkt für Russlands Heimatverteidigung und Fähigkeiten zur Machtprojektion.
CSIS
Offen wird in Nato-Kreisen bereits über neue strategische Möglichkeiten durch die Nato-Mitgliedschaft Finnlands fantasiert, hier vom ehemaligen österreichischen Bundesminister für Landesverteidigung, Werner Fasslabend, anlässlich eines Vortrags bei der Diplomatischen Akademie Wien im Januar dieses Jahres:
Finnland hat zweifellos eine über 1300 Kilometer lange gemeinsame Grenze mit Russland. Das ist aber nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, dass sich hier oben mit Murmansk der wichtigste eisfreie Hafen Russlands befindet. Und nicht nur der wichtigste eisfreie Hafen.
Die haben dort auch eine Anzahl hochwertiger Brigaden stationiert, insgesamt sechs Brigaden stehen dort. Aber noch wichtiger ist, dass die Halbinsel Kola, die der wichtigste Standort für die Nuklearkapazitäten von Russland ist. Und gleichzeitig eben Murmansk selbst auch Standort für die U-Boot-Flotte Russlands ist.
Und man muss wissen, dass zwei Drittel der nuklearen Zweitschlagfähigkeit von der See aus erfolgt, das heißt von den U-Booten aus erfolgt und damit sagt dieses Bild, eigentlich das bloß aufzeigt - ich sage das jetzt oberflächlich, nur aufzeigt, dass es ja hier Zugriffsmöglichkeiten und Unterbrechungsmöglichkeiten von der finnischen Seite zur russischen Seite gibt.
Man muss wissen, das ist alles sehr dünn besiedelt. Um Murmansk herum gibt es fast 800 Kilometer weit keinen weiteren Ort, das ist sehr isoliert, aber das heißt, dass es hier eine frappante Veränderung der geostrategischen Situation auf dem Nuklearsektor gegeben hat oder geben wird, durch eben diese Nato-Mitgliedschaft von Finnland.
Vortrag Werner Fasslabend, Diplomatische Akademie Wien, Ausschnitt
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