Ist Israel schlimmer als der Iran oder Nordkorea?
Die Mehrzahl der Europäer sieht nach einer Umfrage in Israel die Hauptbedrohung für den Weltfrieden, in Israel wird dies als Ausdruck des europäischen Antisemitismus verstanden
Am Montag vor einer Woche hatte die EU Teile einer europaweiten Umfrage zum Thema Irak-Konflikt, Naher Osten und Weltfrieden veröffentlicht (Die Mehrheit der Europäer ist der Meinung, dass die USA den Wiederaufbau im Irak finanzieren sollten). Ende letzter Woche stellte sich dann heraus, dass unter den noch nicht veröffentlichten Fragen eine war, die von den Befragten auf womöglich unvorhergesehene Weise beantwortet wurde (Mehrheit der Europäer sieht in Israel angeblich die größte Bedrohung für den Weltfrieden). Gefragt nach dem Staat, der den Weltfrieden am meisten gefährdet, nannten 59 Prozent Israel. Für den israelischen Außenminister war dies ein Beweis für den europäischen Antisemitismus.
Vermutet wurde auch, dass Eurobarometer wegen des politisch womöglich heiklen Ergebnisses die Veröffentlichung hinausgezögert haben könnte. Ein Sprecher der EU sagte allerdings letzte Woche, man habe zunächst die Ergebnisse ausgewertet, die mit dem Irak zu tun hatten, um sie kurz nach der Geberkonferenz bekannt zu geben. Bei den restlichen Auswertungen sei man noch nicht fertig gewesen.
An dem Ergebnis hat sich jedoch nichts geändert. 59 Prozent der befragten EU-Bürger betrachten offenbar Israel als das Land, das den Weltfrieden am meisten gefährdet. Nur 37 Prozent sprachen sich dagegen aus. Sie konnten dabei aus einer Liste von 15 Ländern auswählen, bei denen sie jeweils angeben sollten, ob sie den Frieden gefährden oder nicht. Nach Israel kommen der Iran, Nordkorea und die USA mit jeweils 53 Prozent. Gefolgt vom Irak, von Afghanistan und Pakistan. Für Syrien, Libyen oder Saudi-Arabien entschieden sich jeweils ein Drittel der Befragten. Für die EU selbst 8 Prozent.
Doch die Nennung von Israel an erster Stelle dürfte das umstrittenste Ergebnis darstellen, wobei die nicht weiter differenzierte Frage vielleicht auch für viele bedeutet haben mag, dass der israelisch-palästinensische Konflikt der weltweit gefährlichste ist. Palästina war nicht aufgeführt. Das Ergebnis müsste also zumindest nicht ausschließlich gegen Israel oder die Politik der israelischen Regierung gerichtet sein. In Deutschland entschieden sich 65 Prozent für Israel. Mit Ausnahme von Italien sprach sich jeweils über die Hälfte der Befragten für Israel als größte Gefährdung für den Weltfrieden aus, in Belgien, Dänemark, Griechenland, Irland, Luxemburg, Holland, Österreich, Finnland und Großbritannien sogar 60 Prozent und mehr. Je höher die Ausbildung der Befragten war, desto eher haben sie sich offenbar für Israel als Land entschieden, das den Weltfrieden gefährdet. In einer anderen Frage stimmten über 80 Prozent der EU-Bürger der Aussage zu, dass der politische und kulturelle Austausch zwischen der EU und den arabischen Ländern vertieft werden sollte.
Neben Nordkorea und Iran kommen aber auch die USA in der Meinung der Europäer schlecht weg. 53 Prozent gaben die USA als Bedrohung an, 44 Prozent stimmten dagegen. Selbst in Ländern wie Spanien (61%) oder Großbritannien (55%), die sich im Irak-Krieg und an der Besetzung engagiert haben, ist die Mehrheit dieser Meinung. Nur in Deutschland und Italien sprachen sich eine Mehrheit von 52 bzw. 55 Prozent dagegen aus. In Griechenland, Spanien, Finnland und Schweden stehen die USA dagegen an erster Stelle. Je jünger die Befragten und desto gebildeter sie sind, desto eher betrachten sie die USA als Gefährdung des Weltfriedens. Allerdings sagten 59 Prozent der Befragten, dass die Außenpolitik der EU derjenigen der USA richtig angepasst sei.
Die Europäer sind nach dieser Umfrage mehrheitlich der Meinung, dass der Krieg im Irak nicht gerechtfertigt war und dass jetzt die UN den Wiederaufbau leisten soll. Den USA wird dabei nicht vertraut. Allerdings sind die Europäer durchaus dafür, sich am Wiederaufbau zu beteiligen und vor allem humanitäre Hilfe zu leisten. Sie sprechen sich zudem für eine stärkere Beteiligung der EU am Friedensprozess im Nahen Osten aus. Ob sie hier aber zu einer neutralen Vermittlungsinstanz neigen oder eher auf der Seite der Palästinenser oder der Israelis stehen, lässt sich aus dieser Umfrage nicht ableiten.
Ausdruck eines "puren Antisemitismus"?
Und wie das Ergebnis zu interpretieren ist, dass die Mehrheit Israel als größte Bedrohung für den Weltfrieden ansieht, dürfte zumindest nicht eindeutig zu entscheiden sein, weil die Frage zu offen und vieldeutig war. Während man in Europa das Ergebnis herunter zu spielen sucht, wird es aber auch in Israel eindeutiger gemacht, als es ist.
"Die Europäer scheinen blind für die Opfer und das Leid der Israelis zu sein", kommentierte Haim Assaraf, der Sprecher der israelischen Vertretung bei der EU. Durch die "oft einseitige und emotional aufgeladene Berichterstattung in den Medien" werde der "verzweifelte Kampf Israels für Frieden und Sicherheit" verzerrt. Der Umfrage warf er vor, dass sie einen "heimlichen Plan" mit den "einseitigen Fragen" verfolgt habe. Der italienische Außenminister Franco Frattini - Italien vertritt gegenwärtig die EU-Präsidentschaft - versicherte jedoch, dass die Umfrage nicht die Position der EU repräsentiere. Sie sei "das Ergebnis einer irreführenden Frage".
In Israel geht man eher davon aus, dass die Europäer eher eine pro-palästinensische Position einnehmen. Auch Außenminister Shalom machte am Wochenende für die angebliche Voreingenommenheit die Medien verantwortlich, die viel mehr über Israel als über den Iran oder Nordkorea berichten. Allerdings wollte Shalom das Ergebnis nicht dramatisieren und betrachtet es auch als die Suche der Europäer nach einer neuen, von der USA unabhängigeren Position. Europa sei für Israel "noch nicht verloren". Diplomatisch will man also nicht zu viel aufrühren.
In der Jerusalem Post gab es allerdings gleich einen heftigen Kommentar: Worse than North Korea?. Zitiert wird Natan Sharansky, Minister für die Diaspora, der das Ergebnis der Umfrage als Beweis dafür sieht, "dass hinter der 'politischen' Kritik nur ein purer Antisemitismus steht". Die EU müsse aufhören, Israel zu dämonisieren. Die Post stimmt dem zu, sagt aber, dass die Antworten eine Inkohärenz aufzeigen. Jedes Land sei für die Europäer eine Bedrohung für den Weltfrieden, das in Schlagzeilen im Kontext des Kriegs gegen den Terrorismus steht. Deswegen stünden die beiden Demokratien USA und Israel, die beiden ehemaligen Terrorstaaten Afghanistan und Irak, die befreit wurden, und die Diktaturen Nordkorea und Iran an erster Stelle.
Wir wissen, dass die Europäer dazu neigen, jede Diskussion über Gut und Böse, über Demokratie und Diktatur als "Cowboyrede" und schrecklich undifferenziert betrachten. Aber jetzt können wir sehen, dass die europäische Opposition gegenüber diesen klaren Unterscheidungen zu einem entgegen gesetzten Extrem gelangt ist.
Eine "tiefe geistige und ideologische Verwirrung" wird in Europa ausgemacht, ein "kontinentaler Nihilismus". Aber die Lage ist für die Post ganz einfach: "Der militante Islam und sein Terrorarsenal wird entweder besiegt oder er wird auch auf Europa übergreifen." Zumindest sei der "Instinkt" eines jeden Israeli nach dieser Umfrage berechtigt, die Europäer möglichst weit aus diplomatischen Bemühungen herauszuhalten: "Memo an Europa: Eine Demokratie, die angegriffen wird, zu dämonisieren, stellt keine Möglichkeit dar, Freunde zu gewinnen und Menschen zu beeinflussen."