Säule, Zitat und seichte Ironie

Seite 2: Gebaute Atmosphären

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Denn die Postmoderne in Architektur und Städtebau hat implizit die Frage nach Atmosphäre und Anmutungsqualität aufgeworfen, mithin den Umstand thematisiert, dass Schönheit in der gebauten Umwelt allzu oft vernachlässigt wird. Das war, einerseits, unbequem, weil es an den "modernen" Idealen und (vermeintlichen) Wahrheiten des Metiers rüttelte. Andererseits haben uns die baulichen Hervorbringungen dieser Zeit das Städtische zwar wieder näher-, doch zugleich viele Kopfgeburten hervorgebracht, in denen Brüche zelebriert wurden, das Fragment-Zitat als allein seligmachend galt und architektonische Typologien frei erfunden oder zur Unkenntlichkeit verzerrt wurden. Beides hat vermutlich dazu beigetragen, die Postmoderne als Rekurs auf bloße Geschmacksfragen abzutun - und alsbald wieder ad acta zu legen.

Beispiele wenig gelungener postmoderner Architektur (München/Neuhausen, Dornach). Bilder: TP

Heute könnte man sagen: Vielleicht etwas vorschnell! Abstrakte Schönheit gleichsam rational herzustellen, ist oft ein Anliegen klassischer Planung. Allerdings auch ein Vorsatz, der sich mit den Grundbedürfnissen des Menschen nicht recht zu vertragen scheint. In der dünnen Höhenluft ästhetischer Sphären hält es der Normalbürger nicht lange aus. In diesem Kontext ist der Begriff der Atmosphäre hilfreich - weil er gewissermaßen ein Defizit benennt. Denn es sind nicht ideale Proportionsverhältnisse wie der Goldene Schnitt und nicht der metrische, euklidische Raum, die den Menschen anrühren. Es ist vielmehr der Ort mit seinen Beziehungen und seiner Aura, der alle Sinne anspricht. Es sind die Schwingungen, es ist die Akustik, die Stimmung des Lichts, der Farbe und der Materialien mit ihren sinnlichen Qualitäten, die zum Anfassen, Anfühlen animieren.

Ähnlich verhält es sich in der nächsthöheren Raumkategorie; es heißt ja nicht zu Unrecht, die öffentlichen Räume formen das Gedächtnis der Stadt. Hinter dieser poetischen Formulierung verbirgt sich ein über die Jahrhunderte ausgebildetes westliches Stadtverständnis, das von der Prägekraft von Raumfiguren auf stadtgesellschaftliche Wirklichkeit ausgeht.

Dabei ist es ja mit geschlossenen Stadtbildern nicht weit her. Wobei das zentrale Problem beim zeitgenössischen Urbanismus wohl zu allem Überfluss lautet: All das ist geplant! Für jede einzelne Ansiedlung gibt es einen Grund, aber in der Gesamtheit leuchtet die Logik nicht recht ein. Nach wie vor herrscht eine auf die Optimierung einzelner Funktionen ausgerichtete räumliche Organisation. Deren Vernunft orientiert sich an den immer gleichen Kriterien - nämlich Minimierung der Kosten und Maximierung der Nutzbarkeit. Und das Besondere von Orten im Sinne von Anmutungsqualität und Identitätsbildung schmilzt einfach weg.

Eigentlich kann es sich niemand so wenig leisten wie Architekten, sich in der Entwurfsarbeit nur auf die Eigenwahrnehmung zu verlassen. Gerade sie müssen die Wahrnehmungen von Menschen berücksichtigen, die ihnen mental und sozial eher fern stehen. Scheint es doch unmöglich zu sein, Objekte objektiv zu betrachten. Wie eine Folie überziehen Fiktionen, Vorstellungen und Vermutungen die Gehäuse. Das Atmosphärische entsteht größtenteils in den Köpfen der Betrachter. Wahrgenommen wird gemeinhin, worauf man schon im Vorhinein festgelegt war. Auch Blicke sind Zeitströmungen und sozialen Übereinkünften unterworfen. Gleichwohl scheinen Architekten sich gerne darauf zu verständigen, dass die Wahrnehmung von Laien, Bauherrn usw. beeinträchtigt sei von Vorurteilen, von familiären Formzwängen, und nur allzu oft angelesenen, fragwürdigen Empfehlungen von Publikumszeitschriften gehorche.

Was bedeutet es, wenn man glaubt, die eigene Anschauung der gebauten Welt sei eine allgemeingültige? Wird "Atmosphäre" nun anderweitig vereinnahmt - nämlich als Grundbegriff des Entwerfens von postmodernen Gesamtkunstwerken, was nur zu oft einmündet in die Konfektionierung von Raum-Bühnen? Was hat uns die Postmoderne heute noch zu bieten - und was eher nicht?

Sicherlich stellt sie weiterhin eine kulturtheoretische Herausforderung dar, und zwar in vielerlei Hinsicht. Man sollte aber auch anerkennen, dass zwar vor dreißig Jahren die Aufrufe, das "Projekt der Moderne" als "unvollendet" zu betrachten, an der Gemengelage politischer, ökonomischer und kultureller Realitäten zerschellt sein mögen. Aber nun sind sie wieder wichtig, gerade weil sich die Freiheitsversprechen neoliberaler Politik mit den Unfreiheits-Verfestigungen der digitalen Revolution verschränken. Wie veränderten sich die Architektur und ihre Theoriebildung durch die Postmoderne? Welchen Beitrag kann ihr Gedankengut heute für die Gestaltung der Umwelt - noch oder erneut - leisten? Liegt nicht ein Wesenskern der Postmoderne in ihrem Mobilisierungsvermögen?

Genau das ist doch auch heute wieder von eminenter Bedeutung. Gegen den derzeitigen, ungehinderten Zugriff der Immobilienwirtschaft auf alles, was nicht niet- und nagelfest ist, müssen sich erneut Stadtbürger mit Kunsthistorikern und Architekten solidarisieren. Dabei geht es um die Verteidigung jener Architektur- und Stadtplanungen, die ihnen eine "Heimat" bilden. Heimat orientiert sich dabei nicht allein an vermeintlichen Schönheitskonstanten, sondern an dem, was Architekten lernen: an Identifikationsangeboten, die für keine Epoche zuvor gelten können, weil sich sozioökonomische oder auch technisch-naturwissenschaftliche Kontexte nie wiederholen. Das sind existenzielle Themen - nicht nur für Architekten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.