Saarländische Verhältnisse: Wo Grüne und Linke sich selbst zerlegen
An der Saar brauchen die beiden Oppositionsparteien keine äußeren Feinde mehr. Die Landesliste der Grünen ist bereits von der Bundestagswahl ausgeschlossen
Das Saarland ist klein - und das ist Glück im Unglück für die Grünen, sofern ein hausgemachtes Desaster als Unglück bezeichnet werden kann. Kaum hatten die Grünen in Umfragen wieder aufgeholt und lagen in einer Erhebung bundesweit nur noch zwei Prozentpunkte hinter der Union, da entschied am Donnerstag der Bundeswahlausschuss, dass ihre Landesliste im Saarland endgültig von der Bundestagswahl ausgeschlossen wird. Dadurch können die Grünen dort nicht mit der Zweitstimme gewählt werden, was auch ihr bundesweites Abschneiden verschlechtern wird. Nur für grüne Direktkandidaten führt bei dieser Wahl noch ein Weg in den Bundestag.
Hintergrund ist ein aus dem Ruder gelaufener Streit im saarländischen Landesverband der Grünen um dessen Listenaufstellung. Die zuerst gewählte Liste hatte ein Schiedsgericht für ungültig erklärt, weil auch nicht stimmberechtigte Parteimitglieder mitgewählt haben sollen. Außerdem sei die Aufstellung von Hubert Ulrich aus Saarlouis als Spitzenkandidat ein Verstoß gegen das Frauenstatut der Partei gewesen, wonach "Frauen bei Listenwahlen bzw. Wahlvorschlägen die ungeraden Plätze vorbehalten sind" - also auch jeweils Platz eins.
Ein machtbewusster Strippenzieher
Doch das Geschlecht des Spitzenkandidaten war nicht das einzige Problem, das einige seiner Parteifreunde mit ihm hatten. Schon vor 15 Jahren stand Ulrich im Verdacht, Landesparteitage manipuliert und dominiert zu haben, indem er die Mitgliederzahlen seines Ortsverbandes überhöht angegeben habe und dementsprechend mehr Delegierte in Stellung bringen konnte. Zweifelsfrei bewiesen werden konnte das nicht. Ein entsprechender Streit im Jahr 2006 endete laut einem Bericht der taz mit einem "Friedensgespräch", in dem sich die Grünen darauf einigen, mutmaßliche Scheinmitglieder, die keine Beiträge zahlten, als "Sozialfälle" zu bezeichnen. Sozialregelungen für Erwerbslose oder Studierende sollten aber fortan "nachprüfbar schriftlich festgehalten" werden.
Einige Unregelmäßigkeiten blieben wohl. Dass die bundesweit erste "Jamaika-Koalition" aus CDU, FDP und Grünen 2009 an der Saar zustande kam - eine für die grüne Basis eher unglückliche Konstellation -, wird ganz wesentlich Ulrichs Strippenzieherei zugeschrieben. Bis heute sind er und sein phasenweise stark aufgeblähter Ortsverband etlichen Parteifreunden suspekt.
Vor dem zweiten Anlauf zur Wahl der Landesliste für die Bundestagswahl 2021 schloss das Bundesschiedsgericht der Grünen die 49 Delegierten aus Saarlouis aus - dabei soll es sich um ein Drittel aller Delegierten gehandelt haben. Nach der Neuwahl der Landesliste mit Jeanne Dillschneider als Spitzenkandidatin reichten Ulrichs Getreue Beschwerde bei der Landeswahlleiterin ein.
Der Landeswahlausschuss wertete den Ausschluss der Delegierten als Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Der Bundeswahlausschuss folgte nun dieser Auffassung. Bundeswahlleiter Georg Thiel sprach von einem "Verstoß gegen den Kernbestand von Verfahrensgrundsätzen, ohne die ein Wahlvorschlag nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schlechterdings nicht Grundlage einer demokratischen Wahl sein kann".
Auswirkungen auf die Bundestagswahl
Ob die Stimmen aus dem Saarland bei der Bundestagswahl "kriegsentscheidend" sind, ist fraglich, aber nicht ausgeschlossen, wenn die Grünen bundesweit in Umfragen weiter aufholen und es am 26. September zum "Kopf-an-Kopf-Rennen" mit den Unionsparteien kommt, die zuletzt wieder Sympathien eingebüßt haben.
Von rund 60,4 Millionen Wahlberechtigten in Deutschland leben rund 0,7 Millionen im Saarland. Im Hinblick auf die Einwohnerzahl ist es das zweitkleinste Bundesland nach Bremen. Fast die Hälfte der Wahlberechtigten lebt in den drei bevölkerungsreichsten Ländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg, wo es bei den Grünen weniger chaotisch zugeht.
Die Linke zeigt sich im Saarland ähnlich desolat
Für die Wahlberechtigten im Saarland gibt es aber noch ein weiteres Problem - denn wer dort eigentlich die Grünen wählen wollte, weil er oder sie sich davon einen effektiven Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verspricht, wird bei Vergleich der Wahlprogramme anderer Parteien feststellen, dass eigentlich Die Linke die beste Alternative wäre. Klimaneutralität bis 2035, ermöglicht durch eine "sozialökologische Investitionsoffensive" - dafür spricht sich Die Linke in ihrem Programm aus und macht zum Teil sehr konkrete Vorschläge. In ihrer scheidenden Bundestagsfraktion gibt es auch überzeugende, gut mit Umweltverbänden und sozialen Bewegungen vernetzte Persönlichkeiten, die voraussichtlich wiedergewählt werden.
Abgesehen davon wäre Die Linke für Menschen, die Umwelt- und Friedenspolitik für untrennbar halten, sowieso die bessere Wahl, seit die Grünen als ehemalige Friedens- und Ökopartei einen Narren an der Nato gefressen haben.
Aber speziell im Saarland gibt Die Linke zurzeit ein ähnliches desolates Bild ab wie die Grünen. Bei den Saar-Linken tobt seit Jahren ein Dauerkonflikt zwischen dem Parteimitgründer und Landtagsfraktionschef Oskar Lafontaine und dem Landesparteichef Thomas Lutze, der aktuell im Bundestag sitzt auch die Landesliste zur Bundestagswahl anführt. Zwei Parteimitglieder haben bei der Landeswahlleiterin beantragt, die Liste mit diesem Spitzenkandidaten nicht zuzulassen.
Wie bei den Grünen geht es auch hier um Unregelmäßigkeiten bei der Listenwahl und Manipulationen der Mitgliederstatistik - und um Stimmen, die Lutze gekauft haben soll. Zugegeben hat Lutze bereits im Jahr 2018 eine "Patenschaft" für fünf bis sechs Mitglieder, denen er auch teilweise die Beiträge finanziert habe. "Heute 'hilft' er vermutlich eher 50 bis 60 Mitgliedern bei der Beitragszahlung und einige seiner Unterstützer 'helfen' bei der Rekrutierung fingierter Mitglieder ebenfalls", erklärte Lafontaine dazu. Die Überschrift der Pressemitteilung vom 7. Juni: "Bei der kommenden Bundestagswahl kann Kandidat Lutze nicht unterstützt werden."
Die Staatsanwaltschaft nahm gegen Lutze im Frühjahr bereits Ermittlungen wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung auf. Gegen Lafontaine wurde in den eigenen Reihen ein Ausschlussverfahren angestrengt, da er im Zusammenhang mit Lutzes Machenschaften "zur Nichtwahl der eigenen Partei" aufgerufen habe. Aussicht auf Erfolg hat dieses Ausschlussverfahren allerdings kaum. Stimmen kosten dürfte die Auseinandersetzung trotzdem.
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