Sachsen-Anhalt gegen den Genderstern: Wenn Emotionen die Fakten verdrängen
Neue Schulregeln in Sachsen-Anhalt: Gendern wird zum Tabu. Die Erregungskurve zeigt steil nach oben. Doch was steckt wirklich hinter dem kontroversen Verbot? Ein Kommentar.
In Sachsen-Anhalt hat das neue Schuljahr begonnen – und es beginnt mit einer Veränderung: Ab jetzt ist Gendern an den Schulen nicht mehr erlaubt. Diese Entscheidung hatte Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) den Lehrern vor wenigen Tagen in einem Brief mitgeteilt.
Die Reaktionen darauf gehen – wie sollte es auch anders sein – weit auseinander. Die Grünen sehen sich plötzlich im Kulturkampf. Die FDP rät dazu, einmal durchzuatmen und sich zu beruhigen. Und die Sozialdemokraten glauben, die Ministerin hätte die Prioritäten falsch gesetzt. Die Lehrergewerkschaft GEW mahnt, die Gesellschaft von Sachsen-Anhalt drifte angesichts solcher Entscheidungen nur noch weiter auseinander.
So mancher Lehrer hat im Kurznachrichtendienst X (früher: Twitter) seinen Frust in die Welt hinausposaunt. Der Politiklehrer "Raphael" erklärte, ihm sei es jetzt untersagt, bestimmte Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung zu nutzen. Er schreibt weiter: "In einem Teil Deutschlands sind nun offiziell wieder Fach- und Lehrbücher verboten!! Ich hätte nie geglaubt, so etwas zu erleben".
Vermutlich wäre es besser gewesen, der Politiklehrer "Raphael" hätte sich den Rat der FDP zu Herzen genommen und einmal kräftig durchgeatmet, bevor er sich echauffiert. Denn, wie sich herausstellte, ist es nicht ganz richtig, was er behauptete. X-Nutzer stellten seinem "Tweet" Kontext zur Seite und rückten seine Behauptung wieder gerade.
Das Verbot gilt nämlich nicht für Lehrmaterialien, auch nicht für Materialien der Bundeszentrale für politische Bildung. Gegenüber dem MDR erklärte das Bildungsministerium von Sachsen-Anhalt: "Lernmaterialien anderer Institutionen liegen nicht im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Materialien nicht im Unterricht verwendet werden dürfen." Es bestünden schließlich auch keine inhaltlichen Fehler, sondern nur ein Abweichen von der derzeit gültigen Rechtschreibnorm.
Letztlich geht es bei der Entscheidung des Ministeriums um die Rechtschreibnorm, wie sie vom Rat für Deutsche Rechtschreibung festgelegt wird. Erst vor wenigen Wochen sprach sich der Rat dagegen aus, bestimmte Formen des Genderns in die Norm zu übernehmen. Genderstern, Unterstrich und andere Schreibweisen könnten zu Problemen mit der Grammatik führen, etwa bei der Verwendung von Artikeln und Pronomen.
Der Rat vertritt bislang auch die Auffassung, dass eine geschlechtergerechte Sprache eine gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Aufgabe sei. Und sie könne nicht mit einer Änderung orthografischer Regeln und der Rechtschreibung gelöst werden.
Das gelte auch deshalb, weil die geschriebene Sprache barrierefrei sein soll. Sie müsse auf die Menschen Rücksicht nehmen, denen es schwerfalle, auch nur einfache Texte zu lesen oder zu schreiben, sowie auf die, die Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache lernen. Mit anderen Worten: Die geschriebene Sprache darf nicht diskriminieren, was sie in gegenderter Form offenbar tut.
Die bundesweite Kultusministerkonferenz – und damit die Bildungsminister aller Bundesländer – berufen sich auf den Rat für Deutsche Rechtschreibung. Allerdings würden die Bundesländer die Rechtschreibnorm unterschiedlich interpretieren, schrieb die Leipziger Volkszeitung im Juli.
Das Gender-Verbot in Sachsen-Anhalt ist kein populistischer Ausrutscher eines einzelnen Bundeslandes. Zuvor hatte auch Sachsen eine entsprechende Regelung verkündet. Beide Bundesländer untersagen den Gebrauch von Genderstern und Co. im Unterricht und in der Kommunikation nach außen.
Sie empfehlen aber, Schreibweisen wie "Schülerinnen und Schüler" oder neutrale Begriffe wie "Lehrkraft" zu benutzen. Gendern Schüler in Aufsätzen oder Arbeiten, dann gilt dies offiziell als Fehler. Die Lehrer sind aber angehalten, mit Augenmaß zu entscheiden. Mit anderen Worten: Gegenderte Wortformen gelten als Fehler, müssen aber nicht unbedingt zum Abzug von Punkten führen.
Insofern bleibt zu konstatieren: Die Empörung mancher Akteure war groß – letztlich aber nur heiße Luft.