Russland sitzt am längeren Hebel
Update: Russland schaltet auch die Gaszufuhr an die Ukraine über Turkmenistan ab
Nachdem ein Ultimatum des staatlichen russischen Energiekonzerns Gazprom abgelaufen ist, wurden am Neujahrsmorgen um 8.00 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Gaslieferungen an die Ukraine eingestellt. Mittlerweile soll auch bereits der Druck in der Gaspipeline in Polen, über das das Gas nach Deutschland kommt, zurück gegangen sein, in Ungarn angeblich um 25 Prozent. Auswirkungen gibt es auch in Österreich und der Slowakei. Dem Lieferstopp war ein wochenlanger Streit um die Erhöhung der Gaspreise vorausgegangen. Bislang hat Kiew für das russische Erdgas Vorzugspreise bezahlt, die weit unter dem Weltmarkt-Tarif lagen und noch auf Sowjetzeiten zurückgingen. Im Rahmen von Neuverhandlungen sollte der Preis zunächst von bislang rund 50 US-Dollar (42 Euro) auf 160 US-Dollar (135 Euro) pro tausend Kubikmeter angehoben werden.
Update:
Russland schaltet auch der Gaszufuhr an die Ukraine über Turkmenistan ab
Am Tag nach dem russischen Lieferstopp an die Ukraine hat sich der Streit nun massiv zugespitzt. Wie befürchtet wurde, kam es in mehreren europäischen Empfängerstaaten noch am Sonntag zu einem Abfall des Drucks den Pipelines. Entsprechende Meldungen kamen aus Österreich, Polen und Ungarn. Der russische Gazprom-Konzern warf der Ukraine daraufhin vor, 100 Millionen Kubikmeter russisches Gas abgezweigt zu haben. Ukraines Energieminister Iwan Platschkow stritt dies zwar ab, behielt sich einen Zugriff auf die Transitleitung nach Europa aber vor, sofern die Temperaturen in seinem Land unter minus drei Grad Celsius sänken – was zum Jahreswechsel fast sicher ist. Am Wochenende hatte der ukrainische Gaskonzern Naftogaz bereits erklärt, der einseitige Lieferstopp könne sich auch auf die Europäische Union auswirken.
Derweil erhöhen Gazprom und die Regierung in Moskau weiter den Druck auf das Nachbarland. Kurz nachdem Kiews Energieminister Platschkow betont gelassen erklärte, man komme mit eigenen Reserven und Gas aus Turkmenistan aus, stoppte Gazprom auch für die Ukraine bestimmte Erdgaslieferungen aus Turkmenistan. Wie das Onlineportal Russland.ru berichtet, gelangt in die Ukraine damit nur noch russisches Erdgas, das über Transit-Pipelines nach Westeuropa geleitet werde. Das habe Gazproms Vizepräsident Alexander Medwedew am Montag auf einer Pressekonferenz in Moskau bekannt gegeben.
Nachdem der Streit um die Preise jedoch eskalierte, stellt sich Gazprom stur und forderte eine übergangslose Angleichung an den Weltmarktpreis. Dieser schwankt zwischen 220 und 230 US-Dollar (186 bis 194 Euro). Überdies wirft Gazprom der Ukraine vor, schon lange große Mengen an Gas aus der Pipeline nach Europa heimlich abzuzweigen. Die Profite sind zum Teil in die private Taschen der reichen Elite geflossen. Der russischen Forderung nach einem Gemeinschaftsunternehmen für die Pipeline hatte sich die Ukraine verweigert. Der Streit könnte durchaus internationale Konsequenzen haben. Nach dem Lieferstopp bangen nun auch EU-Staaten um die Energieversorgung aus dem Osten.
In einem gemeinsamen Brief appellierten die Wirtschafts- und Energieminister von Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich am Samstag an die Staatsführungen in der Ukraine und Russland, die Versorgung Westeuropas auch weiterhin zu gewährleisten. Die Lieferungen an die vier Länder müssten „in vollem Umfang aufrecht erhalten werden“, hieß es in dem Schreiben, das von Michael Glos (Deutschland), Francois Loos (Frankreich), Claudio Scajola (Italien) und Martin Bartenstein (Österreich) unterzeichnet wurde.
Der Gazprom-Chef Alexej Miller versuchte, die EU-Vertreter eilends zu beruhigen. Die Versorgung Westeuropas sei auf jeden Fall gesichert. Selbst im Fall des inzwischen vollzogenen Lieferstopps an die Ukraine existiere ein „detaillierter Maßnahmenplan“, um die Lieferungen in die EU fortzuführen. Der ukrainische Energiekonzern Naftogaz schürte die Ängste hingegen. Presseberichten zufolge widersprach die Konzernführung Millers Einschätzung. Der russische Lieferstopp könne sich durchaus auch auf die Versorgung der Europäischen Union auswirken, hieß es in Kiew. Das scheint, treffen die Meldungen aus Polen und Ungarn zu, auch der Fall zu sein.
Durch die Ukraine laufen drei große Pipelines. Während zwei der Leitungen Gas in den Anrainerstaat Russlands transportieren, handelt es sich bei der dritten Pipeline um eine Transferleitung in die EU. Nach dem Lieferstopp in die Ukraine wurde nur der Betrieb dieser dritten Leitung aufrechterhalten. Naftogaz soll bereits nach Auskunft von Gazprom, wie die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass gestern berichtete, die Pipeline angezapft haben. Der ukrainische Regierungschef Yuriy Yekhanurov streitet dies allerdings ab.
Preiserhöhung hatte sich abgezeichnet
Die Forderung von Gazprom an die Ukraine kam nicht überraschend. Seit Jahren kündigt der Staatskonzern eine Novellierung der Lieferverträge mit ehemaligen Sowjetrepubliken an. So müssen neben der Ukraine auch Georgien, Moldawien und die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen künftig mehr für das russische Gas bezahlen – und sehen dies auch teilweise als Machtstrategie Russlands. Die Neufassung der Lieferbedingungen ist, so sagt die russische Regierung hingegen, auf die Marktliberalisierung in Russland zurückzuführen. „Die Zeit, zu der wir die Binnenwirtschaften unserer Nachbarstaaten quasi subventioniert haben geht nun langsam zu Ende“, wurde der russische Finanzminister Alexej Kudrin unlängst von der Nachrichtenagentur RIA Novosti zitiert. Russland müsse nun an seine eigenen Interessen denken. Um den Druck auf die Ukraine und die anderen Nachbarstaaten zu erhöhen, hat Gazprom nun auch noch erreicht, 30 Milliarden Kubikmeter Gas zum Preis von 65 US-Dollar von Turkmenistan zu kaufen, was den Markt in der Region verengt und die Abhängigkeit von Russland erhöht. Die Ukraine hatte sich zumindest noch für 2006 40 Milliarden aus Turkmenistan gesichert. Ein Sprecher von Gazprom erklärte allerdings, dass der Konzern das ganze Gas von Turkmenistan erhalten werde.
Mehr als in den anderen betroffenen Staaten wird der Schritt des Gazprom-Konzerns in der Ukraine jedoch politisch bewertet. Für „90-prozentig politisch“ hält etwa Wolodimir Polochalo, Kiewer Politologe und Chefredakteur des Intellektuellen-Blattes „Polititschna Dumka“, die Preiserhöhung. Polochalo interpretiert die Moskauer Preispolitik als Revanche für die Abkehr der Ukraine von Russland. Diese These bestätigte auch der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko. Im Interview mit der Moskauer Zeitung „Rossiskaya Gaseta“ nannte er – nicht ohne Häme – als einen der Gründe für den Gasstreit „die West-Orientierung der Ukraine“. Im Gegensatz zur Kiewer Führung, die seit der so genannten Orangenen Revolution Ende 2004 auf Distanz zu Moskau gegangen ist, habe Weißrussland keinen Beitritt zur NATO angekündigt und vertrete gegenüber dem Westen mitunter „radikalere Positionen als Russland“, so Lukaschenko. Weißrussland, auf dessen Territorium mehrere russische Militärstützpunkte liegen, wird von Gazprom auch weiterhin zu den alten Konditionen beliefert.
„Politische“ Preispolitik gibt es auch anderswo
Auch wenn politische Erwägungen im Vordergrund stünden, wäre die Aufregung darüber wenig nachvollziehbar. Immerhin ist eine politische motivierte Preispolitik in der Energiewirtschaft international gang und gäbe. Ebenso üblich ist aber auch die Skandalisierung dieses Vorgehens. Ein Beispiel aus jüngerer Zeit findet sich in Lateinamerika.
Bereits 1980 hatten sich Mexiko und Venezuela mit dem „Pakt von San José“ dazu verpflichtet, einem Dutzend wirtschaftsschwacher südamerikanischer und karibischer Staaten täglich 160.000 Barrel Öl zu Vorzugspreisen zu liefern, um die Wirtschaft der Region zu stärken. Auf den Druck Washingtons blieb nur das sozialistische Kuba von den Lieferungen der beiden Mitgliedsstaaten der Organisation Erdöl exportierender Staaten ausgeschlossen. Erst als die linksorientierte Regierung Venezuelas unter Hugo Chávez Havanna vor fünf Jahren im Alleingang in das Abkommen aufnahm, wurde dies als politisch motivierte Subventionspolitik verteufelt. Chávez und Castro vereinbarten damals Lieferungen von täglich 30.000 Barrel Rohöl nach Havanna zu einem Preis, der mehr als ein Drittel unter dem Weltmarkt-Tarif liegt. Einen Teil der Ölimporte wird seither durch Warenlieferungen und Dienstleistungen kompensiert – etwa durch die Entsendung kubanischer Ärzte nach Venezuela. Die venezolanische Opposition verbreitete daraufhin die These, die Regierung Chávez „verschenke“ die Ölressourcen des Landes.
Wie bei dem Geschäft zwischen Venezuela und Kuba ist auch die Preispolitik des staatlichen russischen Gazprom-Konzerns einem nationalem Interesse geschuldet. Während die Kiewer Führung immer wieder ihre Zuwendung zur EU, den USA und der NATO betont hat, muss sie nun die Konsequenzen tragen. Bislang hat der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko politische Unterstützung aus Brüssel und Washington erhalten. Wirtschaftlich aber sitzt Moskau am längeren Hebel.