Säkularere USA
Auch in den Bush-Jahren stieg der Anteil der nicht religiösen Amerikaner
In den 1990er Jahren lernte der Europäer, dass in den USA, anders als es die populäre Kultur des Landes nahe legte, eine deutliche Bevölkerungsmehrheit sehr stark dem Christentum verhaftet ist. Was Anfangs noch Verwunderung auslöste, wurde bald darauf zum Klischee. Nun rückt eine umfassende Studie zur Religiosität der Amerikaner das Bild wieder ein wenig in die andere Richtung.
Für die dritte große American Religious Identification Survey (ARIS) seit 1990 wurden von Februar bis November 2008 in den gesamten USA Daten gesammelt. Am Montag erschien die Auswertung dieser Befragungen. Danach hat sich der Bevölkerungsanteil von Personen, die sich selbst als nicht religiös bezeichnen, nahezu verdoppelt. Allerdings schwächte sich das Wachstum in den letzten acht Jahren deutlich ab: 1990 betrug der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung 8,2 Prozent, 2001 14,2 Prozent und 2008 15 Prozent.
Mit 0,7 Prozent der Bevölkerung machen die expliziten Atheisten nur einen relativ kleinen Teil der Nichtreligiösen aus. Allerdings stieg ihre Zahl seit 2001 stark überproportional von 900.000 auf 1,6 Millionen, was möglicherweise eine Abwehrreaktion auf die Bemühungen fundamentalistischer Christen in Politik und Medien war. Auch im Zuge solcher Bemühungen entstandene Bücher wie Christopher Hitchens God Is Not Great: How Religion Poisons Everything und Filme wie Bill Mahers Religulous führen den Autoren der Studie zufolge dazu, dass sich Nichtreligiöse stärker als explizite Atheisten bekennen.
Die Nichtreligiösen waren die einzige Gruppe, die in jedem der 48 untersuchten amerikanischen Bundesstaaten zulegen konnte. Ihr Zentrum haben sie mittlerweile nicht mehr an der Nordwestküste, sondern in Neuengland - und damit ausgerechnet in jenem Gebiet, in dem vor fast 400 Jahren die frommen Pilgerväter ihre religiösen Mustersiedlungen errichteten. Am höchsten ist der Anteil dieser Gruppe mit 34 Prozent in Vermont, dem Bundesstaat, der mit Bernie Sanders den einzigen sozialistischen Senator in den Kongress wählte.
Während der Anteil der Nichtreligiösen stieg, sank jener der bekennenden Christen. Allerdings schwächte sich auch hier der Trend ab: 1990 lag deren Anteil bei 86,2 Prozent, dann sank er bis 2001 auf 76,7 und nunmehr 76 Prozent. Am deutlichsten fiel der Rückgang bei den protestantischen "Mainline Churches" aus. Vor allem Methodisten, Lutheraner, Presbyterianer und Episkopale verbuchten schwere Verluste. War der Anteil dieser vier Gruppen zwischen 1990 und 2001 noch relativ gemächlich von 18,5 auf 16,5 Prozent zurückgegangen, so schrumpfte er in den acht Jahren danach deutlich schneller auf nunmehr 12,6 Prozent. Aber auch die Baptisten, die zweitgrößte Konfession nach den Katholiken, verloren massiv von vorher 19,3 auf jetzt nur mehr 15,8 Prozent.
Anteilsmäßig gestiegen ist dagegen der Anteil jener Amerikaner, die sich selbst als "Evangelikale", "Wiedergeborene", "nicht konfessionell gebundene Christen" oder einfach nur als "Christen" bezeichnen. Hinter den beiden letzten Gruppen verbergen sich den Erläuterungen zur Studie zufolge viele Anhänger von "Megachurches", obwohl nicht ganz klar wird, warum nicht auch weniger evangelikal geprägte Personen diese bequem-breite Kategorie wählen sollten. Allerdings scheinen die Begrifflichkeiten 2008 verschwommener als früher: Weil sich mittlerweile auch 38,6 Prozent der "Mainline Protestants" mit Begriffen wie "evangelikal" oder "wiedergeboren" identifizieren, spricht Mark Silk, der Leiter des Trinity College Program on Public Values, bereits davon, dass das "Zweiparteiensystem des amerikanischen Protestantismus", die Unterscheidung in "Mainline" und "Evangelikal", zusammenbricht.
Der Anteil der Katholiken blieb zwar mit 26,2 Prozent 1990, 24,5 Prozent 2001 und 25,1 Prozent 2008 relativ gleich, allerdings täuscht dies darüber hinweg, dass sich die Zusammensetzung und der geographischen Schwerpunkt dieser Gruppe massiv änderten. Hatte der amerikanische Katholizismus früher seine Zentren im Nordosten und im Mittelwesten, wo viele Iren, Polen und Italiener lebten, so liegen sie nun dank der Einwanderung von Lateinamerikanern eindeutig im Sunbelt: Während in den Neuengland-Staaten der Anteil der romorientierten Christen zwischen 1990 und 2008 von 50 auf 36 Prozent und in New York von 44 auf 37 Prozent zurückging, stieg er in Kalifornien von 29 auf 37 und in Texas von 23 auf 32 Prozent.
Der moslemische Bevölkerungsanteil wuchs von 0,3 Prozent 1990 auf 0,5 Prozent 2001 und 0,6 Prozent 2008. Anders die "östlichen" Religionen wie Buddhismus und Hinduismus, deren Zahl sich zwar in den 1990ern mehr als verdoppelte, seitdem aber zurückgeht und nun von knapp über auf knapp unter zwei Millionen sank. Das liegt offenbar auch daran, dass sich ostasiatische Einwanderer schneller säkularisieren als andere: Bei Weißen, Schwarzen und Lateinamerikanern liegt der Anteil Nichtreligiöser deutlich niedriger als bei ihnen.
Neben der Zugehörigkeit zu einer dieser vier Gruppen fragten die Wissenschaftler für die Studie auch den Bildungsstand der Angehörigen der einzelnen Religionen ab. Dort führen mittlerweile die Anhänger "östlicher" Religionen, von denen 59 Prozent einen Collegeabschluss haben, vor den Juden, die 1990 noch an erster Stelle lagen. Alle anderen Gruppen landen deutlich abgeschlagen dahinter: Bei Mainline-Protestanten liegt der Anteil bei 35 Prozent, bei Nichtreligiösen bei 31, bei Katholiken bei 25 und bei Baptisten bei 16. Am wenigsten gebildet sind Pfingstler - eine Glaubensrichtung, der beispielsweise Sarah Palin anhing. Von ihnen haben lediglich 13 Prozent einen Collegeabschluss.