Saarland: Fast ein Viertel der Stimmen nutzlos
Wahl lässt Debatte über Reform des Wahlrechts wieder aufflammen: Fünf-Prozent-Hürde soll auf den Prüfstand
Das Saarland hat einen neuen Landtag gewählt, und die Sozialdemokraten haben einen fulminanten Sieg errungen. Mit 29 Sitzen im Saarbrücker Parlament ist das Ergebnis historisch gut. SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger kündigte am Montag im ARD-"Morgenmagazin" an, nun ohne Koalitionspartner regieren zu wollen.
Die Christdemokraten stürzten dagegen in der Wählergunst ab. Mehr als zwei Jahrzehnte lang war die CDU die stärkste Partei, nun rätselt sie, wie es zu diesem Absturz kommen konnte. In seiner Amtszeit hatte es der nun abgewählte CDU-Regierungschef Tobias Hans offenbar nicht vermocht, die Herzen der Saarländer zu erobern.
Ähnlich dürfte es den Linken ergangen sein. Sie hatte in der Vergangenheit viel von der Popularität Oskar Lafontaines profitiert. Nach dessen Parteiaustritt verlor die Partei mehr als zehn Prozent und rutschte unter die Fünf-Prozent-Hürde. Von einem "schwarzen Tag" für seine Partei sprach Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Linken, am Sonntag. Die Partei werde im Saarland neu aufgestellt, kündigte er an.
Austritt Lafontaine "Todesstoß" für Linke im Saarland
Dass Lafontaine kurz vor der Landtagswahl aus der Partei austrat, sei "für uns der Todesstoß" gewesen, sagte Linken-Politiker Dietmar Bartsch am Montag. Nötig sei nun eine inhaltliche Diskussion. Und es gehöre alles auf den Prüfstand.
"Nach diesen Wahlen ist ganz klar: Ein Weiter-so kann es nicht geben und ein Weiter-so wird es nicht geben", so Bartsch. Die Linke solle sich wieder auf ihre Funktion als soziale Opposition und Friedenspartei im Bundestag konzentrieren.
Grundsätzliche Kritik am Wahlausgang äußerte der Verein "Mehr Demokratie" am Montag. Denn mit 22,3 Prozent blieb fast jede vierte abgegebene Stimme wirkungslos, weil die gewählten Parteien die 5-Prozent-Hürde nicht überspringen konnten.
Der Verein verwies dabei nicht auf die vielen Kleinparteien, die unter den "Sonstigen" zusammengefasst werden, sondern auf FDP und Grüne, die ebenfalls an der Sperrklausel scheiterten. Den Grünen fehlten nur 23 Stimmen, den Liberalen knapp 1.000 Stimmen.
Parlament mit drei Parteien
"Ein Parlament, in dem nur noch drei Parteien sitzen, wird der politischen Vielfalt nicht gerecht", sagte Ralf-Uwe Beck, Vorstandssprecher des Vereins "Mehr Demokratie". Der Wille der Wähler werde hier nicht mehr richtig abgebildet. Im Saarland sei ein großer Teil der Wähler gar nicht im Parlament repräsentiert, weshalb die 5-Prozent-Hürde dringend auf den Prüfstand gehöre. Eine solche Hürde dürfe "nicht zu parteipolitischen Monokulturen führen".
Neben einer Absenkung der Sperrklausel auf drei Prozent abzusenken, schlägt der Verein vor, eine sogenannte Ersatzstimme einzuführen. Für den Fall, dass die bevorzugte Partei an der Sperrklausel scheitert, käme die abgegebene Stimme einer als Ersatz angegebenen Partei zugute. "Eine Ersatzstimme sorgt dafür, dass keine Stimme verloren geht und hilft, taktisches Wählen zu verhindern", erläuterte Beck.
Der Vorschlag einer Ersatzstimme wird unter Politikwissenschaftlern schon mehr als 30 Jahre diskutiert – ohne Erfolg. Weil sie das Wahlsystem komplexer mache, als es ohnehin schon ist, wird der Vorschlag in der Staatsrechtslehre immer wieder abgebürstet, hieß es vor einigen Jahren in der Zeitschrift für Parlamentsfragen. Doch die Kritik überzeuge nicht.
Eine Sprecherin von "Mehr Demokratie" wies auf Nachfrage von Telepolis darauf hin, dass ein Wahlsystem mit Ersatzstimme nicht viel komplizierter als das Aktuelle wäre. Solche Wahlsysteme würden zum Beispiel in Australien und Neuseeland angewandt oder bei den Bürgermeisterwahlen in London.