Sanders triumphiert trotz Angstkampagne
Der Sozialist aus Vermont kann einen überwältigenden Sieg bei den Vorwahlen im Wüstenstaat Nevada erringen
Der bekannte US-Politkommentator Chris Matthews - gewissermaßen der Ulrich Wickert der USA - scheint sich angesichts der Wahlerfolge des linken Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders zu einer Art öffentlichem Seismograf für die zunehmende Panik innerhalb der amerikanischen Funktionseliten zu entwickeln.
Vor wenigen Tagen verlieh der in die Jahre gekommene Fernsehmoderator vor laufenden Kameras seiner Angst Ausdruck, nach einem Wahlsieg des Sozialisten im New Yorker Central Park vor ein revolutionäres Erschießungskommando gestellt zu werden. Nun verglich er während der Vorwahlen im US-Bundesstaat Nevada den sich abzeichnenden Wahlsieg von Sanders mit dem Blitzkrieg der Nazis gegen Frankreich im Sommer 1940. Die Sanders-Kampage sei nach Nevada genauso wenig aufzuhalten wie die Nazis nach ihrem Durchbruch in Frankreich, so Matthews.
Der erste öffentliche Nazi-Vergleich der Präsidentschaftskampagne des jüdischen Linkspolitikers - gezogen kurz nach Beginn der Vorwahl in Nevada - deutete bereits auf dessen deutlichen Sieg hin, der viele Medienschaffende und Establishmentpolitiker schockte. Sanders scheint nahezu die absolute Mehrheit geholt zu haben.
Nach Auszählung von rund 50 Prozent der Wahlbezirke liegt der Sozialist aus Vermont mit rund 46,6 Prozent der Wahlmänner uneinholbar weit vorn. Der zweitplatzierte Kandidat des Parteiestablishments, Joe Biden, kam auf 19,2 Prozent, gefolgt von Pete Buttigieg mit 15,4 Prozent und der linksliberalen Elizabeth Warren (10,3 Prozent).
Dies ist aller Wahrscheinlichkeit nach der dritte Wahlsieg der Kampagne des Sozialisten Sanders (Die Vorwahl in Iowa ist noch umstritten). In den Vereinigten Staaten vollzieht sich somit eine fundamentale Linksverschiebung des politischen Spektrums. Diesen Triumph verdankt Sanders der breiten Koalitionsbildung innerhalb seiner Kampagne, die junge Wähler und Minderheiten erfolgreich mobilisieren konnte.
Die Parteilinke und Wähler unter 45 Jahren (rund 56 Prozent für Sanders), die besonders stark unter der krisenbedingten Prekarisierung des Arbeitslebens und der Erosion der US-Mittelklasse in den vergangenen Dekaden leiden, gehörten zur Kernwählerschaft des Linkspolitikers wie auch US-Bürger lateinamerikanischer Herkunft, die bei den Vorwahlen in Nevada mit rund 20 Prozent gut vertreten waren.
Die Linke, junge US-Bürger (66 Prozent bei Wählern unter 30) und nichtweiße Wähler (53 Prozent bei Latinos), bildeten somit den Grundstein des Sieges in Nevada. Doch diesmal konnte Sanders auch in Wählerschichten vordringen, die zuvor als kaum offen für linke, mitunter dezidiert sozialistische Politik galten. Bei älteren und zumeist gut situierten Wählern über 45, die gewissermaßen noch den "Wohlstandspeck" (Robert Kurz) des Fordismus verzehren, konnte der Linkspolitiker diesmal rund 20 Prozent Zuspruch erringen, sodass er mit dem Joe Binden (21 Prozent) bei dieser Wählergruppe nahezu gleichziehen konnte.
Der Triumph der amerikanischen Linken in Nevada geht mit zunehmenden Problemen der Kampagnen seiner Konkurrenten wie Warren, Biden und Buttigieg einher, die aufgrund rasch schwindender Wahlchancen unter fallenden Spendeneinnahmen leiden und folglich Gefahr laufen, ihre Kampagnen einstellen zu müssen.
Bloomberg als Hauptkonkurrent?
Eigentlich könnte Nevada nun als die große Vorentscheidung des demokratischen Vorwahlkampfs gelten, doch der gefährlichste Konkurrent des führenden Sozialisten aus Vermont stand gar nicht zur Wahl im Wüstenstaat. Der Oligarch Bloomberg wird inzwischen als der wichtigste Gegenspieler des beliebten Linkspolitikers angesehen. Der Nachrichtensender CNN richtete in einem Kommentar einen regelrechten Appell an den Milliardär, er müsse Sanders ausschalten - und zwar sofort.
Tatsächlich hat der Oligarch, der über ein Vermögen von rund 64 Milliarden Dollar verfügt, inzwischen im Durchschnitt der Umfragen aufgeholt und liegt landesweit gemeinsam mit Joe Biden auf Platz 2 - Sanders führt bei nahezu allen landesweiten Wählerbefragungen mit einem zweistelligen Vorsprung. Diesen Aufstieg verdankt Bloomberg einer historisch beispiellosen Geldflut, mit der er die Massenmedien und den Politikbetrieb der Vereinigten Staaten buchstäblich sättigte.
Bislang hat die Bloomberg-Kampage rund 409 Millionen Dollar aufgewendet, um ihren Kandidaten mit Joe Biden gleichziehen zu lassen. Überdies planen die besten Politmanager, die der New Yorker Milliardär einkaufen konnte, bereits eine Strategie für den Nominierungsparteitag der Demokraten, die durch Hinterzimmerdeals und Bündlung aller neoliberalen Kräfte in der Partei einen sozialistischen Kandidaten verhindern soll.
Neueste Umfragen sehen aber den Stern des Oligarchen wieder im Abstieg, da er sich in die letzte Fernsehdebatte der demokratischen Präsidentschaftsanwärter einkaufen konnte - und dort von den Debattenteilnehmern, die etwa seinen Rassismus und Sexismus anprangerten, nach allen Regeln der Kunst auseinandergenommen wurde.
Seither sinken die Umfragewerte des für gewöhnlich von einem Hofstaat von Jasagern umgebenen Milliardärs, der Widerspruch nicht gewohnt sei und bei der Debatte "in stummer Wut" zusehen musste, "wie sein Investment von 400 Millionen Dollar sich in Rauch auflöste", so der Rolling Stone in einem Kommentar.
Selbst einige große Medien wie USA Today warnen inzwischen vor dem Kandidaten Bloomberg, da er gefährlich für die bürgerliche Demokratie in den USA sei, die auf der Kippe stehe und sich vollends zu einer autoritären Oligarchie degenerieren könne. Bloomberg sei gerade dabei, Milliardären zu zeigen, wie sie die Präsidentschaft kaufen können. Dies sei gefährlich, so USA Today: "Wir haben keine Milliardäre, sie haben uns." Sobald sie herausgefunden hätten, dass es billiger sei, die Präsidentschaft zu kaufen als ein NFL-Team, dann würden Exzesse eines Donald Trump - oder von König George III - regelrecht trivial erscheinen.
Mal wieder Putin?
Dabei fehlte es wirklich nicht an Bemühungen seitens des neoliberalen Establishments, Sanders Sieg in letzter Minute zu verhindern - etwa mittels einer klassischen Angstkampagne. Einen Tag vor der Vorwahl in Nevada publizierte die im Besitz des Oligarchen Jeff Bezos befindliche Washington Post einen internen Geheimdienstbericht, wonach Wladimir Putin alles daran setzen würde, den Sozialisten Sanders zum Sieg bei den Vorwahlen zu verhelfen.
Der renommierte investigative Journalist Glenn Greenwald warnte in einer ersten Reaktion auf diese "Enthüllung" hingegen, dass es die US-Nachrichtendienste um die CIA seien, die im Wahlkampf intervenierten, indem sie im Vorfeld einer wichtigen Wahl strategisch "Bullshit" verbreiteten, da sie diesen Kandidaten hassten. Dies sei gefährlich und illegal, so Greenwald.
Die Washington Post als das berüchtigte Bezos-Blatt, dass im Wahlkampfverlauf mit wütenden Angriffen auf Sanders die Überreste seines einstmaligen Renommees verspielt, ließ sogar in einem Kommentar fordern, dass künftig "die Eliten mehr zu sagen" haben sollten bei der Wahl des Präsidenten.
Die Wahl im November 2020 scheint somit tatsächlich eine Schicksalswahl zu werden: Es ist eine Wahl zwischen dem Abstieg der USA zur Oligarchie und dem Versuch einer progressiven, im Kern eigentlich linkssozialdemokratischen Wende.