Scheiterte die globalisierungskritische Bewegung vor 20 Jahren in Genua?

Seite 2: Globalisierungskritik und Alltagswiderstand

Die Kritik am Event-Hopping gab es schon sehr früh in Teilen der globalisierungskritischen Bewegung. Es gab auch praktische Ansätze, den Protest gegen Elitengipfel und Alltagswiderstand zu verbinden, beispielsweise bei den heute auch schon wieder fast vergessenen Blockupy-Protesten gegen die Europäische Zentralbank in Frankfurt, wo es auch Solidarisierungsaktionen gemeinsam mit den gekündigten Maredo-Beschäftigten oder den Beschäftigten des Discounter Schlecker gab.

Vor allem traditionalistische Linke sehen in den Problemen bei der Verstetigung solcher Proteste die Missachtung der Organisierungsfrage, was meistens auf die alte Diskussion "Bewegung versus Partei" hinausläuft. Der sozialistische Philosoph Stefano G. Azzarà sieht in einem in der jungen Welt veröffentlichten Diskussionsbeitrag vor allem postmoderne Theorie und Praxis als Grund für den Niedergang der globalisierungskritischen Bewegung.

Richtig ist Einschätzung, dass in Italien vor ca. 20 Jahren nicht nur in der außerparlamentarischen Linken Aufbruchsstimmung herrschte. Mit der Rifondazione schien auch eine moderne sozialistische Partei zu entstehen. Heute ist die radikale Linke im Parlament kaum mehr vertreten und auch außerparlamentarisch marginalisiert.

Ein Teil der Protagonisten der globalisierungskritischen Kämpfe von vor 20 Jahren haben resigniert, sich ins Privatleben zurückgezogen, wenn sie nicht jahrelang mit Repression überzogen wurden.

Souveränismus statt linke Globalisierungskritik

Erst diese Niederlage schuf die rechte Hegemonie in Italien, gegen die sich in Genua die außerparlamentarische Bewegung stellte. Der Berlusconismus, der von ihr herausgefordert wurde und in Genua vor 20 Jahren mit der "chilenischen Nacht" blutig zurückschlug, hat die italienische Gesellschaft massiv verändert.

Die Rechten reagierten mit dem Konzept des Souveränismus auf die linke Globalisierungskritik. Stefano G. Azzarà arbeitet in seinen Beitrag gut heraus, dass es hier um den Kampf um Anteile am Kuchen innerhalb des globalen Kapitalismus geht und nicht wie beim linken Flügel der Globalisierungskritik um eine Infragestellung des Kapitalismus.

War die globalisierungskritische Bewegung eurozentristisch?

Azzarà irrt, wenn er der globalisierungskritischen Bewegung Eurozentrismus vorwirft und sie gar als letzte Zuckungen des Widerstands der fordistischen Welt interpretiert. Dabei vergisst er, dass wesentliche Impulse für die globalisierungskritische Bewegung von den Zapatistas aus Südmexiko oder den bäuerlichen Bewegungen in Indien kamen, die in der Bewegung Via Campesino zusammengeschlossen waren.

Kaum noch bekannt ist, dass im Sommer 1999 Hunderte indische Bauern nach Europa kamen, um Bündnispartner für ihren Kampf gegen die kapitalistische Globalisierung zu suchen. Sie fanden sie in der temporären Bewegung People global Action.

Auch das Weltsozialforum, das eine wichtige Rolle beim reformistischen Flügel der globalisierungskritischen Bewegung spielte, hatte ihre Wurzeln im globalen Süden, im brasilianischen Porto Alegre. Am Beginn des bolivarischen Prozesses in Venezuela spielte die globalisierungskritische Bewegung eine große Rolle. Es ist bedauerlich, dass schon 20 Jahre später diese Bezüge nicht mehr gesehen werden.

Zwanzig Jahre später blickt man gerne zurück. Doch man sollte die Gefahr von Mythologisierung und auch eines Selbstbezugs sehen. Denn dann sieht man nicht mehr die aktuellen Kämpfe.

Es sei nur an die Streiks bei Amazon in Italien in den letzten Wochen zu erinnern. Hier und nicht im Betrauern der verpassten Chancen vor 20 Jahren oder gar in einem Rückgriff auf Organisationsmodelle, die vor 100 Jahren in der Arbeiterbewegung eine Grundlage haben, liegen die Grundlage für eine neue linke Bewegung.