Schäuble: EU-Kommission in den Hintergrund rücken

Nach dem Brexit: Der deutsche Finanzminister achtet darauf, dass die Rolle Deutschlands dominant bleibt

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Junckers Vorstoß, das Ceta-Freihandelsabkommen mit Kanada einzig auf europäischer Ebene zu beschließen und die nationalen Parlamente auszublenden (EU: Streit über nationale Mitspracherechte bei Ceta), der in der öffentlichen Wahrnehmung gründlich schief gegangen ist, ist Ausdruck eines Richtungsstreits innerhalb der EU.

Nach dem Brexit wurden Stimmen laut, die in der Verstärkung der Union den richtigen Weg sehen. Das Stichwort hierfür lautet "Vertiefung der Union". Für dieses Lager steht der EU-Kommissionpräsident Juncker, der allein schon durch seinen Posten großes Interesse daran hat, die Macht einer europäischen Zentralregierung zu stärken. Dem steht die Auffassung gegenüber, dass den Euro-Skeptikern, die in allen Mitgliedsländern stärker geworden sind, besser damit zu begegnen ist, wenn künftig mehr auf nationale Souveränität geachtet wird.

Nicht zuletzt stehen der Vertiefung der Union auch Interessen von nationalen Regierungen entgegen, die ihren mächtigen Einfluss behaupten wollen, allen voran Deutschland. In einem Interview mit der Welt am Sonntag hat sich der deutsche Finanzminister nun zu einigen Fragen positioniert, wobei er darauf achtet, sich nicht allzu weit aus dem Fenster zu lehnen, um sich nicht mit zu deutlichen Aussagen Angriffen auszusetzen. Schließlich werden dem Finanzminister Ambitionen auf ein europäisches Spitzenamt nachgesagt.

Schäuble selbst spricht in seinem Plädoyer für mehr Pragmatismus ("Europa muss sein Rendezvous mit der Realität bestehen") nicht ausdrücklich davon, dass die EU-Kommission geschwächt werden soll. Er widerspricht bei der Nachfrage, ob er dies im Sinn habe: "Überhaupt nicht. Ich sage nur: Sie muss, wir müssen pragmatischer und schneller werden." Aber er zielt darauf:

Noch mal: Jetzt ist Zeit für Pragmatismus. Wenn nicht alle 27 von Anfang an mitziehen, dann starten halt einige wenige. Und wenn die Kommission nicht mittut, dann nehmen wir die Sache in die Hand, lösen die Probleme eben zwischen den Regierungen. Dieser intergouvernementale Ansatz hat sich in der Euro-Krise bewährt.

Dazu teilt er noch einen Seitenhieb auf das europäische Parlament aus:

Seien wir doch ehrlich, die Frage, ob das europäische Parlament, die entscheidende Rolle bekommt oder nicht, ist keine, die die Menschen sonderlich bewegt.

Das ist eine klare Ansage in Richtung Juncker und eine Betonung der deutschen Rolle. Dies zeigt sich schon im ersten Zitat an der Formulierung "Mitziehen" - dass politische Impulse aus der EU-Kommission oder EU-Kreisen kommen, ist in diesem Bild gar nicht vorgesehen. Selbstverständlich kommen sie von einzelnen starken Mitgliedsstaaten, lässt Schäuble verstehen.

Dass die Ansichten Deutschlands maßgebend sind oder sein wollen, bestätigen auch andere Aussagen. So wurden nach dem Brexit-Referendum auch Hoffnungen geäußert, dass die EU nun wirtschaftspolitisch einen weniger drastischen Sparkurs fahren könnte und mehr auf die Verhältnisse in den Mitgliederstaaten achten würde. Gemeint sind nicht nur der Sorgenkandidat Griechenland oder Portugal. Auch in Frankreich oder in Italien gab es Stimmen, die darauf hofften, dass die Staatsverschuldungen mit größerer Milde behandelt würden. Manche hofften sogar auf einen wirtschaftspolitischen Richtungswechsel, weg von der Austeritätspolitik.

Schäuble macht bereits zu Anfang des Interviews klar, dass dies in seiner pragmatischen Konzeption nicht vorgesehen ist. Man müsse klug reagieren, um einen politischen Flächenbrand durch den Brexit zu verhindern:

Dazu gehört, die falsche Idee nicht neu zu beleben, dass man mit neuen Schulden Wachstum auf Pump erzeigt. Das hat noch nie funktioniert. Als ließen sich die Probleme einfach wegkaufen. Jetzt ist sicher auch nicht der richtige Augenblick, an einer Vertiefung der Euro-Zone zu arbeiten.