Safari und Trophäenjagd: Wenn Indigene dem "Naturschutz" weichen müssen
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Der Vorfall Anfang Juni war kein Einzelfall. Immer wieder wird auf die Massai geschossen, nur weil sie auf ihrem angestammten Land in Frieden leben wollen. Zahllose unschuldige Menschen werden geschlagen, verletzt und ermordet, darunter auch Kinder und Menschen mit Behinderungen, berichten die Massai.
Kinder streifen allein umher, Menschen schlafen unter freiem Himmel, viele sind ohne Nahrung. Die Regierung weigere sich, die Verletzten zu behandeln. "Sie wollen unser Land, weil wir Wasserquellen haben, und wir haben sie, weil wir sie schützen", erklärt ein Einwohner. Dabei leben wir schon seit Generationen mit den Wildtieren zusammen."
Nicht nur Lebensgrundlagen und Lebensweise der Massai werden zerstört, sondern auch die Landschaft, die sie seit Generationen gepflegt und geschützt haben. Subsistenzlandwirtschaft, Viehzucht oder der Zugang zu Wasser wird dabei immer weiter eingeschränkt und bleibt ihnen schließlich verwehrt.
Ein weiteres Beispiel ist die umstrittene Gründung des Nationalparks Messok Dja im Nordwesten der Republik Kongo. In der Region leben rund 24.000 Menschen in 67 Dörfern, die meisten gehören zum Volk der Baka. Die traditionellen Urwaldbewohner ernähren sich von der Landwirtschaft, vom Fischen und von der Jagd.
Das Problem sei, dass die Baka im Wald nicht nur Heilkräuter sammeln, sondern auch Elefanten jagen würden, sagt der WWF. Es müsse ein Konsens gefunden werden, wie sie in einem Teil des Waldes ihrem traditionellen Lebensstil nachgehen können, ohne die Gründung des Parks generell abzulehnen.
Die Baka in den Wäldern des Messok-Dja jedoch sprachen sich bereits 2018 eindeutig gegen die Errichtung eines Parks aus. Damals beschrieben Dorfbewohner in ihren Briefen, die an die EU adressiert waren, Menschenrechtsverletzungen, systematische Vertreibungen und gewaltsame Übergriffe durch Wildhüter. Nur selten werden die Täter für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen.
Indien: Menschenrechte im Namen des Naturschutzes verletzt
Vertreibung indigener Einwohner gibt es auch in Indien – betroffen sind zum Beispiel die Chenchu in den Tiger-Reservaten Amrabad und Nagarjunasagar-Srisailam. Die Chenchu haben ihre Umwelt Jahrtausende lang geformt, gepflegt und geschützt. Sie verstehen den Wald und seine Wildtiere besser als Außenstehende.
Bereits früher wurden sie aus dem Wald vertrieben. Nun droht ihnen erneut Vertreibung. Nach indischem Gesetz dürfen Indigene jedoch nur umgesiedelt werden, wenn sie Flora und Fauna irreversibel Schaden zufügen, so dass eine Koexistenz mit Wildtieren nicht möglich ist. Von den 750 Familien, die in den 1980er-Jahren ursprünglich in diesem Dorf wohnten, haben nur 160 Familien die Umsiedlung überlebt, berichtet eine Chenchu-Frau.
So sicher wie im Wald werden sie nirgendwo leben können. Denn das Überleben außerhalb des Waldes hängt von Besitz und Geld ab, worüber sie kaum oder gar nicht verfügen.
Ob in Tansania, Kenia, Kongo oder Indien - weder hier noch dort sind die Ureinwohner wilde Horden, vor denen man erhaltenswerte Savannen oder Wälder schützen muss. Im Gegenteil – eine Reihe von Untersuchungen deutet darauf hin, dass Landrechte der Schlüssel für guten Naturschutz sind. Und dass die Indigenen im Gegensatz zu vom Staat oder von NGOs verwalteten Territorien oft die größere Expertise mitbringen.
Ureinwohner schützen die Natur am besten
Weltweit werden täglich Menschenrechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften verletzt. Diese Verstöße sind systematisch und folgen aus dem vorherrschenden Naturschutzmodell, das auf Rassismus und Kolonialismus beruht.
Vor allem beruht es auf dem Irrtum, dass man den Indigenen nicht die Kontrolle über ihr eigenes Land und die dort lebenden Tiere anvertrauen kann. Seine Befürworter sehen in den ursprünglichen Hütern des Landes ein "Hindernis". Viele dieser Gebiete stehen heute nur deshalb unter Naturschutz, weil die ursprünglichen Bewohner ihr Land und ihre Tierwelt so gut gepflegt haben.
Immer häufiger wehren sich die Indigenen gegen die Vertreibungen. Etwa das Volk der Sengwer, dass seit Hunderten von Jahren im Embout-Wald in Westkenia lebt. Die kenianische Regierung behauptet, dass sie die Vielfalt des Waldes bewahrt, indem sie die Ureinwohner umsiedeln, die ihn bisher geschützt haben. Doch die rund 14.000 Menschen wollen weiterhin in dem Wald leben, in dem ihre Ahnen beerdigt sind.
In einem aktuellen Brief wenden sich die Sengwer öffentlich gegen ihre Vertreibung. Sie fordern westliche Geldgeber auf, die Finanzierung von Naturschutzprojekten, die Vertreibungen und Diebstahl von Land beteiligt sind, einzustellen. "Wollen Sie Naturschutz betreiben, müssen Sie als Erstes die Landrechte für uns, die Sengwer und andere indigene Völker sichern", schreiben sie.
Tatsächlich belegen etliche Studien, dass sich indigene Völker so gut um die Pflanzen und Tiere in ihrer Umgebung kümmern wie niemand sonst. Denn die Tabus und Praktiken haben ihren Ursprung in ihren Kulturen und dienen sowohl der sozialen Ordnung als auch dem Schutz ihrer Lebensgrundlagen. Dies wiederum erhält Flora und Fauna.
Deutschland ist für Vertreibungen mitverantwortlich
Eine Naturschutzorganisation braucht aber nur zu behaupten, dass die Indigenen das Gebiet zerstören, in dem sie leben. Wenn sie auf eine Regierung trifft, die mehr Tourismus ins Land holen will und der Indigene schon immer ein Dorn im Auge waren, dann wird daraus schnell eine unheilvolle Allianz, erklärt Julia Poppe von Survival International. Auf diese Weise werden postkoloniale Naturschutzkonzepte der 1950er-Jahre bis in die heutige Zeit fortgesetzt.
Als wichtige Geldgeber für Naturschutzprojekte sind deutsche Organisationen wie die Deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) maßgeblich an der Gestaltung der Naturschutzpolitik wie der in Tansania beteiligt. So werden Gehälter für Wildhüter im Kongo-Becken mit deutschen oder europäischen Steuergeldern finanziert.
Ein beträchtlicher Teil davon fließt in Projekte, die die Rechte indigener Völker verletzen und die Artenvielfalt eher bedrohen als retten. Auch die Zoologische Gesellschaft Frankfurt unterstützt Wildhüter und Mitarbeiter der Naturschutzbehörde, von denen die Massai berichten, dass einige in die jüngsten Vertreibungen verwickelt waren.
Immer wieder kommt es zu Landraub, schweren Menschenrechtsverletzungen an Indigenen, unter anderem durch Folter, Mord und Vergewaltigung, wie etwa bei der Vertreibung der indigenen Batwa im Kongo, deren Dörfer durch paramilitärische Ranger niedergebrannt wurden.
Auch der WWF fällt in diesem Zusammenhang immer wieder durch Verletzung von Menschenrechten auf. So untersuchte das unabhängige Beraterunternehmen Löning die Vorwürfe gegen die Naturschutzorganisation im Zusammenhang mit ihrer Naturschutzarbeit im Kongo.
WWF Deutschland befinde sich in dem Dilemma, dass seine Naturschutzbestrebungen der ursprünglichen Zielsetzung entgegenstehen, nämlich an einer Zukunft zu arbeiten, in der Menschen in Einklang mit der Natur leben, konstatieren die Autoren. Die Arbeit in ‚militarisierten‘ Umgebungen könne zu einer tieferen Verwicklung in Konfliktdynamiken führen, die letztlich auch den Naturschutz gefährden.