Russlands Kriegsproblem: Nordkorea als militärischer Personaldienstleister
Russland benötigt neue Soldaten für den Krieg in der Ukraine. Nordkorea schickt seine Männer an die Front. Was verspricht der Kreml dafür?
Die russische Armee befindet sich im Ukraine-Krieg seit etwa einem Jahr in einer anhaltenden Offensive an der Front im Donbas. Die zunehmend erfolgreichen Angriffe auf gut befestigte Stellungen der Ukrainer fordern dabei einen hohen Blutzoll, dessen genauer Umfang zwischen den Anhängern beider Seiten stark umstritten ist.
Exilrussische Medien sprechen aktuell von rund 120.000 Gefallenen im Krieg auf russischer Seite, von denen etwa 77.000 namentlich bekannt sind. Hinzu kommen zigtausende kampfunfähige Verwundete.
Um die Reihen der Frontsoldaten aufzustocken, verwenden die russischen Behörden hauptsächlich drei Quellen: Kriegsfreiwillige, für die die häufigste Motivation große materielle Vorteile sind, Rekrutierte aus russischen Haftanstalten für entsprechenden Straferlass und zwangsweise Mobilisierte, die seit einer Aushebung im Herbst 2022 in der Armee sind.
Bisherige Quellen für neue Truppen sind am Limit
All diese Quellen sind für die Offiziellen mit Problemen behaftet und reichen für die wachsende Zahl der Gefallenen nicht mehr aus. Das zeigt sich daran, dass Putin im August die Prämie für eine Freiwilligenmeldung aus Föderationsmitteln auf umgerechnet 4.000 Euro verdoppelte und den Regionen des Landes empfahl, diese Summe aus eigenen Mitteln auf mindestens 8.000 Euro pro Person aufzustocken.
In vermögenderen Gegenden wie in Moskau erfolgt die Aufstockung sogar auf bis zu 20.000 Euro.
Auch die Gefangenenrekrutierung zeigt Symptome eines nicht ausreichenden Erfolgs. Im Oktober unterzeichnete Putin ein Gesetz, wonach diese auf noch gar nicht Verurteilte in laufenden Strafprozessen ausgeweitet wurde. Daneben gibt es immer wieder Berichte über in die Armee eingezogene Migranten oder sogar Gaststudierende aus Drittstaaten, von denen einige in ukrainischer Gefangenschaft von einer Erpressung zum Frontdienst berichten.
All diese Bemühungen dienen vorwiegend der Verhinderung einer unpopulären weiteren Mobilisierung. Russen, gegen ihren Willen an der Front, schaden der mehrheitlichen Kriegszustimmung, produzieren selbst unter den repressiven Bedingungen in Russland Proteste, wie bis heute unter den Ehefrauen und Müttern der ersten Mobilisierungswelle 2022.
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Zusätzlich führt die wachsende Zahl der Gefallenen trotz Erfolgsmeldungen von der Front dazu, dass immer mehr Russen überall im Land selbst Kriegstote in ihrem eigenen direkten Bekanntenkreis haben. Diese nicht zu unterdrückende Tatsache fügt der Kriegszustimmung im Volk trotz Beherrschung der gleichgeschalteten Medien landesweit Schaden zu.
Nordkoreanische Universallösung für viele Probleme
Der Einsatz von Nordkoreanern an der Front vermindert all diese Probleme gleichzeitig bei der Beschaffung von Menschenmaterial für den Krieg. Nichts anderes findet per Import aus Nordkorea statt. Gefallene unter ihnen werden nicht in Russland betrauert, man muss hier keine Verbrecher für den Kriegsdienst amnestieren, keine immer weiter wachsenden Prämien für die Freiwilligenmeldung zahlen, nicht zu zweifelhaften Methoden gegenüber den ausländischen Migranten greifen.
Kim Jong-un, international isoliert, schickt seine Männer offenbar willig in einen Krieg am anderen Ende der Welt aufgrund eines bilateralen russisch-nordkoreanischen Beistandspaktes.
Über die Gegenleistungen gibt es nur Berichte aus Südkorea, die mit Vorsicht zu genießen sind. Die Rede ist von Devisen, Reis und der unbestimmten Hoffnung der Nordkoreaner, ihre Abhängigkeit von China zu vermindern.
Dabei erfolgt der Einsatz in der Region Kursk, für deren Rückeroberung von den Ukrainern man im Kreml von den vorrückenden Offensivtruppen im Donbass nur sehr ungern russische Soldaten abzieht. Aber es besteht in der russischen Bevölkerung die Erwartung, dass die russischen Kursker Gebiete vorrangig wieder unter eigene Kontrolle gebracht werden sollen. Zusätzlich kann man infolge des Einsatzortes geltend machen, dass die Ostasiaten nur für die Wiedererlangung unstrittig russischer Gebiete eingesetzt werden.
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Es sind also eine Reihe von Gründen, die den Einsatz von Nordkoreanern im Ukraine-Krieg für die russische Seite vorteilhaft machen. Auf der anderen Waagschale liegen neben den Kosten, die auch für russische Freiwillige anfallen, lediglich unbestimmte außenpolitische Nachteile.
So Eskalationsvorwürfe der Nato – ein Wort, dass sich im Zuge jahrelanger gegenseitiger Vorwürfe schon sehr abgenutzt hat, vorwiegend in Moskauer Ohren aus dem Mund eines bereits maximal feindseligen Westens.
Die einzige diskutierte konkrete Reaktion ist die Freigabe weitreichender westlicher Waffen für die Ukraine und Angriffe auf das russischen Hinterland – auch das ist eine Diskussion, die mitnichten neu und kaum kriegsentscheidend ist.
Ob China reagiert, ist fraglich
Das zweite außenpolitische Risiko ist eine Verärgerung Chinas, das bei der Umgehung westlicher Sanktionen für Russland eine große Rolle spielt. Dieses betrachtet Nordkorea als eigenen Einflussbereich.
Doch ein wirklicher Protest aus Peking bleibt aus, Chinas Regierungssprecher Lin Jiang spricht nur davon, man habe keine Informationen über die Situation und die genaue Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea.
Dass China überhaupt auf die Nordkoreaner an der Front in Europa reagiert, etwa mit weniger Unterstützung für den Kreml, ist lediglich eine Hoffnung einiger westlicher Beobachter. Diese wird auch getrübt durch die Gefahr eines möglichen US-chinesischen Handelskriegs während Trumps bald anbrechender Präsidentschaft.
In harten Auseinandersetzungen mit Washington wird Peking kaum von einer Unterstützung Moskaus abrücken. So zweifeln auch westliche Analysten daran, ob Peking aktiv etwas gegen den Einsatz der Nordkoreaner tut.
Inwieweit Peking seinen Einfluss auf Pjöngjang tatsächlich nutzen kann, um etwas zu bewegen, ist unklar. Einige Analysten sind der Meinung, dass Chinas Führung vermutlich nicht im Voraus über die Truppenbewegungen oder gar das Abkommen vom Juni informiert war
Amy Hawkins und Helen Davidson, The Guardian
Zusätzlich passen die Gegenleistungen Moskaus an Nordkorea in die eigene außenpolitische Strategie. Man sieht sich selbst als Speerspitze all jener, die weltweit die bröckelnde Hegemonie des Westens aktiv bekämpfen wollen. Jede Stärkung Nordkoreas dient diesem russischen Interesse, egal ob durch die Verschaffung zusätzlicher Einnahmen oder die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation.
So stehen konkrete Vorteile für Russland beim Einsatz von Nordkoreanern unbestimmten Nachteilen gegenüber. Wenn der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in dieser Situation prognostiziert, dass Russland wohl noch mehr Soldaten aus Nordkorea gegen sein Land einsetzen werde, ist das kein Alarmismus, sondern eher eine Vorhersage mit einer nicht zu unterschätzenden Wahrscheinlichkeit.
Vielmehr sollte man die erste Welle von laut verschiedenen Meldungen zwischen 8.000 und 15.000 Nordkoreanern an der Front als Feldversuch sehen, der bei Erfolg auch größere Truppenkontingente aus Ostasien zur Folge haben kann.