Sachbücher des Monats: September 2014

Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung

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Jeden Monat neu präsentiert von der Süddeutschen Zeitung, dem Norddeutschen Rundfunk, Buchjournal, Börsenblatt und Telepolis. (Die Jury )

Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen Republik. Historische Parallelen

Anhand von zwölf Indikatoren vergleicht Engels verschiedene Aspekte der Identitätskonstruktion der EU mit Krisensymptomen der ausgehenden Römischen Republik und zieht dabei zahlreiche Parallelen: Der Wandel von einer von Werteverlust, Dauerkrise, Reformstau und politischem Immobilismus gekennzeichneten Republik zu einem autoritären Imperium zeichnet sich heute auch in der EU ab. Quo vadis, Europa? Für Engels steht fest: Die europäische Demokratie steht unwiderruflich am Abgrund. Er vergleicht die Lage der Europäischen Union mit der Situation der dem Untergang geweihten späten Römischen Republik, indem er Zitate antiker Philosophen und Schriftsteller den aktuellsten Statistiken zur Lage Europas gegenüberstellt. Und entdeckt dabei verblüffende Gemeinsamkeiten: Immigrationsproblematik und Bevölkerungsrückgang, Materialismus und Globalisierung, Werteverlust und Fundamentalismus, Technokratie und Politikverdrossenheit, der Verlust von Freiheit und Demokratie all diese scheinbar so modernen Probleme brachten bereits vor 2000 Jahren die Römische Republik ins Wanken und ermöglichten die Machtergreifung von Augustus.

Europa Verlag, 544 Seiten, € 29,99

Ein Ausweg aus der Politik der Angst

Warum wurden die Attentate in Norwegen im Jahre 2011, bei denen Anders Breivik 77 Menschen tötete, von einigen Medien zunächst fast reflexartig islamischen Extremisten zugeschrieben? Warum stimmte die Schweiz über ein Verbot von Minaretten ab, obwohl es landesweit nur vier davon gibt? Martha Nussbaum identifiziert darin eine "neue religiöse Intoleranz". Ihrer Ansicht nach ist die Angst, die dahintersteckt, "irrational", weshalb sie dafür plädiert, eine "Ethik der Höflichkeit und des Anstands" zu entwickeln, um "über die Politik der Angst hinweg zu einer offenen und gleichberechtigten Zukunft gelangen". Aus dem Amerikanischen von Nikolaus de Palézieux

Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), 220 Seiten, € 39,95

Krieg & Propaganda 14 / 18

Auf der Grundlage von Gustave Le Bons Theorie der Massenpsychologie versuchen die noch jungen Propaganda-Institutionen von 1914 bis 1918 weltweit, die Bevölkerung über emotionale Themen zu Opferbereitschaft und zum Durchhalten zu mobilisieren. Gräuel- und Heldengeschichten transportierten Freund- und Feindbilder auch in die Kinderzimmer. Als kollektives Erlebnis wurde der Film zu einem neuen Träger der Propaganda. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Bildern vom Kampfgeschehen bildete hierfür eine wichtige Basis. Das Buch bietet zudem eine Chronik und 14 biografische Porträts wichtiger Propaganda-Akteure, darunter Charles Chaplin, Oskar Messter und Charles Masterman.

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg/Hirmer Verlag, 223 Seiten, € 34,90

Seit jeher befassen sich die Philosophen mit den Tugenden, Theologen hingegen räsonieren über Sünden. Doch was ist mit den ganz gewöhnlichen Lastern? In ihrem Essay ergründet Judith N. Shklar die politische und persönliche Dimension der normalen Übel Grausamkeit, Heuchelei, Snobismus, Verrat und Misanthropie. Sie folgt dabei keiner philologischen Argumentation, sondern wagt einen Streifzug durch das moralische Minenfeld der Literatur-, Theater- und Philosophiegeschichte. Das Ergebnis: Die ganz normalen Laster entpuppen sich als durchaus fruchtbar, werden sie in die richtige politische Ordnung eingefasst in einen emphatisch verstandenen Liberalismus, der fordert: Lieber frei und lasterhaft als gezwungen und moralisch rein. Aus dem Amerikanischen und mit einem Nachwort von Hannes Bajohr

Verlag Matthes & Seitz, 346 Seiten, € 29,90

Der Zweite Weltkrieg war der brutalste und folgenschwerste kriegerische Konflikt der Geschichte - mit einem bis dahin ungekannten Maß an Waffengewalt und millionenfachem Sterben bis hin zum Völkermord. Antony Beevor entwirft ein globales Panorama, das die großen Zusammenhänge dieses Krieges ebenso transparent macht wie die herrschenden politisch-ideologischen Kräfte, das Ursachen und Folgen verdeutlicht. Er folgt von Norden nach Süden und von Osten nach Westen jenen Männern, die die Welt in die größte Schlacht der Menschheitsgeschichte getrieben haben. Und er verliert dabei nie jene aus den Augen, für die dieser monströse Krieg unermessliches Leid bedeutete. Aus dem Englischen von Helmut Ettinger

C. Bertelsmann Verlag, 976 Seiten, € 39,99

Die "Verborgene Chronik 1914" erzählt - anhand privater Schicksale - von der komplizierten Vorgeschichte bis zur großen Euphorie bei Kriegsbeginn, von den frühen Siegen bis zur ersten Ernüchterung, als sich der Krieg im Westen in den Schützengräben um Somme und Marne und im Osten festfuhr. Stimmen von der Front und aus der Etappe, aus den Schützengräben in Ost und West, von den Weltmeeren, aus dem Hinterland. Von einfachen Soldaten und Offizieren, von Daheimgebliebenen, Müttern, Geliebten und Kindern, Sanitätern, Feldpastoren, Arbeitern in Munitionsfabriken, Ehefrauen. Eine Collage subjektiver Stimmen, die in ihrer Gesamtheit ein Bild des Jahres 1914 malt.

Herausgegeben vom Deutschen Tagebucharchiv

Galiani Verlag, 416 Seiten, € 24,90

Die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert sieht Herbert durch zwei Perspektiven bestimmt, die zueinander in Widerspruch stehen. Zum einen die großen Kriege und Katastrophen, die das deutsche 20. Jahrhundert in zwei Teile spalten - vor und nach 1945. Deutschland ist das Land, in dem die radikalen Ideologien von links und rechts erdacht wurden, und das einzige, in dem sie jeweils staatliche Form annahmen. Das prägt die erste wie die zweite Hälfte des Jahrhunderts. Zum anderen der Aufstieg der modernen Industriegesellschaft, der über die verschiedenen politischen Systeme hinweg zu jahrzehntelangen Auseinandersetzungen um die soziale und politische Ordnung führt. Erst 1990 scheinen sie gelöst, als der Sozialismus zusammenbricht. Aber am Ende des Jahrhunderts ist die Debatte um die Leistungen und Defizite des Kapitalismus wieder voll entbrannt. Kriege und Terror, Utopie und Politik, Kapitalismus und Sozialstaat, Sozialismus und demokratische Gesellschaft, Geschlechter und Generationen, Kultur und Lebensstile, europäische Integration und Globalisierung: Wie diese widersprüchlichen Ereignisse und Entwicklungen strukturiert und aufeinander bezogen sind, davon handelt dieses Buch.

C.H. Beck Verlag, 1451 Seiten, € 39,95

1918 ist der Krieg zu Ende, aber die Welt findet keinen Frieden. Alle Gewissheiten sind ins Wanken geraten, und so geht der Kampf weiter: zwischen Linken und Rechten, Konservativen und Modernisten, Arbeitern und Unternehmern. Nach seinem Buch "Der taumelnde Kontinent" über Europas Jahre vor dem 1. Weltkrieg führt Philipp Blom die Geschichte nun weiter bis ins Jahr 1938 und erweitert den Horizont bis in die USA. Der Jazz verbreitet ein neues Freiheitsgefühl, gleichzeitig gerät die Demokratie unter Druck. Zeitung und Radio erleben ihre besten Jahre, trotzdem brennen in Berlin die Bücher. "Die zerrissenen Jahre" macht jene Zeit anschaulich, die in den 2. Weltkrieg führte.

Carl Hanser Verlag, 576 Seiten, € 27,90

Eine Anthropologie der Modernen

Latour setzt für dieses Projekt bei der globalen Verflechtung aller Lebensbereiche an, die heute nicht zuletzt am Problem des Klimawandels sichtbar wird. Zugleich zeigt sich aber an diesem Problem auch, dass es verschiedene Handlungssphären gibt, die jeweils eigene Existenzweisen besitzen: Politiker, die sich mit dem Klimaproblem befassen, sind eben keine Wissenschaftler, die Klimaforschung betreiben, und Unternehmer orientieren sich zunächst an den Maßgaben der Wirtschaftlichkeit; wissenschaftliche Ergebnisse werden daher nicht einfach in politische und ökonomische Handlungen übersetzt. Dennoch sind für Latour diese verschiedenen Existenzmodi nicht unabhängig voneinander, sondern durchdringen einander und kreieren gemeinsam Probleme, die es in der Folge auch gemeinsam zu lösen gilt. Es bedarf daher einer neuen Form der "Diplomatie", die zwischen den einzelnen Existenzweisen vermittelt. Aus dem Französischen von Gustav Roßler

Suhrkamp Verlag, 666 Seiten, € 27,90

Arzt - Abenteurer - Afrikaforscher

Die Abenteuer des als Emin Pascha berühmt gewordenen Isaak Eduard Schnitzer (1840-1892) haben seit dem Kaiserreich Generationen von Lesern fasziniert. Der gebürtige Schlesier, der als Arzt, Forschungsreisender und Gouverneur auf dem Balkan, in der Türkei und schließlich im türkisch-ägyptischen Sudan aktiv war, wurde zum Mythos. Als Jude geboren, evangelisch getauft und zuletzt zum Islam konvertiert: Emin Paschas Biographie ist nicht nur höchst facettenreich, sondern eröffnet neue Perspektiven auf das Zeitalter des Kolonialismus.

Ferdinand Schöningh Verlag, 343 Seiten, € 39,90

Besondere Empfehlung des Monats September von Jens Bisky:

Ein Briefwechsel

DDR, 1982: Auch in Ost-Berlin, Leipzig und Dresden gibt es eine Jeans und Parka tragende Generation, die aufbegehrt. Zu ihr gehört der siebzehnjährige Schüler Stefan Berg, der dem bekannten Autor Günter de Bruyn einen Brief schreibt, in dem er ihm für einen mutigen Vortrag zur Friedensbewegung dankt. In der Folge entwickelt sich ein freundschaftlicher Briefwechsel, in dem es um Literatur und Politik, vor allem aber um ein zentrales Thema geht: das Leben des jungen Wehrpflichtigen Stefan Berg als sogenannter Bausoldat. Ein einzigartiges Dokument, das die Sehnsucht nach Freiheit - nur wenige Jahre vor dem Mauerfall - für heutige Leser spürbar und erlebbar macht.

S. Fischer Verlag, 144 Seiten, € 17,90

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