SARS - Angst vor dem Ungewissen

Severe Acute Respiratory Syndrome (SARS) ist eine ansteckende atypische Lungenentzündung. Eine natürliche Infektion oder ein terroristischer Anschlag? Die US-Experten halten beides für möglich

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Nichts beunruhigt die Verantwortlichen in den USA mehr als eine Infektion, deren Ursache im Dunkeln liegt. Und so findet SARS hektisches Interesse, nachdem die WHO (www.who.int/mediacentre/releases/2003/pr23/en/) die neue Erkrankung aus der Taufe gehoben hat.

Lungenentzündungen, auch übertragbare und tödliche gibt es viele; manche Experten fragen sich deshalb, welchen Sinn der Name Severe Acute Respiratory Syndrome macht, solange die wichtigste Information hinterm Berg gehalten wird: Gibt es besondere Kennzeichen, die sich von den herkömmlichen Formen der atypischen Pneumonie unterscheiden? Statt eindeutiger medizinischer Angaben wird der Kreis der Krankheitsträger weltweit nach der Fuzzy-Logik gezogen. Die WHO erklärt: krankheitsverdächtig ist jede Person, die nach dem 23. Februar 2003 an Fieber über 38 Grad Celsius, Muskelschmerzen sowie rauem Hals und/oder Husten und/oder Atemnot erkrankt. Weil das hierzulande bisher selten zur Aufregung führte, kommt diese Besonderheit hinzu: Der Kranke muss in den letzten Wochen in China, Hongkong, Vietnam oder Singapur gewesen sein, oder Kontakt zu einer SARS-kranken Person gehabt haben.

Der kriminalistische Spürsinn der WHO gründet sich auf 305 Personen, die im November vergangenen Jahres in Südchina an einer atypischen Pneumonie erkrankten. Das meint eine Lungenentzündung, die sich nicht auf die bisher bekannten Bakterien zurückführen lässt und deshalb eher durch Viren verursacht sein könnte. Im Februar wurde ein Mann aus Hongkong in Hanoi ins Krankenhaus eingeliefert, dessen Erkrankung sich auf etwa 20 Schwestern, Pfleger und Ärzte übertrug. In einem anderen Krankenhaus in Hongkong erlitt ein Pfleger ebenfalls eine atypische Lungenentzündung. Ob zwischen diesen drei Gruppen ein Zusammenhang besteht, bleibt mangels vergleichender Untersuchungen unbeantwortet. Die wenig sicheren Angaben betreffen auch heute noch die Inkubationszeit (2-7 Tage), der fieberhafte Beginn, die Ansteckung des Pflegepersonals, sowie Todesfälle.

Die atypische Pneumonie: ein Stiefkind in der Medizin

Warum diese Aufregung? In den USA erkranken jährlich mehr als 2 Millionen Menschen an einer Lungenentzündung; davon versterben 40.000-70.000 Kranke. Sicherlich überwiegt die Zahl der durch Bakterien hervorgerufenen Pneumonien. Deren Kennzeichen ist der entzündliche Befall zusammenhängender Lungenanteile (Lobärpneumonie). Daneben steht die "Grippepneumonie", die auch bei uns kein seltenes Ereignis ist und zum Tode führt - vornehmlich bei älteren Menschen und Abwehrgeschwächten. Vor diesem Hintergrund machen sich die Ärzte beim typisch "atypischen" Röntgenbefund selten Gedanken über den Erreger: 20 und mehr Viren direkt auszutesten, ist unbezahlbar und hat keine Konsequenzen für die Behandlung. Die weltweit zirkulierenden Influenza-Epidemien sind deshalb zumeist posthum diagnostiziert worden, nämlich durch Blutantikörper, die gewöhnlich erst 4-6 Wochen nach der Infektion nachweisbar werden.

Mehr als nur eine Reisekrankheit

Der Wunsch der WHO nach Publizität, und die reichlichen Presseerklärungen finden weltweites Echo. Jeder, der sich an SARS krank fühlt, gerät sicherheitshalber in die Statistik. Die Fluggesellschaften Cathay Pacific Airways und Thai haben ihre Flugbegleiter angewiesen, in den asiatischen Flughäfen keine Personen an Bord zu lassen, die "krank" aussehen. Manche Fluggäste reisen mit chirurgischen Schutzmasken bekleidet. Die überquellende Besorgnis veranlasste David Haymen von der WHO, nun wieder abzuwiegeln: "Es (SARS) ist keine Erkrankung, die man bekommt, bloß weil man durch den Flughafen läuft." Der Besucherstrom hat in Hongkong schlagartig um 80 Prozent abgenommen. Und schon wird beklagt, dass die Regierung zu lasch und vor allem zu spät gehandelt habe, nur um keine Touristen zu verprellen.

Bisher noch kein überzeugender Fahndungserfolg

In den USA hingegen liegen die Nerven blank: eine krankhafte Veränderung, die den Ärzten nicht erklärlich ist, wird bereits als terroristischer Anschlag gehandelt. Die Leiterin der Centers for Disease Control (CDC, www.cdc.gov) in Atlanta, Julie Gerberding, spricht davon, dass der CDC aus den weltweiten Quellen bisher 150 "möglicherweise" Kranke zugetragen wurden.

Allerdings haben wir weder Laborprofile noch exakte Angaben über die tödlichen Verläufe und deren Ursachen. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen liegt offenbar keine typische Influenza vor.

Was den möglichen Terrorismus angeht, verneint sie einen gegenwärtig erkennbaren Zusammenhang, erklärt jedoch:

But we have an open mind, and let me emphasize that we have an open mind and will be keeping an open mind about this as we go forward.

Bei soviel beredeten Worten hat sich Tommy Thompson, Leiter des Departement of Health and Human Services, direkt eingeschaltet.

Die Mitarbeiter vom HHS Department and CDC Emergency Operations Center arbeiten rund um die Uhr und helfen der WHO. Ich habe persönlich den chinesischen Gesundheitsminister kontaktiert. Er hat mir zugesichert, dass wir Zugang zu den Daten bekommen. Acht Mitarbeiter sind bereits auf dem Weg, nach den Hintergründen zu fahnden.

Julie Geberding ergänzt:

Bisher ist noch keine Erkrankung in den USA aufgetreten. Allerdings haben der Deutsche, der nach Frankfurt ausflog, und ein Kanadier unser Land als Zwischenstation passiert.

Kandidaten gibt es viele

Frankfurter Virologen vermuteten, es handele sich möglicherweise um Paramyxoviren, auch Wissenschaftler in Hong Kong sind jetzt zu diesem Ergebnis gekommen. Zu den hinreichend bekannten RNA-Viren gehören die Erreger von Masern, Mumps und die Parainfluenza-Viren, die selten tödliche Erkrankungen in Gang setzen. Iain Simpson, Sprecher der WHO, warnt vor voreiligen Schlüssen, weil "überall viele Tests durchgeführt und viele Hypothesen erörtert werden, ohne dass bisher ein gemeinsamer Erreger greifbar wurde."

Dieses Problem ist den Medizinern wohlbekannt: in einem geschwächten Organismus können sich mancherlei Erreger ausbreiten und vermehren, allerdings nicht als Ursache, sondern als Folge der Vorschädigung wie beispielsweise bei der Pneumocystis carinii Pneumonie der Aids-Kranken.

Die USA haben gute Gründe, intensiv nach Ursachen und Quellen zu fahnden. Die Bezeichnung "atypische Pneumonie", tödlich oder nicht-tödlich, ist nach der medizinischen Terminologie ein Sammelbecken für zumeist wenig ausgeprägte Röntgenveränderungen in der Lunge, obwohl die Kranken mitunter an schwerer Atemnot leiden und maschinell beatmet werden müssen. In diesen "Topf" gehörte lange Zeit eine Erkrankung, die den Namen Legionärskrankheit erhielt. Die Lungenentzündung wurde 1976 erstmals in Philadelphia erkannt, nachdem sie bei Kriegsveteranen mit hoher Tödlichkeit zuschlug. Die bis dahin unbekannten Bakterien, von denen inzwischen mehr als 20 Arten aufgedeckt sind, waren über die Klimaanlage eines Hotels in die Veranstaltungsräume geblasen worden.

Ferner erinnern sich manche der "asiatischen Grippe", die ebenfalls aus China ihren Ursprung nahm und in abgewandelter Form Jahr für Jahr den Weg von Asien nach Europa wiederholt und uns zur jährlichen Grippeschutzimpfung treibt. Die beiden letzten großen Epidemien sind für 1957 (Hongkong Grippe) und 1968 (Asiatische Grippe) verbürgt. Allerdings war keine dieser Wellen so tödlich wie die Ereignisse von 1918. Damals, in der Auszehrung nach dem 1. Weltkrieg, sowie in den unterentwickelten Ländern verstarben schätzungsweise 40 Millionen und mehr an der "Spanischen Grippe".

In Indien wurden etwa 5 Tote auf 100 Erkrankte gezählt. Der Verlauf war nicht selten extrem kurz: das Virus tötete innerhalb eines Tages. Wer überlebte, litt häufig wochen- und monatelang an den Nachwehen. Julie Geberding von der CDC hält Influenzaviren und eine besondere Abart eines Vogelvirus zwar nicht für wahrscheinlich, weist allerdings auf die erhebliche Wandlungsfähigkeit des Erregers hin sowie auf Vermutungen der Experten, wonach "die Zeit für eine neue Pandemie gekommen ist."

Amerikanische Not

Mit diesen Überlegungen wird die Besorgnis in den USA erklärlich: es sind Wolken über den Truppenansammlung im Mittleren Osten. Einige wenige Truppenverlegungen aus dem asiatischen Raum könnten bei der vermuteten hohen Ansteckungsrate etwas wiederholen, was schon mancher Heerführer erlebte: den Ausbruch einer Seuche, der seine Truppen ohne fremdes Zutun zum Opfer fallen.