Sasser und die Folgen

Die Klischees, die Sasser und sein Autor bedient, weisen in die falsche Richtung, es steht die Professionalisierung und Kriminalisierung des Virengeschäfts an

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wurm-Epidemien wie Sasser schaffen Atmosphäre (Der Böse, der eigentlich nur Gutes programmieren wollte). Ähnlich wie extreme Wetterverhältnisse liefern sie Gesprächsstoff für den Tratsch in der Kantine, geben Anlass zu anspielungsreichen Bemerkungen im Frühstücksradio, liefern interessanten Hintergrund für Remineszenzen.

Dass Computer auch ohne Viren launische und rätselhafte Biester sind und dem modernen Geistesarbeiter so etwas wie einen verwunschenen Zauberwald mitten am Schreibtisch beschert haben, erhöht die Faszination der kybernetischen Poltergeister nur noch. Und bei soviel allgemeiner Prominenz und Aufmerksamkeit ist es kein Wunder, dass jeder neue elektronische Schädling augenblicklich zum Liebling der Medien wird.

Nicht weiter problematisch für die Berichterstattung ist die tatsächliche Harmlosigkeit von Geschöpfen wie "I love you", "Melissa" und "Sasser". Was an Bedrohung und Substanz für den kolportierten "Infowar" und "Cybercrime" fehlt, wird in der Regel an den Haaren herbeihyperventiliert, um den Scoop zu rechtfertigen. Die weltweit berechneten Schadensummen schwanken zwischen 10 und 100 Fantastilliarden, je nachdem, ob der geneigte Gutachter nach unten zeigende Mundwinkel und vorübergehenden Ausfall der Powerpoint- und MS-Project-Infrastruktur mit zehn- oder hunderttausend Dollar pro Episode beziffert.

Was die Medien der breiten Öffentlichkeit aber gerne vorenthalten ist die bemerkenswerte Tatsache, dass die landläufigen Bezeichnungen wie /Internet/-Wurm oder /Computer/-Virus irreführend sind, denn ausschließlich Microsofts Betriebssystem Windows bzw. Microsofts Outlook und Word sind von diesen Parasiten unmittelbar betroffen. Macintosh- und Unix-Benutzer bemerken von einer weltweiten "Heimsuchung" höchstens den Fallout in Form von verirrter Email in ihren jeweiligen elektronischen Eingangskörbchen. Treffendere Begriffe wären daher "Microsoft-Wurm" und "Windows-Virus", aber wohl aus Rücksicht auf einen wichtigen Inserenten erlauben sich die "Info-War"-Kriegsberichterstatter die kleinen Fehler im Glossar.

In die aufgeregte Folklore der e-Pedemien platzt nun die Nachricht von der Verhaftung eines deutschen Teenagers, der die Urheberschaft des neuesten "Sasser"-Wurms bereits gestanden hat. Dieser Erfolg der Fahnder liefert den Befürwortern harter Strafen leider das falsche Gesicht und den falschen konkreten Angriffspunkt, denn ihr Zorn sollte sich zumindest auch gen Redmond, Washington richten, nicht nur gegen einen verspielten Jugendlichen, der offenbar mehr Geltungssucht als Willen zu sinnvoller Freizeitgestaltung hat. Vermutlich wird die Strafe für den jungen Software-Bastler unverhältnismäßig hoch ausfallen, auch wenn der Schaden kaum über das hinausgeht, was inkompetente Computer-Handhabung jeden Tag auch ganz ohne Viren verursacht. Neben dieser Ablenkung von den systemischen Ursachen der Windows-Epidemien zementiert der Fall Sasser aber auch zwei Klischees, die zwar zur Folklore des Viren-Bastlertums gehören, aber immer weniger Substanz haben, bzw. überhaupt ins Reich der Mythen gehören. In anderen Worten: Sasser kommt direkt aus dem Bilderbuch, aber dieses vertraute Deja-Vu ist trügerisch.

Zum einen betreibt die Mutter des Sasser-Schöpfers ein EDV-Troubleshooting-Unternehmen, was dem Aberglauben neue Nahrung gibt, Microsoft-Schädlinge würden von den Schädlingsbekämpfern selbst in die Welt gesetzt, um Bedarf nach deren eigenen Produkten zu schaffen. Ein durchschlagskräftiges Virus- oder Wurmprogramm ist aber ein bedeutender Aufwand und die große Zahl an hochmotivierten Autoren erübrigt dieses Manöver. Auch der Urheber von Sasser war sicher nicht vom Ankurbeln der Konjunktur für seine Frau Mama motiviert, wenngleich es die Berichterstattung möglicherweise anders aussehen lassen wird.

Falls das Motiv wirklich Spieltrieb war - und Sassers Urheber daher Triebtäter ist - könnte es davon ablenken, dass wir es mit einem bald nicht mehr so typischen Vertreter der Virenprogrammierung zu tun haben. Seit geraumem mehren sich die Indizien dafür, dass sich das Gewerbe professionalisiert, um organisierte Kriminalität und Spammer zu bedienen. Schluss ist mit lustig, denn Würmer und Viren erweisen sich als äußerst nützlich, um ganze Heere von Heim-PCs als Spam-Maschinen und für erpresserische Denial-of-Service-Attacken zu rekrutieren. Die Kreativität der Menschen kennt keine Grenzen, daher kann man für die Zukunft ganz neue Formen der kriminellen Verwertung solcher "Zombie-Computer" erwarten. Die Grundlagenforschung aus Idealismus wird weitergehen, aber den zunehmenden Aufwand werden Profis für finstere Geschäftemacher für klingende Münze erbringen. Die Anfänge waren in Sobig.F und Blaster bereits erkennbar. Sasser und sein 18 Jahre alter Schöpfer sowie seine Freunde wirken wie ein nostalgischer Ausflug in unschuldigere Zeiten.

Dieser Professionalisierung und Kriminalisierung des Virengeschäfts sind vermutlich weder die Anti-Viren-Firmen noch Microsoft und schon gar nicht die Benutzer gewachsen. Die Heimsuchungen von morgen werden der überzogenen Hysterie unserer Tage durchaus gerecht werden. Leider ist die logische, aber unwirksame Konsequenz mehr Überwachung und Totalisierung des Internet. Microsoft, mitschuldig durch Fahrlässigkeit und Teil des Problems, wird diese Karte bei Firmen und staatlichen Stellen gegen die Mitbewerber ausspielen und für leichtgläubige Entscheidungsträger Überwachungs- und Totalisierungslösungen bereithalten. Verhaftungen und Kopfgeld von Microsoft (im Falle Sassers: 250.000 Dollar) wird es weiterhin geben, aber echte Kriminelle werden vermutlich nur schwer zu fangen sein.

Die düstere Perspektive ist: Elektronische Microsoft-Epidemien werden unangenehmer und heimtückischer. Der technische Fortschritt und die in Aussicht stehenden Erträge aus dem kriminellen Epidemie-Geschäft begünstigen die Bad Guys, denn der einzige Lieferant der globalen Software-Monokultur zeigt kein ernsthaftes Interesse an der Veränderung der Lage. Was als harmlose Kinderei begonnen hat, wird bald zu so einem ernsten Problem werden wie es uns die Medien schon länger weismachen wollten. Der glücklose Schöpfer von Sasser auf der anderen Seite ist völlig harmlos, auch wenn besagte Medien das anders verkaufen werden. Wer ihm grollt, ist selbst schuld. Es wäre für die Psyche gesünder zu lernen, auch die andere Wange hinzuhalten. Denn Windows-Jockeys werden noch viele Ohrfeigen bekommen.