Scharon sieht kollektiven Antisemitismus in Europa

Israels Ministerpräsident kritisiert die Politik der EU; Muslime in Europa machen Antisemitismus zu einem politischen Thema

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Eine künstliche Debatte, nannte der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, die Diskussion darüber, ob es ein Tabu sei, Israel zu kritisieren. "Es ist kein Tabu, und die israelische Politik kann auch kritisiert werden", stellte Stein in einem Interview letzten Donnerstag klar. Am heutigen Montag liefert der israelische Regierungschef Ariel Scharon seine Ansicht dieser Streifrage, die seit Monaten in Internetforen und Tausenden von Gesprächen hierzulande diskutiert wird: "Es gibt keine Trennung. Wir sprechen hier von einem kollektiven Antisemitismus", gab Scharon in einem Gespräch mit dem Internetjournal EUpolitix zu bedenken.

Der Staat Israel ist ein jüdischer Staat und die Einstellung zu Israel richtet sich entsprechend danach. Dieser Antisemitismus ist fundamental und jetzt, um ihn aufzustacheln und das Recht der Juden auf Selbstverteidigung zu unterminieren, wird er wieder neu erweckt. Eine antisemitische Politik ist dieser Tage nicht populär, so können Antisemiten ihre politischen Interessen in den israelisch-palästinensischen Konflikt verfrachten...Das ist eine gefährliche Sache.

Einer neuen Umfrage von Forsa zufolge vertreten etwa 23% der Deutschen latent antisemitische Ansichten, 3 % mehr als vor fünf Jahren. Ein entsprechender Trend ist in vielen Internetforumsbeiträgen, auch hier bei Telepolis, und in privaten Gesprächen durchaus erkennbar. Kritik an der Politik der israelischen Regierung ist in vielen Fällen mit einem generellen Vorbehalt gegen den israelischen Staat als solches verwoben, auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wird. Soweit hat die Argumentation Scharons einen beobachtbaren Grund in der Realität, dennoch ist sie in ihrer Pauschalität fragwürdig und polemisch, weil sie in einer großen rhetorischen Geste von eigenen politischen Fehlern absieht: der Ex-General Scharon ist nicht zimperlich im Umgang mit Kritikern. Das beweist er sehr oft. Sein Ärger über die Europäer ist zudem nach der letzthin veröffentlichten Umfrage (vgl. hierzu Ist Israel schlimmer als der Iran oder Nordkorea?), wonach 59 % der Europäer glauben, dass Israel die Sicherheit in der Welt gefährde, verständlich.

Entsprechend fordert Scharon von den europäischen Ländern, den Antisemitismus rigoros und in jeder möglichen Weise zu bekämpfen, und gibt etwas überraschend zu bedenken, dass etwa 17 Millionen Muslime in der Europäischen Union dieses Thema zu einer politischen Angelegenheit mache. Die EU unternimmt nach Ansicht des israelischen Ministerpräsidenten nicht genügend gegen den Antisemitismus.

Auch sei die europäische Politik im Nahen Osten unausgewogen; man kenne die Realitäten vor Ort nicht. Israel könne entsprechend nicht sein Schicksal in die Hände der Europäer legen. Eine zentralere Rolle der Europäer im Nahen Osten wäre möglich gewesen, wenn sich die europäischen Länder zu einer ausgewogeneren Politik gegenüber Israel entschlossen hätten.