Saudi-Arabien: Absolute Herrscher richten sich nicht nach dem Westen

Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. Foto: Alshareefsn. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Fall Khashoggi: Erdogan verschont den Kronprinzen und sammelt ein paar Profil-Punkte. Die Spur des Geldes macht klar, dass Mohammed Bin Salman die "Vision 2030" ist

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Die CIA-Chefin Gina Haspel ist heute in die Türkei gereist. Es gab einige Dinge mit Erdogan zum "Fall Khashoggi" zu besprechen, "um bei den Ermittlungen zur Tötung zu helfen", wie es Hurriyet formuliert.

Manche Beobachter vermuteten nicht zuletzt aufgrund der jüngsten Enthüllungen im türkischen, Erdogan-nahen Medium YeniSafak, dass der saudi-arabische Kronprinz Mohammed Bin Salman durch Erdogan gehörig unter Druck gesetzt werde und möglicherweise seine Machtposition räumen muss.

Spekulationen über den Kronprinzen

YeniSafak berichtete, wie es Moon of Alabama übermittelt, von Telefonaten im Generalkonsulat in Istanbul zwischen Khashoggi und dem Kronprinzen sowie zwischen einem Mitglied des saudischen Teams, Maher Abdulaziz Mutreb, mit dem Bürochef des Kronprinzen Badr bin Mohammed Al Asaker und, wie angenommen wird, mit dem Bruder des Kronprinzen in den USA, wo er als Botschafter fungiert. Wie bekannt, hat Khashoggi das Generalkonsulat nicht mehr lebend verlassen.

Dies alles deutet zumindest auf eine Mitwisserschaft von Kronprinz Mohammed Bin Salman und nährt darüber hinaus den Verdacht, dass der Kronprinz Anweisungen gegeben habe, die mit dem Tod Khashoggis zu tun haben. Die offizielle Erklärung des Königreichs räumte zwar, wie berichtet ein, dass Khashoggi durch ein Mitglied des saudi-arabischen Teams zu Tode kam, aber dies sei im Eifer des Gefechts, bei einem Kampf passiert, unabsichtlich. (Niemand kann das ernsthaft glauben, Erg. d.A.)

Man versuchte mit Schadensbegrenzung den drohenden Gesichtverlust zu verhindern. Die Frage war, was Erdogan auspacken würde.

Erdogans "nackte Wahrheit" kommt ohne Kronprinz aus

Der türkische Präsident, für manche der größte Muslim der Gegenwart, nutzte, seit der Fall Khashoggi große internationale Aufmerksamkeit bekam, die Gelegenheit, sich als jemand zu profilieren, unter dessen Ägide die Wahrheit scheibchenweise über türkische Medien und Enthüllungen ans Licht der Öffentlichkeit kam. Jede Veröffentlichung konterkarierte bis zuletzt die saudi-arabische Version(en) des Tathergangs.

Für heute war auch in deutschen Medien eine Rede Erdogans angekündigt, welche die "nackte Wahrheit" der türkischen Ermittlungen offenbaren sollte. Wer sich nun die erste Wiedergabe der Inhalte bei Hurriyet Daily News anschaut, wird feststellen, dass ein Name nicht erwähnt wird: der des Kronprinzen.

Erdogan berichtete der Parlamentsfraktion der AKP zwar, dass es sich um einen nach vorliegenden Informationen aller Wahrscheinlichkeit nach im Voraus geplanten, auf jeden Fall "brutalen Mord" handelte, der am 2. Oktober im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul begangen wurde. Aber richtige Beweise legte er nicht vor.

Saudi-Arabien vorgeführt, aber nicht getroffen

Als Indiz erwähnte er zum Beispiel, dass das Team bereits vor Khashoggis Termin im Konsulat eingetroffen war. Und dass es ein Body-Double gab, das den Anschein erwecken sollte, dass der saudi-arabische Journalist das Gebäude lebend verlassen habe. Auch wurden Spuren verwischt, etwa Video-Aufzeichnungen weggeschafft.

Auch diese Darstellung widerspricht der offiziellen Version Saudi-Arabiens und bezichtigt die Führung des Landes erneut einer Lüge. Aber Erdogan begnügt sich, was Schuldzuweisungen betrifft, damit, an die "Ernsthaftigkeit" von König Salman zu appellieren, den "politischen Mord" zu untersuchen und die Verantwortlichen vor ein unabhängiges Gericht zu bringen - "ohne Voreingenommenheit". Man kann dies als dezenten Hinweis verstehen, dass König Salman seinen Blick auch auf die nächste Umgebung richten soll, aber das ist Spekulation.

Erdogan lässt die Frage offen: "Wer hat die Anweisungen an sie (die 15 Saudi-Araber im Konsulat, Anm. d. A.) gegeben?"

"Leichen im Keller"

Vieles spricht dafür, dass der Kronprinz Mohammed Bin Salman nicht so einfach geopfert wird, nicht für eine "Leiche eines Abtrünnigen, der zu viel wusste, im Keller oder einer Tiefgarage", von denen es vor der neuen weltweiten Öffentlichkeit Dutzende oder mehr gegeben hat, nur dass sie und die Weise, wie sie umkamen, versteckt blieben.

Allerdings müsste es dem Vater des Kronprinzen zu denken geben, dass unter der Leitung seines Sohnes das Image des islamischen Königreichs kräftige Dellen bekommt.

Folgt man allerdings der Spur des Geldes, das angeblich und tatsächlich die Welt regiert, so zeigen sich von Interessen geprägte Wirklichkeiten, die stärker sind als die Umstände, wie ein Vertreter der Konkurrenz im Königshaus und in der Welt des politischen Islams ums Leben kam.

Die Spur des Geldes: Saudi-arabische Softpower

Die Arab News machen es vor. Zur heute beginnenden Investorenkonferenz in Riad titeln sie: "Multibillion-dollar deals expected as Saudi Arabia investment forum looks east". Heißt, die Geschäfte laufen ungeachtet der Khashoggi-Geschichte weiterhin gut. Es geht, wie gleich zu Anfang plakatiert wird, bei der "Future Investment Initiative" um Geschäfte im Volumen von Hunderten von Milliarden Dollar.

Dass im zweiten Absatz von großen Investitions-Partnerschaften aus Russland und China die Rede ist, dürfte ein Seitenhieb auf die Haltung des Westens sein. Komplettiert wird der Seitenhieb mit der Bemerkung, dass die erwarteten big investment partnerships mit Investoren aus Russland und China ungeachtet dessen stattfinden, dass einige Unternehmenchefs aus dem Westen ihre Auftritte "aus symbolischen Gründen" in letzter Minute abgesagt haben.

"Symbolik des Westens" - China und Russland kommen ohne solche Gesten aus

"Symbolische Gründe" kann man wahrscheinlich als vorübergehende Erscheinung verstehen. Zumal Arab News eine namhafte Consulting-Think-Tank-Präsidentin und Bestseller-Autorin ausgiebig mit der Aussage zitiert, dass die westlichen Unternehmen zwar nicht ihre Chefs, aber sehr wohl Führungskräfte der nächsten Ebene geschickt haben. Auch Ellen Wald spricht davon, dass Saudi-Arabien nun einen strategischen Hebel habe, um sich Russland und China zuzuwenden.

Die Öffentlichkeitsarbeit für die Konferenz, die in der westlichen Berichterstattung mit "Davos in der Wüste" beschrieben wird, versucht ihr Bestes, der westlichen Sicht, wonach die Konferenz durch die Absage von namhaften Konzernchefs an Attraktivität eingebüßt hat, ein anderes Bild entgegenzuhalten. Auf Twitter werden Chefs beim Unterzeichnen von Verträgen gezeigt, Staatschefs, Kunst und Clips, die irgenwie "cutting edge" vermitteln sollen.

Das Hunderte-Milliarden-Dollar Versprechen und die Medienmacht

Die große Überschrift über allem ist der "2030-Vision"-Umbauplan Saudi-Arabiens, mit dem, wie auch auf der Homepage deutlich zu sehen, Prinz Mohammed Bin Salman engstens verknüpft ist. Ihn aus diesem viele Hunderte-Milliarden- Dollar-Projekt - allein für den Aufbau der Zukunftsstadt Nemo ist die Rede von einer "halben Billion Dollar" (Handelsblatt) - zu streichen, dazu taugt die Khashoggi-Geschichte wohl nicht.

Die Softpower, über die der Kronprinz verfügt, ist sehr groß. Wenn man sich etwa über den Hintergrund von Arab News erkundigt, kommt man rasch zum Konzern Saudi Research and Marketing Group (SRMG), die ein Medienimperium darstellt.

Für die Leitung der SRMG waren entweder Verwandte des Kronprinzen, etwa sein Bruder Turki bin Salman Al Saud oder Prinz Badr bin Abdullah bin Mohammed bin Farhan Al-Saud, der sehr eng in das Projekt 2030 eingebunden ist und zur kulturellen Charmeoffensive gehört, eingebunden oder wie gegenwärtig mit Ghassan Al-Shibl ebenfalls eine Persönlichkeit, die eng mit dem Salman-Zweig der Saudis und dem Projekt "Vision 2030" verbunden ist.

Kürzlich sorgte al-Shibl für Schlagzeilen im internationalen Medienbusiness, als die Verbindung zwischen dem Medienhaus Bloomberg, bekannt für Finanznachrichten, und SRMG zu "Bloomberg Al Arabiya" aka "Bloomberg Asharq" verkündet wurde. Beinahe müßig zu erwähnen ist, dass die SRMG als Herausgeber der Arab News auch ein Hauptquartier in Washington hat, nicht gerade in einem Nebengebäude. Die feierliche Einweihung fand während des Hauptstadtbesuches des Kronprinzen statt.

Die Empörung über den Fall Khashoggi könnte sich mithilfe dieser Softpower bald legen, zumal die Softpower an immense Wirtschaftsinteressen gekoppelt ist.

Russischer Großinvestor: "Große Möglichkeiten"

Nicht nur der Westen passt auf seine geschäftlichen Beziehungen auf. Russland verhielt sich, wie auch Äußerungen des Präsidenten Putin zeigten, gegenüber den Anklagen zum Tod Khashoggis zurückhaltend. Es gab keine Verurteilung, dafür warte man Details ab, im Mittelpunkt standen die Beziehungen zu Saudi-Arabien. Vom russischen Großinvestor Russian Direct Investment Fund kamen kooperative Signale Richtung Saudi-Arabien.

Der Russian Direct Investment Fund (RDIF), den Putin mitbegründet hat, begrüßte am vergangenen Samstag das offizielle saudi-arabische Statement zum Tathergang, der zum Tod Khashoggis führte. Man legte Wert darauf zu betonen, dass die Partnerschaft, Freundschaft und Geschäfte weiterlaufen.

Der Chef des RDIF, Kirill Dmitriev, legte heute auf der Konferenz nach: Saudi-Arabien sei ein wichtiger Partner und die Partnerschaft eine "große Möglichkeit".

800 deutsche Unternehmen in Saudi-Arabien tätig

Nicht nur für russische Investoren. Nach einem Bericht des Handelsblattes, der heute in der Printausgabe erscheint - mit dem bezeichnenden Titel "Zwischen Empörung und Geschäft" -, gibt es zwar eine lange Liste von Absagen deutscher Wirtschaftschefs, jüngstes Beispiel Josef Kaeser, nach langem Zögern, aber neben dem "starken Signal" eben auch wichtige persönliche und geschäftliche Verbindungen zu Riad. Auch hier fällt das Stichwort "Vision 2030".

Für seine Umbauprojekte hat der Kronprinz auch prominente deutsche Berater. Mit Ex-Siemens CEO Klaus Kleinfeld ist ein Deutscher erster CEO des Neon-Projekts geworden. Er ist inzwischen persönlicher Berater des Kronprinzen. (…) Kleinfeld wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Handelsblatt, "Zwischen Empörung und Geschäft", Printausgabe, 23. Oktober 2018

Deutsche Geschäfte mit Saudi-Arabien sind nicht nur mit der Rüstungsindustrie verbunden. Diese fordert laut Handelsblatt angesichts der aktuellen Meldungen aus der Regierung zu den Waffengeschäften mit Saudi-Arabien "Vertrauensschutz für bereits erteilte Genehmigungen". Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, fordert laut der Zeitung "Vertrauen und Rechtssicherheit". Mehr als 800(!) Unternehmen sollen in Saudi-Arabien tätig sein.

Man soll den "Gesprächsfaden nicht abreißen lassen", fordert Wansleben. "Das Business wird wiederkommen", wird Steven Cook vom Council on Foreign Relations zitiert. "Im nächsten Jahr wird man uns nach Gewinnen fragen", so wird Henry Biner, vom US-Unternehmen P/E Investments zitiert. "Wir werden unsere Beziehungen nicht für dies (die Tötung Khashoggis, Anm. d. Verf.) aufs Spiel setzen."

Der Kronprinz wird bleiben. Er ist die Vision 2030. Man darf annehmen, dass dies auch US-Präsident Trump und seiner Umgebung wichtig war.