SLAPP: Wie Agrarkonzerne Kritiker zum Schweigen bringen
Menschen, die Missstände aufdecken, werden gemobbt. Auch durch missbräuchliche Klagen. Ein EU-Gesetz soll dies nun verhindern
Es ist mehr als ein Jahr her, dass Karl Bär in Bozen/Südtirol zum ersten Mal vor Gericht stand, weil er den hohen Pestizideinsatz in den Südtiroler Apfelplantagen kritisiert hatte. Dreizehn Monate später jedoch wurden alle Anzeigen zurückgezogen. Bis auf die eines einzelnen Obstbauern, der an seinem Strafantrag festhielt. Allerdings war der Kläger am vierten Verhandlungstag, der am 29. Oktober 2021 stattfinden sollte, nicht vor Gericht erschienen, weshalb die Verhandlung auf einen Termin im Januar vertagt wurde.
Anlass der Klage gegen den ehemaligen Agrarreferenten des Umweltinstitutes München e.V. war ein Plakat, welches im Rahmen einer Kampagne im Sommer 2017 in der bayerischen Landeshauptstadt als satirisch verfremdetes "Pestizidtirol" mit der Südtiroler Dachmarke platziert wurde. Dies sollte auf den hohen Pestizidverbrauch in der Urlaubsregion hinzuweisen. Für den Text auf der Website und die Verfremdung des Logos wurde Bär vom Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler sowie von mehr als 1370 Südtiroler Bauern und Bäuerinnen wegen "übler Nachrede und Markenschutzverletzung" angezeigt.
Seit September 2020 steht Bär nun vor dem Strafgericht in Bozen. Mittlerweile forderten Hunderttausende Menschen in ganz Europa Landesrat Schuler auf, seinen Angriff auf die Meinungsfreiheit zu beenden. Tatsächlich zogen er und die meisten anderen Bäuerinnen und Bauern schließlich ihre Anzeigen zurück.
Nach vier Gerichtsverhandlungen sei nichts auf den Tisch gekommen, was mit dem angeblichen Vergehen zu tun habe, kommentiert Karl Bär, der inzwischen Bundestagsabgeordneter der Grünen ist. Wo es kein Verbrechen gibt, könne man keins aufklären. Der Prozess gegen ihn sei reine Schikane.
In den Apfelplantagen Südtirols werden nachweislich große Mengen an natur- und gesundheitsschädlichen Pestiziden gespritzt - bis zu zwanzig Mal pro Saison. So warnt selbst die Zulassungsbehörde vor Captan, einem Wirkstoff, der mehrmals im Jahr gegen Pilzerkrankungen wie Apfelschorf eingesetzt wird. Die Stoffe sind vermutlich krebserregend, schwer hautirritierend, umwelt- und gewässerschädigend.
Pestizide wirken sich schädigend auf Bodenorganismen aus, erklärt Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur in Wien, der die Artenvielfalt im Apfelanbau beobachtet. So wurden in den "Integriert bewirtschafteten Apfelplantagen" rund 40 Prozent weniger Regenwürmer gefunden . Die Vielfalt an Bodenorganismen war hier deutlich geringer als in biologisch bewirtschafteten Plantagen.
30 bis 60 verschiedene Pestizide werden in Südtirol gespritzt. Untersuchungen zufolge fanden sich sogar in den Böden von Spielplätzen mehr als 30 verschiedene Pestizide. Viele der Wirkstoffe sind krebserregend, hormonell wirksam, greifen in den menschlichen Stoffwechsel ein und beeinflussen die Gehirnentwicklung von Kindern.
Etliche wurden deshalb bereits vom Markt genommen. Längst ist die Belastung von Böden und Umwelt durch Pestizide nachgewiesen: In Siedlungen nahe der Apfelspaliere, auf Radwegen, die mitten hindurch gehen, selbst in entlegenste Täler treibt der Wind die Pestizidwolken.
Bayer wehrt sich gegen Kritik am Einsatz von Neonicotinoiden
Im Jahr 1999 klagten französische Imker über ein rätselhaftes Bienensterben. Henri Clemént, Präsident des Imkerverbandes, wies gemeinsam mit dem Toxikologen Jean-Marc Bonmatin nach, dass das Bienensterben auf die Pestizide von Bayer zurückzuführen war. Als die Erkenntnisse öffentlich wurden, "versuchte der Konzern uns zum Schweigen zu bringen", erinnert sich der Imker im 3Sat-Inerview.
Bayer verklagte Clemént wegen übler Nachrede. Dank eines guten Anwalts gewann er den eigenen Prozess. Doch Bayer setzte auch andere Gegner, vor allem Wissenschaftler unter Druck. Ziel des Konzernes war es, die Debatte zu stoppen, um alle Agrochemikalien ungehindert und profitabel weiter verkaufen zu können.
Vom Bienensterben alarmiert, gab das Landwirtschaftsministerium eine Studie in Auftrag. Doch bevor sie überhaupt beginnen konnten, habe Bayer versucht, ihnen ihre Methodik und Schwellenwerte über das Landwirtschaftsministerium aufzudrücken, erinnert sich Jean-Marc Bonmatin. Über seine Anwälte versuchte Bayer den Toxikologen, der sich als einer der ersten kritisch mit Neonicotinoiden auseinander setzte, zum Schweigen zu bringen - ohne Erfolg.
2005 untersuchte Bonmatin die Auswirkung von mit Imidacloprid behandelten Mais auf Bienen, die auf Nahrungssuche waren. Er vermutete einen Zusammenhang mit dem Bienensterben. Dem Engagement von Jean-Marc Bonmatin und Henri Clemént ist es zu danken, dass Frankreich als erstes Land die bienengefährlichen Neonicotionoide verbot. 2018 entzog die EU die Zulassung für drei von insgesamt fünf Neonicotinoiden
Fungizide in Bordeaux-Weinen
Wer kennt sie nicht, die berühmten Weine aus Frankreich? Leider sind im feuchtwarmen Klima der Bordeaux-Appellationen die Reben besonders anfällig für Pilzkrankheiten, weshalb die Weinstöcke relativ häufig gespritzt werden müssen. Wieviele Fungizide in den Weinbergen des Bordelais pro Saison genau gespritzt werden, darüber schweigen sich die Winzer allerdings aus.
Fest steht: Unter den Gifteinsätzen leiden Flora und Fauna genauso wie die Arbeiter und Anwohner rund um die Weinberge. Als Tochter eines Winzers, der an Lungenkrebs verstorben war, hatte Valérie Murat zwanzig Weine aus dem Bordelais auf Pestizid-Rückstände testen lassen. Insgesamt 28 verschiedene Wirkstoffe wurden nachgewiesen. In den einzelnen Flaschen waren es vier bis fünfzehn Stoffe, darunter das Fungizid Iprodion, das in der EU mittlerweile verboten ist.
Die Laborergebnisse veröffentlichte sie in einem kritischen Dossier. Zudem kritisierte sie eine mit einem Schmetterling illustrierte Kennzeichnung, das den Weinen einen "hohen Wert für die Umwelt" bescheinigt. In der Diskrepanz zwischen der Bewerbung der Weine und dem hohen Einsatz von umweltschädlichen Pestiziden erkannte Murat eine eindeutige Verbrauchertäuschung.
Daraufhin wurde die Aktivistin, die im September 2020 die Bürgerinitative Alerte aux Toxiques! gründete, von einem Branchenverband für Bordeaux-Weine wegen Verunglimpfung verklagt und von einem Gericht in Libourne in erster Instanz zu einer Schadensersatzzahlung von über 125.000 Euro verurteilt.
Auch wurde die Löschung der beanstandeten Veröffentlichung innerhalb von 15 Tagen von der Website von "Alerte aux toxiques!" angeordnet. Für jeden weiteren Tag der Veröffentlichung drohte das Gericht mit einem Bußgeld von 500 Euro. Sollte die Marke der Bordeaux-Weine in Verruf geraten, befürchten die Winzer ganz offensichtlich wirtschaftliche Einbußen. Valérie Murat und ihr Anwalt jedoch knicken nicht so schnell ein: Sie kündigten an, in Berufung gehen zu wollen.
Erfolgreich im Kampf gegen Saatgut-Giganten
Vor wenigen Jahren noch verdächtigte der US-Konzern Monsanto seine Bauern, die er mit Knebelverträgen an sich band, regelmäßig von der eigenen Ernte Saatgut einzubehalten, patentiertes Saatgut nachzubauen oder zu verkaufen. Sie erhielten Drohbriefe mit der Aufforderung, eine gewisse Geldsumme zu bezahlen, um weitere langjährige Gerichtsverfahren zu vermeiden. Ob schuldig oder nicht, die meisten Bauern entschieden sich für außergerichtliche Vergleiche, um hohe Anwaltskosten zu vermeiden.
Percy Schmeiser allerdings dachte nicht daran, sich dem mächtigen Konzern zu beugen. Gemeinsam mit seiner Frau kultivierte der Bauer auf seiner 600 Hektar großen Farm gentechnikfreie, regional angepasste Rapssorten. Eines Tages wurden auf seinen Äckern gentechnisch veränderte, patent geschützte Rapspflanzen von Monsanto gefunden. Vermutlich waren sie durch den Wind oder durch Insekten dorthin geweht worden.
Anstatt ihn für die Verunreinigung zu entschädigen, verklagte Monsanto den Bauern und forderte Lizenzgebühren ein, weil auf seinen Äckern unerlaubter GMO-Raps wuchs. Es folgte ein jahrelanger Prozess, der die Familie beinahe ihre Existenz kostete. Schließlich lautete das Urteil wie folgt: Schmeiser musste weder Lizenzgebühren noch Schadenersatz zahlen, blieb jedoch auf den Prozesskosten von 400.000 kanadischen Dollar (ca. 250.000 Euro) sitzen.
Weil gentechnikfreie Rapszucht in Kanada in der Zwischenzeit unmöglich geworden war, stellte er seine Farm schließlich auf Weizen, Erbsen, Hafer und andere Feldfrüchte um. Vier Jahre später war es Percy Schmeiser, der den Konzern verklagte. Kurz vor der Verhandlung akzeptierte Monsanto schließlich außergerichtlich alle seine Forderungen und räumte auch die Verantwortung für die Kontaminationen ein.
SLAPP – Störenfriede mundtot machen
Für alle möglichen Arten von Einschüchterungsklagen gibt es einen Fachbegriff: SLAPP, kurz: "Strategic Lawsuits against Public Participation", was auf Deutsch "strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung" heißt. Betroffen sind Journalisten, Aktivisten, Medien und NGOs und andere engagierte Personen - all jene eben, die Missstände aufdecken und die mächtige Konzerne, Lobbyisten oder Verbände zum Schweigen bringen wollen.
Menschen, die ökologische, soziale und andere Missstände anprangern, sollen mundtot gemacht werden. Während langer, zäher Prozesse werden Betroffene an ihrer Arbeit gehindert, psychologisch zermürbt und finanziell ruiniert. Den Klägern geht es meist darum, ein Exempel zu statuieren und weitere Kritiker abzuschrecken. In autoritären Staaten war dies schon immer gang und gäbe.
Seit einigen Jahren wird die Methode auch in Europa von Unternehmen, Regierungen und mächtigen Einzelpersonen angewandt. Zum Beispiel im Bereich der Wirtschaftskriminalität: Gegen die ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia, die regelmäßig über Korruption und Geldwäsche berichtete und die im Oktober 2017 in ihrem Auto auf Malta in die Luft gesprengt wurde, waren insgesamt 47 SLAPP-Klagen anhängig.
Einer Untersuchung der University of Amsterdam und Greenpeace International zufolge ist Verleumdung mit 93 Prozent das am häufigsten verwendete Mittel, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. In mehr als einem Fünftel aller Fälle wurden Journalisten verleumdet, die Korruption in der Regierung untersuchten oder Missbrauch durch Unternehmen aufdeckten.
In weiteren Klagen wurde versucht, friedliche Formen des Protestes, wissenschaftliche Studien sowie die Veröffentlichung von Berichten bestimmter Interessengruppen zu unterbinden.
Nötig ist ein Gesetz gegen missbräuchliche Verleumdungsklagen
Das europaweite Bündnis CASE ein Zusammenschluss von NGOs und setzt sich für den Schutz von Journalisten, Aktivisten, Whistleblowern, Rechtsverteidigern und anderen Menschen ein, die auf Grund ihrer Arbeit von Einschüchterungen aller Art betroffen sind. Das Bündnis will die Rechte all derer schützen, die Missstände anprangern und für umfassende Reformen kämpfen. Nun endlich scheint sich etwas zu bewegen: Am 11. November 2021 votierte die Mehrheit des EU-Parlaments für einen besseren Schutz von NGOs, Zivilgesellschaft und Journalisten vor missbräuchlichen Klagen.
Es sei zu begrüßen, dass die EU-Abgeordneten dem Justizmissbrauch durch SLAPPs den Kampf angesagt haben, erklärt Veronika Feicht, Referentin für Agrarpolitik am Umweltinstitut München und appelliert an die EU-Kommission, baldmöglichst ein europäisches Anti-SLAPP-Gesetz in Form einer EU-Richtlinie vorzulegen. Längst fordert das Umweltinstitut in einer eigenen Petition dazu auf, die Meinungsfreiheit EU-weit zu schützen und derartigen Verleumdungsklagen einen Riegel vorzuschieben.
Bisher gibt es in der EU noch kein Gesetz, das diesen Missbrauch verbietet. Betroffene brauchen dringend Schutz und zwar nicht nur Personen, die in grenzüberschreitenden Fällen vor Gericht stehen, wie im Fall des Deutschen Karl Bär, der in Südtirol angeklagt ist. In den meisten Fällen werden Menschen in dem Land, in dem sie leben, vor Gericht gezerrt, so wie im Fall von Valérie Murat. Es ist an der Zeit, gegen Verleumdungsklagen auf rechtlicher Ebene aktiv zu werden.
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