"Sag mir erst, wie alt Du bist"

Impressumspflichten und Altersnachweise: Nebenwirkungen und Kollateralschäden des Kinder- und Jugendschutzes Teil 1

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Wer sich in regelmäßigen Abständen die Nachrichten zum Thema Zensur oder Überwachung anschaut, der wird zwangsläufig über die vier infokalyptischen Reiter stolpern. Kinderpornographie, einer der Reiter, dient sowohl Politikern als auch Strafverfolgern als Begründung für den Wunsch nach Vorratsdatenspeicherung, die Kriminalisierung von Anonymisierungsdiensten oder dem Ruf nach neuen verschärften Gesetzen, insbesondere im Hinblick auf das Internet.

In Bezug auf die Kinderpornographie wird die Diskussion nicht selten weniger auf Basis von Argumenten als auf der von Emotionen geführt. Hierbei spielt der Faktor 1 eine wichtige Rolle, die Betonung der Wichtigkeit und Legitimation der Maßnahmen, selbst wenn diese das Verhältnismäßigkeitsprinzip verletzen, sofern nur die Möglichkeit besteht, ein Fall könne aufgeklärt, ein Kind gerettet, ein Täter gefasst werden. Wie auch beim Terrorismus werden Gegenargumente, die sich auf Bürgerrechte oder auf den Datenschutz beziehen, als Gleichgültigkeit, Gefühllosigkeit oder gar Sympathie für die Täter deklariert. Der Argumentierende wird somit in eine Situation manövriert, in der er, beharrt er auf den Argumenten, letztlich als Mittäter dargestellt wird. Im Kampf gegen die vier Reiter sind die Bürgerrechte und die Privatsphäre (so man in der kriegerischen Sprache bleiben will) Kollateralschäden.

Altersnachweise für jede Oberweite?

Ein Beispiel dafür, wie Maßnahmen gegen Kinderpornographie nicht nur die Privatsphäre vieler gefährden, sondern auch teilweise nicht erfüllbare Auflagen mit sich bringen, ist die jüngst in den USA verabschiedete Gesetzgebung zur Datenspeicherung und Kennzeichnung von Daten. Diese soll gewährleisten, dass offen sexuelles Material, das Minderjährige zeigt, nicht mehr veröffentlicht werden kann. Das Prinzip hinter dem kurz als USC 2257 bezeichneten Gesetz ist denkbar einfach: Wer solches Material veröffentlicht, muss sicherstellen, dass dieses nicht Minderjährige zeigt und dementsprechend die persönlichen Daten des oder der Abgebildeten vorrätig halten.

Hierbei sind auch Teilabbildungen gemeint, so dass die Betreiber von Seiten, die z.B. männliche oder weibliche primäre (oder sekundäre) Geschlechtsmerkmale zeigen, entsprechende Daten sammeln und speichern müssen. Es soll nicht möglich sein, dass beispielsweise der Penis eines Siebzehnjährigen gezeigt wird, weil man eben nicht weiß, dass es sich um das Geschlechtsmerkmal eines Minderjährigen handelt. Dass z.B. ein Rate my boner in der jetzigen Form nicht mehr möglich ist, ist nur allzu logisch, die Schließung der Seite eine zwangsläufige Folge der neuen Regelungen.

Andere Webseitenbetreiber betonen schon vorausschauend, dass ihre Bilder zwar Nacktheit zeigen, jedoch nicht sexuell explizit im Sinne des USC 2257 sind. Die gespeicherten Daten müssen zusätzlich auch jedem Sekundärverwerter zugänglich gemacht bzw. auch von diesem gespeichert werden, so dass z.B. auch der Geburtsname eines Pornodarstellers nicht nur der Produktionsfirma sondern auch Anbietern der Filme vorliegen muss.

Infos für den Stalker frei Haus

Doch die Regelungen gehen noch weiter. So müssen Betreiber von offenherzigen Web(cam)angeboten nunmehr ein Impressum ihrer Seite hinzufügen. Bei kostenpflichtigen Angeboten besteht jetzt schon die Möglichkeit, die Anbieter zu kontaktieren, so zum Beispiel bei Abrechnungsproblemen. Die neue Gesetzgebung aber setzt jeden, der sich freizügig im Internet zur Schau stellt, dem privaten Exhibitionismus frönt, automatisch auf den Präsentierteller für Stalker, religiöse und sonstige Fanatiker und dergleichen mehr. Diesbezüglich zeigt sich das Department of Justice allerdings sorglos und sieht keinen Zusammenhang in einem möglichen Verbrechen wie dem Stalking eines Pornostars und der Tatsache, dass die Kontaktinformationen nunmehr für jeden abrufbar sein müssen.

My favorite part of the DOJ's discussion of the new regulation in the Federal Register is where it denies that "a hypothetically possible crime, such as the stalking of a performer," could be "in any way tied to the dissemination of the information about a performer." In other words, the most powerful law enforcement organization in the land doesn't get the connection between stalking crimes and keeping the real names and addresses of porn actors on file at an address made available to the general public. Kind of makes it obvious why the DOJ is having a hard time dealing with terrorism, doesn't it? I mean, what exactly is the connection between a bad guy knowing the name and address of his target and his committing a crime against that target? Sounds pretty hypothetical to me.

Annalee Newitz, AlterNet

20 Stunden pro Woche sind ferner die Geschäftsräume für jederzeitige Überprüfungen zu öffnen, wobei sich die Frage stellt, was der Geschäftsraum einer Dame ist, die eine private Webcam betreibt. Der Logik folgend, dass derjenige, der sich zur Schau stellt, sowieso auf Privatsphäre verzichtet, wird er oder sie genötigt, Name, Adresse und Kontaktinformationen zu veröffentlichen. Angaben, die nebenbei bemerkt natürlich auch für Gewerbetreibende von Interesse sein dürften.

Durchsuchungen ohne Grund und Verdacht

Im Bestreben, einen Kampf gegen Kinderpornographie dadurch zu führen, dass Bilder klassifiziert und Daten gesammelt werden, geht man mit dem USC 2257 noch einen Schritt weiter als bisher: demjenigen, der entsprechend offen sexuelles Material zur Verfügung stellt, muss nicht mehr nachgewiesen werden, dass es sich um Kinderpornographie handelt; er muss vielmehr sicherstellen, dass es sich nicht darum handelt. Hierbei ist übrigens anzumerken, dass die Identität des Volljährigen nicht wie bisher z.B. durch einen Studentenausweis belegt werden kann, Führerschein oder eine offizielle ID-Card sind laut Sec.75.1 (b) vorgeschrieben.

Auch ausländische Personalausweise und Pässe gelten nur dann, wenn sowohl der oder die Abgebildete als auch derjenige, der die Daten sammeln muss, sich außerhalb der USA aufhalten. Dies bedeutet für einen Großteil der Webseitenbetreiber, dass nicht unerhebliche Mengen ihres Materials rückwirkend illegal werden, da ein Nachweis für die Volljährigkeit des oder der Abgebildeten nicht erbracht werden kann und sich der USC 2257 auch auf jedes Material bezieht, dass nach dem 3. Juli 1995 angefertigt wurde. Dies gilt auch für Abbildungen, die eindeutig erkennen lassen, dass es sich nicht um Minderjährige handelt. Und auch in Bezug auf Hausdurchsuchungen gibt es mit dem neuen Gesetz eine Umkehr von der bisherigen Praxis. So sind Durchsuchungen der Orte, an denen die vorgeschriebenen Daten gespeichert und vorgehalten werden, jederzeit möglich – verdachtsunabhängig, unbegründet und auch ohne gerichtliche Überprüfung.

Vertreter der Free Speech im Sine der US-amerikanischen Verfassung sehen im USC 2257 eine erhebliche Gefahr. Er wird auf jeden Fall, bei strikter Anwendung, dazu führen, dass etliche in den USA beheimatete Seiten mit sexuell explizitem Material entweder ins Ausland abwandern oder aber schließen werden. Wird der USC 2257 missachtet, drohen hohe Geld- und Haftstrafen.

Der USC 2257 wird von Politikern als wirksames Maßnahmenpaket gegen Kinderpornographie angesehen, wobei zu befürchten ist, dass die Nichtanwendbarkeit des USC 2257 auf dezentrale Tauschbörsen weitere Maßnahmen nach sich ziehen wird. Hier dürfte sich dann der Kampf gegen Kinderpornographie auch für die Contentindustrie als Begründung für den Ruf nach härteren Gesetzen eignen und genutzt werden. Wie die Chilling Effects der neuen Maßnahmen aussehen werden, bleibt abzuwarten. Die Free Speech Coalition hat bereits Klage gegen den USC 2257 eingereicht, der ihrer Meinung nach in vielen Bereichen gegen die Verfassung verstößt. Bei der bevorstehenden Diskussion darüber, ob der USC 2257 wirklich gegen Kinderpornographie helfen wird und inwiefern er zu hohe Kollateralschäden mit sich bringt, wird sicherlich der anfangs erwähnte Faktor 1 wieder eine große Rolle bei dern Befürwortern spielen.

Es folgt Teil 2: "Bist Du eigentlich aus Utah?" – US-amerikanische Anti-Spam-Gesetzgebung und ihre Risiken