Schafft volkseigene "Infofakturen"!

Arbeiterinnen im VEB Treffmodelle in Berlin. Bild: Frank Hoppe. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Von einem neuen Paradigma der Produktion zu einem neuen Paradigma der Ökonomie

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Die Produktion der DDR bestand zum großen Teil aus enteigneten und verstaatlichten "volkseigenen Betrieben", die sich ebenso verzweifelt wie erfolglos bemühten, etwas anderes als Waren zu produzieren. Derartiges - Produktion von Konsumgütern, die keine Waren mehr sind - könnte erst möglich werden durch eine Art von Produktionssystem, das es möglich macht, den Eigenbedarf eines kollektiven Subjekts "on demand" und zu Null Grenzkosten zu decken.

Der VEB "Fortschritt" Herrenbekleidung mit Sitz in Berlin-Lichtenberg war der größte Betrieb für Herrenkonfektion in der DDR. Hervorgegangen war er aus der Herrenbekleidungsfabrik "Beha GmbH", die 1945 von der sowjetischen Militärverwaltung beschlagnahmt wurde. Nachdem der Betrieb 1949 in Volkseigentum übergegangen war und nach einigen Umfirmierungen und Erweiterungen durch Übernahmen wie etwa den "VEB Formschön" 1955 oder den "VEB Mantelmoden Weißensee" 1963 beschäftigte er 1967 rund 3000 Mitarbeiter, und stellte etwa 25% aller Mäntel der DDR her. Ein bedeutender Teil der Produktion wurde auch exportiert.

Um nun den Bedarf an Herrenbekleidung kostengünstig zu decken, waren natürlich auch in einem staatlichen sozialistischen volkseigenen Betrieb die Gesetze der industriellen Massenproduktion unter den damaligen technischen Bedingungen zu beachten: Die "economies of scale" galten auch hier, und das bedeutete stark standardisierte Massenkonfektion in hohen Stückzahlen, mit relativ geringem Spielraum für Anpassungen an Geschmack oder Körperform des individuellen Trägers. Die Tatsache, dass ein einziger Betrieb einen so großen Marktanteil an Herrenmänteln belieferte, der selber auf Grund der herrschenden technischen Produktionsbedingungen ein eingeschränktes Sortiment mit geringen Variationsmöglichkeiten anbieten konnte, belegt die enorme Einschränkung der Wahlfreiheit des Konsumenten in der DDR insgesamt. Berichte über "Mode im Sozialismus" klagen denn auch über Einschränkungen in der Qualität, die Einfallslosigkeit der Schnitte und die Schwerfälligkeit der Hersteller, wenn es darum ging, neuen Trends auf dem Modemarkt zu folgen.

Hinzu kommen die Widrigkeiten der Planproduktion und das Wirtschaften und Kalkulieren mit Planpreisen: das Produktionsprogramm eines so großen Betriebes wurde mit seinen Produktionsmengen zentral geplant und festgelegt, entsprechend mussten die Materialien, Rohstoffe und evtl. vorproduzierte Teile eingekauft und auf Lager gelegt sowie die Produktions- und Schichtpläne erstellt werden. All dies sind Faktoren, die die Flexibilität, die Varianz des Produktionsprogramms und die Fähigkeit auf äußere Einflüsse und Anforderungen schnell zu reagieren, stark einschränken. Die Kostenrechnung wiederum hatte Mühe mit der Errechnung eines echten aussagekräftigen Betriebsergebnisses, denn die Planpreise waren ja behördlich festgelegt und keine echten Knappheitsindikatoren, und damit auch ihrer Steuerungsfunktion im Sinne einer effizienten Allokation der Faktoren in die bestmögliche Verwendung beraubt.

Trotz dieser enormen Starrheit des gesamten Produktionsablaufes bedurfte es der vielfältigen "Skills" von ausgebildeten Facharbeitern und Ingenieuren in dieser großen Belegschaft, die alle ihre jeweiligen Spezialkenntnisse in den Produktionsprozess einbringen mussten, und deren Know-how und Berufserfahrung sich über Jahre bildete und ansammelte. Natürlich galt dies alles nun offensichtlich für die gesamte Konsumgüterindustrie, ja diese gesamte industrielle Produktion.

Im Zeichen des Überflusses und neuer Technologien

Mit anderen Worten: Die in diesem Sinne freie und nur durch die Steuerungsfunktion der Marktpreise gelenkte kapitalistische Marktwirtschaft war der sozialistischen Planwirtschaft haushoch überlegen, wenn es darum ging, unter Bedingungen der Knappheit und des nachkriegszeitlichen Mangels schnellstmöglich bestehende Bedarfe zu decken. Die Wohlfahrtseffekte des Wirtschaftens unter Bedingungen des freien Marktes mit freier Preisbildung und ungehinderter unternehmerischer Initiative waren in den Wachstumsjahren der Nachkriegszeit unübersehbar und über jeden Zweifel erhaben.

Heute, ein gutes halbes Jahrhundert später, ist die herrschende Ausgangssituation aber eine gravierend andere. Es herrschen nicht mehr Bedingungen des Mangels, sondern des Überflusses. Die Märkte haben sich gewandelt von Verkäufermärkten zu Käufermärkten, in denen in der Regel nicht mehr der Anbieter des begehrten Gutes vom Käufer umworben ist, sondern der potentielle Käufer sieht sich umworben und umzingelt geradezu von ständigen mehr oder weniger sublimen bis aufdringlichen Werbebotschaften. Auf dem Computer, mit dem man im Web surft, sammeln sich unerkannt allerlei "Bots" und maschinelle Helfer, die im Verborgenen Informationen über Vorlieben und Konsumgewohnheiten einsammeln und so versuchen, die Werbebotschaften zu intensivieren und zielgenauer in die Wahrnehmung des Adressaten zu transportieren. Und nicht nur diese - und sehr viele andere - endogenen Grenzen des Wachstums sind erkennbar geworden, sondern auch und mit immer intensiverer Dringlichkeit die exogenen ökologischen Grenzen des Wachstums.

Vor allem aber die Technologien, die Produktionsmittel, haben sich grundlegend gewandelt, und dieser Wandel ist durchaus auch als Reaktion auf diese grundlegend veränderte Markt- bzw. Bedarfssituation zu verstehen. Diese Veränderungen betreffen die Prinzipien der industriellen Produktion allgemein und entwickeln sich in einzelnen Branchen mit unterschiedlichem Tempo. Wie weit die Textilproduktion hier schon betroffen ist - um das Beispiel der Produktion von Herrenmänteln hier fortzuführen - wäre gesondert zu betrachten. Andere Branchen wie etwa die Möbelproduktion sind auf diesem Weg wohl schon weiter fortgeschritten (wie hier FabLab - FabCity - CityFab - StadtWerk? bereits einmal ausgeführt).

Paradigmenwechsel der Produktion

Die neu entstehenden Möglichkeiten der digitalen Fabrikation lassen nun einen "Paradigmenwechsel in der Produktion" erwarten, und damit möglicherweise ein "Wetterleuchten einer postkapitalistischen Wirtschaftsweise".

Titel "Roadmap for Digital Fabrication". Bild: Océ-Technologies B.V.; VTT Technical Research Centre of Finland

Dieses neue Paradigma der Produktion ist wie folgt abzugrenzen vom bisherigen Paradigma der - auch unter sozialistischen Vorzeichen technisch erzwungenen - fordistischen Massenproduktion:

Heute werden die meisten Produkte hergestellt durch die Mittel der etablierten Infrastruktur der Massenproduktion. Dies beinhaltet traditionell umfangreiche Lagerhaltung, extensiven manuellen Arbeitseinsatz, große Kapitalinvestitionen, hohen Energieverbrauch, weite Transportwege, eine "Armee" von Beschäftigten und die Annahme einer bestehenden hinreichend großen, homogenen Konsumentenbasis.

DIGINOVA - Roadmap to Digital Fabrication

Offensichtlich gilt bzw. galt diese Beschreibung des Paradigmas der fordistischen Massenproduktion für "sozialistische" staatliche Betriebe unter Bedingungen der Planwirtschaft genauso wie unter marktwirtschaftlichen Bedingungen - es sind eben technische Restriktionen, die hier den Rahmen der Möglichkeiten beschränken, keine politischen.

Das neue Paradigma wird dagegen so aussehen:

Es ist vorstellbar, dass Menschen in der Lage sein werden, ihre eigenen Produkte zu bestellen, zu definieren oder zu kreieren und lokal, vor Ort herzustellen, aus Materialien ihrer Wahl.

DIGINOVA

Dies wird unter anderem vorstellbar und unterstützt durch die folgenden Charakteristika der Digitalen Fabrikation:

  • keine Rüstzeiten für Produktionsmaschinen bei Änderung des Produkts erforderlich
  • (fast) keine Montage: Fertigung (möglichst) in einem Arbeitsgang
  • keine qualifizierte menschliche Arbeit erforderlich
  • präzise physikalische Replikation: digital implementierte und verfügbare Herstellungsprozesse sind präzise und verlustfrei replizierbar, und damit auch die durch sie repräsentierten physischen Objekte.

Es wird erwartet, dass additiv und dezentral herstellbare Produkte langfristig in Qualität und Kosten mit konventionell hergestellten Produkten vergleichbar sein werden. Eine Kostensenkung ist zu erwarten durch den Wegfall von Transportkosten für Halbfabrikate und Rohmaterialien, durch Einsparung von Rohmaterial im Fertigungsprozess, durch Wegfall von menschlicher Arbeit, von Marketing und den Kosten des Zwischen- und Endhandels. Letztlich wird es möglich sein, die Herstellungskosten auf Energiekosten, Materialkosten und Kosten der Information ("Designs") zu reduzieren, wobei diese unter Umständen als Open-Source-Software auch frei verfügbar sein könnte. Das würde dann eben für das einzelne Produkt Grenzkosten von Null bedeuten.

VEB "Fortschritt" Textilien als "Technofaktur"

Für den Bereich der Textilproduktion wäre dann - zugegeben in einer nicht unmittelbar bevorstehenden Zukunft - folgendes Szenario vorstellbar: ein Kleidungsstück, zum Beispiel obiger Herrenmantel, wird virtuell, im Netz und online, ausgewählt und anprobiert; das Design (der Schnitt) kann von einem Design-Anbieter gekauft oder als Open-Source-Design kostenlos geladen und gegebenenfalls nach Belieben angepasst und verändert werden. Das fertige Design wird dann elektronisch an eine lokale "Infofaktur" geschickt, wo es hergestellt wird.

Vergleicht man nun die Herstellung eines solchen Konsumgutes mit den in der damaligen DDR herrschenden Produktionsbedingungen, so wird deutlich: Durch eine möglichst weit gehende Trennung von Fertigung und Design wäre der Konsument tendenziell keinerlei Beschränkung seiner Wahlmöglichkeiten unterworfen. Ihm stehen sämtliche im Netz angebotenen Designs zur freien Auswahl zur Verfügung. Diese lassen sich wiederum nach Belieben individuell anpassen und variieren bzw. gänzlich neu gestalten, im Rahmen der produktionstechnisch zu beachtenden Grenzen. Alles zur Produktion erforderliche Know-how ist im Wesentlichen maschinell implementiert und vor Ort im aktuellen Produktionsprozess nicht erforderlich.

Während es unter den damals gegebenen technischen Produktionsbedingungen absolut sinnlos und im Gegenteil kontraproduktiv war, derartige Betriebe zur Konsumgüterproduktion zu verstaatlichen, verhält es sich unter den so skizzierten technischen Voraussetzungen vollkommen anders. Hier wäre es offenbar wünschenswert und volkswirtschaftlich am effizientesten, wenn eine solche "Infofaktur" (oder auch "Technofaktur") in Zukunft als ein "VEB" betrieben würde, also als ein Betrieb, der sich in öffentlicher, vielleicht kommunaler, jedenfalls nicht privater Trägerschaft befindet, da er dann einen betrieblichen Gewinn zu erwirtschaften hätte und daher die Preise oberhalb der Grenzkosten angesetzt werden müssten.

Ferner beschäftigte dieser Betrieb dann natürlich nicht etwa 3.000 Menschen und belieferte ganz Deutschland und die halbe Welt, sondern beschäftigte nach Möglichkeit wenige Menschen, so wenige wie möglich, und belieferte im Prinzip einen begrenzten lokalen Abnehmerkreis, nämlich eigentlich genau seine "Besitzer", auch wenn diese etwa als Kommune nur die Sachwalter der wohlverstandenen Interessen der Benutzer einer solchen Technofaktur wären.

Im Wesentlichen wäre dieser "Betrieb" also eine komplexe systemische Maschine bzw. ein Ensemble von Maschinen, denn je weniger menschliche Arbeit in die Fertigung eines Kleidungsstücks einfließt, um so mehr können die Grenzkosten dieses Artikels sich gegen Null bewegen. Dieses Fertigungssystem arbeitet also auf Anforderung, on demand, seine Aufträge ab, die über das Internet eingehen. Es muss also in der Lage sein, diesen jeweiligen Auftragsbestand zu "managen", also etwa die Aufträge in eine Reihenfolge zu bringen, einzelne Tätigkeiten vielleicht zu separieren und zu priorisieren, und es muss in der Lage sein, für jeden eingehenden Auftrag den geplanten Fertigstellungstermin zu nennen, und, natürlich, diesen auch einzuhalten.

"VEB Technofaktur" zusammengefasst: Wenn es technisch möglich geworden ist, dass so ein Fertigungssystem zuverlässig und in großem Umfang maschinell arbeiten kann, dann wird es seinen größten Wohlfahrtseffekt eben genau dann erzielen, wenn es sich in "Volkseigentum" befindet, also gewissermaßen im Eigentum derjenigen "Volksgenossen", die es benutzen wollen, und es dann "natürlich" zur Deckung ihres Eigenbedarfes benutzen - womit dieses System dann eben keine Waren mehr erzeugt. Und dies wäre tatsächlich nur so, und zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit, ohne gravierende Effizienzverluste gegenüber der hocharbeitsteiligen und spezialisierten Marktproduktion möglich. Natürlich ist es auch denkbar, dass so etwas in privater Initiative, als Verein, Interessengemeinschaft oder Eigentümergemeinschaft entsteht. Die größte volkswirtschaftliche Stabilität wird sich aber vermutlich dann einstellen, wenn so etwas auf überprivater Ebene, als volkswirtschaftlicher Regel- und Normalfall institutionalisiert und in Betrieb genommen und gehalten wird.

Stagnationsstabile Volkswirtschaft in der Postwachstumsgesellschaft

Das bedeutet natürlich auch Wegfall von Beschäftigung. Das wird aber so oder so nicht aufzuhalten sein. Eine Lösung kann nicht darin bestehen, künstlich Nachfrage nach Beschäftigung bzw. künstlich Konsumnachfrage zu schaffen. Volkswirtschaftlich gesehen besteht die Anforderung darin, eine bestehende Nachfrage bestmöglich ökonomisch und ressourcensparsam zu bedienen. Zu den knappen Ressourcen gehört auch die menschliche Arbeitskraft, die nicht verschwendet werden darf. Die in Zukunft zu erwartende Nachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen wird bei dem gegebenen Angebot an technischer Arbeitsunterstützung aller Voraussicht nach bei weitem nicht ausreichen, um eine allgemeine Vollzeitvollbeschäftigung für alle angebotene Arbeitskraft zu ermöglichen, vor allen Dingen nicht unter marktwirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen, in der die Gewinner tendenziell zu über 100 Prozent beschäftigt sind, während die Mehrheit der Verlierer ohne Einkommen und Beschäftigung außen vor bleibt und zu entwürdigender Untätigkeit verurteilt und ohne existentielle Sicherheit zusehen muss.

Es wird also ohne eine starke, gut dosierte öffentliche politische und/oder gewerkschaftliche Regulierung des Arbeitsmarktes kaum möglich sein, befriedigende Zustände von Lebensqualität und existenzieller Sicherheit herzustellen.

Diese beiden Komponenten - digitaler Umbau der Konsumgüterproduktion im skizzierten Sinn und politische bzw. gewerkschaftliche Steuerung und Korrektur des verbleibenden Arbeitsmarktes - dürften die Bestandteile einer möglichen "Revolution gegen den Neoliberalismus" darstellen, deren Umsetzung und Realisierung ein Leben in Würde und Autonomie wieder vorstellbar werden lässt, ohne jeden noch so privaten Lebensbereich immer weiter und vollständiger der Käuflichkeit zu überantworten.

"Epochenbruch"

Die Debatte um einen Untergang oder eine "Dämmerung" ("Eclipse") des Kapitalismus flackert nun an vielerlei Orten auf. In den vorgetragenen Argumentationsfiguren lassen sich gewisse Kongruenzen ausmachen. Manfred Sohn verwendet den Marxschen Begriff der "Minen", die sich "im Schoße des Gesellschaftssystems" entwickeln und den Kapitalismus "in der Perspektive sprengen". Er denkt hier ähnlich wie etwa Jeremy Rifkin in seinem Entwurf der "Null-Grenzkosten-Gesellschaft" an eine auf der Grundlage von Open-Source, Wikinomics und 3D-Druck entstehende Vor-Ort-Produktion, die "dank der weltweit entwickelten Vernetzung geistiger Ressourcen zugreifen (kann) auf die besten Baupläne, die irgendwo auf der Welt entwickelt werden". Er beschreibt damit ein Grundprinzip der digitalen Fabrikation, das einer ihrer Pioniere, der Amerikaner Neil Gershenfeld, als "Think globally, fabricate locally" auf den Punkt gebracht hat.

Der Autor dieses Artikels hat ebenfalls eine ähnliche Argumentationsfigur in einer knappen Skizze Im Mai dieses Jahres vorgestellt ("Projekt Postkapitalismus"). Auf wenige Sätze zusammengefasst lautet die Argumentation so, dass die marktwirtschaftlich verfasste, wettbewerbswirtschaftlich organisierte Ökonomie mit Erreichen säkularer Sättigungsgrenzen an unüberwindliche Entwicklungsbarrieren stößt, gleichzeitig aber "in ihrem Schoße" neue Mittel der materiellen Produktion hervorbringt, die eine gesellschaftlich-ökonomische Organisation auf einem höheren, den entstandenen Möglichkeiten und Erfordernissen angepassten Steuerungsniveau hervorbringen (statt zentralisierter, massenhafter und unendlicher Marktproduktion dezentrale, lokale, endliche Gebrauchswertproduktion).

"Exit" Kritik

Aus marxistischer Sicht sind diese Ansätze kürzlich - in Person des Mitglieds der Gruppe EXIT! Claus Peter Ortlieb - kritisiert worden ("Transformationskonzepte - wie sich der Kapitalismus nicht überwinden lässt"). Einer der Kritikpunkte setzt an an der zu wenig beleuchteten Fragestellung, wer denn das "revolutionäre Subjekt" dieser Entwicklungen sein werde, sein solle oder sein könne, das diese gewissermaßen "automatisch" entstehenden neuen technischen Möglichkeiten dann auch einer in diesem umfassenderen Sinne politisch sinnvollen und gewollten Nutzung zuführen werde. Diese Kritik ist sicher berechtigt.

Die Beobachtung, dass der Kapitalismus diese Art von "Minen" in der Gegenwart hervorbringt oder dass sie jedenfalls entstehen, ohne dass dies nun einer bewussten und gezielten politischen Initiative und Intention zu verdanken wäre, ist sicherlich zutreffend, bedeutet aber nicht, dass dies ganz automatisch auch zu einer solchen grundlegenden Transformation der zentralen gesellschaftlich-ökonomischen Prinzipien führen werde. Diese Transformation wird sich wohl nicht in der Weise vollziehen können, dass einfach abgewartet werden muss, bis die lokale "Factory@Home" eine solche fabrikative Kapazität erreicht hat, dass der Konsument auf den Kauf von Waren auf Märkten gänzlich verzichten kann und ihm die meisten seiner Konsumwünsche in der "Null-Grenzkosten-Gesellschaft" per Heim-Produktion zu (fast) null Kosten erfüllt werden können.

Investition in die Zukunft

Die Beantwortung der Frage, welche Möglichkeiten hier zu erwarten sind und welche möglicherweise durch gezielte Forschung und Investition noch gänzlich neu geschaffen werden müssten, wäre selbst schon Teil eines Klärungsprogrammes, das nun mit politischem Willen, politischer Zielsetzung und mit Mitteln aus dem politischen Willensbildungsprozess auf den Weg gebracht werden müsste. Dazu gehört zuallererst auch die Einsicht, dass das Modell der "sozialen Marktwirtschaft" über kurz oder lang eben keine Zukunft mehr hat. Zwar ist damit durchaus nicht die Notwendigkeit obsolet, den bestehenden Kapitalismus in seiner unglaublich energiereichen (weil unendlich finanzstarken) Spätphase nach Möglichkeit doch noch zu zügeln und zu kultivieren, dazu aber kommt diese gänzlich neue politische Aufgabenstellung, über Markt, Vollbeschäftigung und Wachstum hinauszudenken.

Die Mittel, einen solchen "Epochenbruch" herbeizuführen, um also den Richtungswechsel in fundamental neue ökonomische Zustände einzuleiten, sind eben im Kern selber nicht politische, sondern technische, die erzeugt, entwickelt und zur Reife gebracht werden müssen. Der politische Wille alleine - und stünden ihm auch die größten Geister der Kulturgeschichte zur Seite - könnte nicht mehr erreichen als das, was - im besten Falle - zu den sozialdemokratischen Glanzzeiten erreicht worden ist; dies wäre sicherlich durchaus nicht wenig wünschenswert, aber - es wäre eben keine neue Epoche.

Höheres Wesen - höhere Technologie

Die Möglichkeit, auf Tausch, Markt und Warenproduktion zu verzichten, kann nur eine "höhere" Technologie bereitstellen. Es sind dazu "universale" Produktionsmittel notwendig, Produktionssysteme, die nicht nur hochgradig produktiv arbeiten können, sondern gleichzeitig hochgradig flexibel.

Das (kaum jemals realisierbare) Ideal einer solchen "postkapitalistischen" Hochtechnologie ist der "Star-Trek-Replicator": eine Maschine für buchstäblich alles, sofort und "at home", anytime und anywhere, statt der hochspezialisierten massenhaften Fließband Produktion. Fordistische Massenproduktion machte die Produkte billig und den Arbeitstag für das Heer der Arbeiter am Fließband eintönig. Aber nur so war das Auto, das Ford-T-Modell als Massenware statt als Luxusgut, möglich. Das ist ökonomisch von Nutzen, solange diese Bedarfe bei den Menschen noch vorhanden sind. Wenn aber die Märkte langsam gesättigt sind, die Produktivkräfte bei Vollbeschäftigung nicht mehr ausgelastet werden können, die Volkswirtschaften gegenseitig ihre Märkte mit Waren überschwemmen und gleichzeitig die natürlichen Ressourcen zur Neige gehen, dann kommen andere Gesetzmäßigkeiten ins Spiel - und eben auch neue Technologien.

Auf eine solche ideale Fabrikationsmaschine wird die Menschheit lange warten müssen, aber sie gibt das gedachte Prinzip vor, an dem eine zukunftsfähige, rationale, "höhere" Fabrikationstechnologie sich zu orientieren hat: Es geht um Fabrikationssysteme, die gleichzeitig hochproduktiv und hochflexibel sind und die das Prinzip der Trennung von Fertigung und Design realisieren. Dadurch wird eine Fabrik mehr und mehr zu einer abstrakten Produktionsmaschine, die eine homogene Leistung erzeugt, die dann zu individuellen Produkten konkretisiert werden kann. So ist es im Prinzip möglich, die Vermittlung des Marktes zu umgehen, ohne auf die Vielfalt des Angebotes verzichten zu müssen: think globally, fabricate locally.

Um auf den VEB Fortschritt Herrenbekleidung zurückzukommen: Es geht um Fabrikationssysteme, die beliebige Designs z. B. von Herrenmänteln realisieren können, oder von sonstiger Bekleidung, oder von sonstigen Gegenständen des persönlichen Bedarfs. Solche hochflexiblen und hochproduktiven Produktionssysteme können dann mit positiven Wohlfahrtseffekten als öffentliche, gemeinnützige "Betriebe" betrieben werden.

Neue Akteure einer neuen Praxis

Was ist neu, und was ist "höher" an der neuen Technologie? Die Möglichkeit, die Defizite und Irrationalitäten der Markt- und Preissteuerung zu umgehen. Natürlich wäre dies auch ohne neue Technologien möglich, durch Einzelfertigung, durch vielleicht handwerkliche individuelle Einzelproduktion. Weil dies aber die Dinge sehr teuer macht(e), ist die industrielle Massenproduktion entstanden, die die Dinge billig gemacht hat. Wenn nun Technologie entsteht, die auch die individuelle Einzelfertigung so billig macht wie die Massenproduktion, ist dies eine Höherentwicklung. Und sie ermöglicht auch eine "höhere" Form der Koordination von Angebot und Nachfrage - nämlich Produktion on demand, auf Anforderung, vor Ort, am Ort des Konsums, und nicht etwa auf Lager, in Massen, in China oder Thailand.

Wer ist das Subjekt, wer sind die Akteure, was ist die neue Praxis? Worum es im Wesentlichen geht und was von der bisherigen privatwirtschaftlich-gewinngetriebenen Ökonomie prinzipiell nicht gelöst werden kann, ist die Schaffung von Möglichkeiten zur Nutzung großer maschineller Produktivkraft mit wohlfahrtsteigernder Wirkung. Bisher wurde dies erreicht durch fallende Preise für Konsumgüter. Die Märkte sind aber nicht unbegrenzt aufnahmefähig, und es entsteht ein dauerhafter Zustand von unausgelasteten Überkapazitäten. Neue Technologien lassen nun die Möglichkeit erkennbar werden, dass Produktivkraft am Ort des Konsums entsteht, wodurch die Trennung von Kapital und Arbeit prinzipiell aufgehoben werden kann. Dadurch entsteht die Möglichkeit der Nutzung hoher maschineller Produktivkraft zur Deckung des Eigenbedarfs von Konsumenten (bzw. "Prosumenten"), und dadurch schließlich prinzipiell auch die Möglichkeit, eine menschliche Praxis komplett jenseits der industriellen Produktion möglich werden zu lassen - Reichtum wird dann nicht in Geld, sondern in "disposable time" gemessen.

Wer sind die Akteure, die diesen Willen aufbringen und diese Gestaltungskraft entfalten können? Es geht um die Verantwortung für eine große, nachhaltige und durchaus auch großartige ökonomisch-gesellschaftliche Perspektive, die aber mit den kurz- bis mittelfristigen ökonomischen Interessen der gegenwärtigen Big Player sicherlich wenig in Einklang zu bringen sein dürfte; jedenfalls dürften Profitinteressen bei dieser anstehenden Transformation kaum die treibende Kraft sein können. Es müsste also wohl schon eine politische Kraft sein, eine politische Partei, die sich diese Perspektive ins Programmbuch schreibt, und diese gewaltigen Investitionen in die Zukunft auf den Weg bringt.

Es wird wohl keine Revolution im Sinne der Eroberung politischer Macht geben; es wird nicht um Zugriff auf betriebliche Entscheidungsmacht oder private Reichtümer gehen, und nicht um Räte und Komitees in Kommunen oder Betrieben. Es wird darum gehen, die Möglichkeit zu schaffen, dass Menschen und Betriebe keine Waren mehr produzieren müssen, und das Kriterium, ob ein Ding eine Ware ist oder nicht, Tauschwert oder Gebrauchswert, liegt nicht im Kopf des Benutzers oder Betrachters. Kriterium ist, ob es produziert worden ist, um den eigenen Bedarfs des Produzenten zu decken. Und dies ist eben nur mit Hilfe sehr entwickelter Technik auf einem solchen Niveau möglich, dass es keinen Rückschritt in vorindustrielle Zustände bedeutete. Der Besitz auch der vollkommensten politischen Macht alleine kann keine neue Welt, keinen neuen Menschen und keine neue menschliche Lebenspraxis schaffen.

Q.e.d.: Schafft volkseigene "Technofakturen"!