Dürftiges Wirtschaftswissen: ARD und ZDF in der Kritik
Studie stellt Wirtschaftsberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender ein ernüchterndes Zeugnis aus. Sie verfehlen ihren Informationsauftrag.
Wenn es um Wirtschaft geht und das Wissen über Abläufe, Zusammenhänge und politische Hintergründe, so zeige sich da eine dramatische Misere, warnte Henrik Müller vor ein paar Tagen in der Zeit.
Der Professor an der TU Dortmund, der Studiengänge für wirtschaftspolitischen Journalismus leitet, unterstützte seinen Befund – "dürftiges Wirtschaftswissen" – mit einer Studie der Zeit in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn aus dem Jahr 2018.
"Von Wirtschaft keinen Schimmer"
Deren Ergebnis steht in der Überschrift: "Von Wirtschaft keinen Schimmer". Erschreckend wenig wissen die Deutschen über Wirtschaft, heißt es dort. Eine vorausgehende imap-Untersuchung vergab die Schulnote "ausreichend", fügte Müller hinzu.
Was tun die öffentlich-rechtlichen Sender?
Was tun die öffentlich-rechtlichen Medien, um hier Abhilfe zu schaffen, ist die Frage, der Müller zusammen mit Gerret von Nordheim, ebenfalls Wissenschaftler an der TU Dortmund, in einer Studie der Otto-Brenner Stiftung (OBS) nachgegangen sind, die nun online frei zugänglich veröffentlich wird.
Zuverlässiges Wissen sei in Zeiten des Umbaus der Wirtschaft dringend nötig. Ohne eine verlässliche, qualitativ hochwertige und zugleich verständliche Berichterstattung könne die Herkulesaufgabe nicht gelingen, heißt es in dem Teaser zur Studie.
Zumal, wie in dem 88-seitigen Papier "Viel Kraft – wenig Biss" gewarnt wird, Populistinnen und Populisten seit längerem schon das Feld der Wirtschaftspolitik verstärkt bestellen.
Kompass auf Berlin ausgerichtet
Das Ergebnis für die ÖRR-Berichterstattung ist in der Summe dürftig. Zu viele Lücken, zu wenig konfrontativ, heißt es im Zeugnis von Müller und von Nordheim. Trotz einer hohen Präsenz von Wirtschaftsthemen in den Sendungen von ARD und ZDF, mangelt es an Tiefe, Perspektivenvielfalt, Kontinuität und Bereitschaft zur Konfrontation mit Entscheidern der Ausrichtung der Wirtschaftspolitik, stellen die beiden Studienautoren fest (Kurzfassung hier).
Heraus sticht zudem ein Satz, der eine weithin beklagte Nähe der öffentlich-rechtlichen Sender an die Regierung in Berlin bekräftigt. Zumindest bewegt sich die Kompassnadel der Berichterstattung auffällig daran aus:
Die Nachrichtenformate folgen in ihrer wirtschaftspolitischen Berichterstattung in weiten Teilen der Agenda des politischen Berlins.
Henrik Müller, Gerret von Nordheim.
Umfangreiche Berichterstattung, politisch beeinflusste Themenwahl
Die OBS-Studie analysierte 5.778 Sendungen mit rund 3.380 Stunden Programm über einen Zeitraum von sechs Monaten, vom Herbst 2022 bis Frühjahr 2023, mit "einem Mix aus computergestützten und händischen Methoden" (Müller).
Müller, von Nordheim und ihr Team fanden heraus, dass ein immerhin ein Fünftel der Sendezeit von Nachrichtensendungen, Talkshows und Politmagazinen wirtschaftspolitischen Fragen gewidmet ist. Es mangele nicht an Quantität, so Müller in der Zeit, wo er von einem "überraschend großen Anteil" schreibt.
Dieser lasse sich "zum Teil erklären mit den dramatischen Entwicklungen jener Zeit: drohende Energierationierung und rapide steigende Gaspreise infolge des Ukraine-Kriegs, dazu ein Inflationsschub, wie ihn Deutschland seit Generationen nicht erlebt hatte".
Allerdings: Die Themensetzung sei stark von der Bundespolitik beeinflusst. Gegenüber der Konzentration auf tagespolitischen Streit würden Kontinuität und Einordnung der Berichterstattung zu wünschen übrig lassen.
Unterbelichtet bleibt in der Berichterstattung vor allem die internationale Dimension der Wirtschaft. Europäische Aspekte und Entwicklungen im Ausland werden nicht kontinuierlich, sondern allenfalls ereignisbezogen beachtet.
Studie: Viel Kraft – wenig Biss
Zu wenig an der Materie und an den Arbeitnehmern
Als weiteres Problem wird herausgestrichen, dass die Berichterstattung sich oft weniger mit der Sache selbst als mit dem politischen Tauziehen drumherum und dem Austausch von Meinungen und Forderungen befasst. Insbesondere beim Thema Sozialpolitik leide darunter die Qualität der Beiträge merklich, die Informationsdichte der Beiträge sei gering ausgeprägt, so die Autoren der Studie.
Ein weiterer Kritikpunkt der Studie ist die Vernachlässigung der Perspektive der Arbeitnehmer. Die Zuschauer der Wirtschaftsmagazine werden überwiegend als Konsumenten von Produkten angesprochen und kaum in der Rolle als arbeitende Menschen thematisiert. Dies wird als ein stark verkürzter Blick auf Wirtschaft kritisiert, der nicht der Lebenswelt des Publikums gerecht wird.
Mehr Unabhängigkeit gefordert
Um die aufgezeigten Schwachstellen in der Wirtschaftsberichterstattung zu beheben, schlagen die Autoren der Studie vor, ein "ständiges wirtschaftspolitisches Format" in die Berichterstattung von ARD und ZDF zu integrieren. Denn grundsätzlich hätte der öffentlich-rechtliche Rundfunk das Potenzial, die Balance zwischen Aufklärung und Aufmerksamkeit gerade für den Wirtschaftsjournalismus zu gewährleisten.
Die Autoren fordern eine stärkere Unabhängigkeit von der politischen Agenda sowie eine vielfältigere Perspektiveneinnahme. Das ist nicht der erste Einwand, der in der Diskussion um die Qualität und Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, eine Verengung des Angebots kritisiert.
Nur eine qualitativ hochwertige, gut recherchierte und ausgewogene Wirtschaftsberichterstattung könne die Informationslücke in der Bevölkerung schließen und populistischen Positionen, die auf Unkenntnis setzen, entgegenwirken, so die Autoren, die die öffentlich-rechtlichen Sender auffordern, ihre Potenziale besser zu nutzen.