Saudi-Arabien auf der Überholspur: Frauen dürfen nächstes Jahr ans Steuer

Unerlaubte Erregung öffentlichen Ärgernisses in Saudi-Arabien: Manal Al Sharif. Screenshot eines "Klassikers", YouTube

Nach einem Vierteljahrhundert reagiert die absolutistisch-wahhabitische Herrschaft wohlmeinend auf Proteste der Frauen und verkauft dies als "schweren Schlag gegen Radikale"

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Ab Juni nächsten Jahres dürfen Frauen in Saudi-Arabien Auto fahren, hat König Salman Ibn Abd al-Aziz per Dekret entschieden. Die gute Nachricht wurde am gestrigen Dienstag höchstamtlich über saudi-arabische Fernseh-Sender und soziale Netzwerke im Land und weltweit verbreitet und als bedeutsamer Schritt gewertet, bis hin zum Generalsekretär der UN Antonio Guterres. Aus den USA kam Beifall von Ivanka Trump und dem Außenministerium.

Mit dem Dekret soll ein Image-Boost verbunden werden, wie ein Bericht des von Geldern der Königshauses finanzierten Sender al-Arabiya verdeutlicht:

Das neue Dekret beweist, dass die saudische Gemeinschaft nun zu Wachstum und Fortschritt fähig ist. Was einstmals das Königreich zurückgehalten hat, ist nun ein Ding der Vergangenheit, eine bloße Fabel für künftige Generationen.

Al-Arabiya

Dass Frauen künftig selbst ein Auto steuern können - bislang verschaffte dies rund 800.000 Männern ein Einkommen als Chauffeur -, wird von al-Arabiya als "schwerer Schlag gegen Radikale" in der Überschrift gefeiert. Interessant wäre zu erfahren, wer genau mit den "Radikalen" gemeint ist.

In der Vergangenheit seien die gesetzlich festgehaltenen Rechte der Frauen beständig von "Extremisten" attackiert worden, "Autofahren" sei eins dieser Rechte, ergänzt der Bericht des Senders. Der erste international wahrgenommene Protest gegen das Fahrverbot fand am 6. November 1991 statt. Das ist ein gutes Vierteljahrhundert her.

Täuschung und Selbstbetrug

Damals protestierten 47 Frauen, die laut Le Monde zur "Intelligentsia" in Riad gehörten mit einem Konvoi von 15 Fahrzeugen, gelenkt von Frauen, gegen das einzigartige Fahrverbot. Sie wurden "beleidigt, verloren ihre Arbeit, manche wurden inhaftiert, manchen der Pass entzogen", so die französische Zeitung.

Zwanzig Jahre später, 2011, bekam die Forderung der Frauen neue weltweite Aufmerksamkeit durch ein You-Tube-Video von Manal al-Sharif, die verhaftet wurde, dem Land entfloh und eine weithin beachtete Kampagne startete. Es brauchte weitere sechs Jahre bis zum königlichen Dekret.

Die Aufrechterhaltung der "öffentlichen Ordnung"

Die Verhinderer nun als "Extremisten und Radikale" darzustellen, ist einerseits eine völlig richtige Erkenntnis und anderseits Täuschung und Selbstbetrug. Denn das Herrscherhaus achtete genau auf diese Extremisten und Radikalen, weil sie die Ordnung garantierten. Die Aufrechterhaltung der "öffentlichen Ordnung" war entsprechend auch das Kernstück des Verbots.

Es gibt kein offizielles Gesetz in Saudi-Arabien, das Frauen das Fahren verbietet, stellt Gulf News klar, sondern nur eins, das einen Führerschein verlangt, den Frauen nicht bekommen können.

Tatsächlich haben aber eine Menge Frauen ihren Führerschein in anderen arabischen Staaten, meist in den Golftsstaaten gemacht, und durften trotzdem nicht fahren. Wenn sie es aus Protest dennoch taten, kam es zu Festnahmen. Diese Freiheit der Frauen war also unerwünscht, auch für das saudische Königshaus, das diese Praxis der Ultrarigoristen mittrug; die religiösen Wächter sind eine Machtbasis, die man vorsichtig behandelte.

Die Ultrakonservativen rechtfertigten ihren Widerstand gegen das Recht der Frauen, Auto zu fahren, mit Überlegungen zur "öffentlichen Ordnung". Es ging in ihrer Auffassung darum, gegen die Promiskuität(!) und Versuchungen zu kämpfen, die mit einer größeren Bewegungsfreiheit der Frauen einhergehe. Die saudische Familie sollte geschützt werden. Ein Prediger ging sogar so weit, dass er behauptete, Frauen würden ihre Eierstöcke schädigen, wenn sie am Steuer sitzen.

Le Monde

Warum der Fahrersitz anders als Beifahrer- oder Fondsitze besonders schädlich für die Eierstöcke ist, wird nicht erklärt, und muss vom Prediger auch nicht erklärt werden, weil die ganze Begründung auf Unsinn aufgebaut ist. Die Experten in den saudi-arabischen Kommissionen suchten sich mit unverhohlenem Vergnügen fortlaufend den allergröbsten und frauenfeindlichsten Schmarrn, um das Verbot zu begründen.

Unterstützer für abseitige Ansichten

Erst vor ein paar Tagen zirkulierte im Netz das Video des saudischen Geistlichen Saad al-Hijri, angeblich erster Zuständiger für Fatwas in der Provinz Asir, der sich gegen eine Fahrerlaubnis für Frauen mit der Begründung aussprach, dass Frauen nur ein halb so großes Gehirn hätten wie Männer, da Besorgungen und Einkäufe die Hälfte des Gehirns beschäftigen, hätten sie im Vergleich zu Männern nur mehr ein Viertel fürs Autofahren übrig. Immerhin 20.000 Tweets unterstützten den Greis.

Neu ist die schnelle Reaktion: Der Mann wurde, nachdem seine Aussage zur Belustigung auf YouTube ausgestellt wurde, von der Provinzregierung seines Postens enthoben.

Dass sich nun die höchste religiöse Körperschaft in Saudi-Arabien, der "Rat der hohen Gelehrten", hinter das königliche Dekret zur Fahrerlaubnis für Frauen stellt, ist ein opportunes Mittel, um die Partnerschaft zwischen dem Königshaus und der religiösen Elite zu dokumentieren. Wie konsequent nun gegen die "Radikalen" in Saudi-Arabien mit "schweren Schlägen" vorgegangen wird, wird sich erst noch zeigen.

Interessant wird auch sein, ob mit den Frauen am Steuer die auffällig hohe Zahl an Unfällen zurückgeht.