Schickt Washington Bodentruppen in den Irak und nach Syrien?
Die USA sind durch Russland unter Druck geraten und reagieren nervös, weil die Stellung als Großmacht in der Region bedroht ist
Im Wettlauf mit Moskau versucht Washington, seinen Einfluss in Syrien und im Irak zu sichern oder auszubauen. Die irakische Regierung arbeitet bereits mit Russland, Iran und Damaskus zusammen, die Regierung wird seitens schiitischer Politiker und Milizen gedrängt, ebenfalls um russische Hilfe im Kampf gegen den IS zu bitten. Wenn russische Kampfflugzeuge den IS im Irak auf Anfrage der Regierung bombardieren sollten, wäre dies nicht nur ein Zeugnis für die unzureichende Bekämpfung des IS durch die USA, es wäre nach Invasion und jahrelanger Besetzung mit Tausenden von toten Soldaten in den USA ein Fiasko für US-Präsident Obama und das Pentagon.
General Joseph Dunford, als Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff der oberste Militär, erklärte gestern dem Streitkräfteausschuss des Senats, dass er die irakische Führung gewarnt habe, russische Militärhilfe anzufordern. Dann könnten die USA die Unterstützung abbrechen, soll er gedroht haben. Der Irak könne aber nicht Einsätze von russischen Kampfflugzeugen abwehren, weil die Luft-zu-Luft-Kapazitäten eingeschränkt seien.
In dem Kontext kann man auch die Fahrt der deutschen Verteidigungsministerin von der Leyen nach Bagdad und in den Nordirak sehen. Deutschland wolle sich im Irak noch stärker militärisch engagieren, verkündete sie. Die Kurden sollen mehr Waffen erhalten, auch bei der Wiederaufbauhilfe werde Deutschland helfen. Zum Gespräch mit dem irakischen Verteidigungsminister al-Obeidi sagte sie, man werde "verlässlich zusammen stehen im Kampf gegen den IS". Man wolle auch prüfen, ob Deutschland "bestimmte Stärken" hat, um den Irak zu unterstützen.
Die USA haben letzte Woche im Irak einen Kurswechsel vollzogen. In einer gemeinsamen Mission mit kurdischen Peschmerga haben US-Spezialeinheiten mit Hubschraubern einen überraschenden Angriff auf ein Gefängnis des IS in Hawija, nördlich von Bagdad, ausgeführt, zuvor waren die Straßen von US-Kampfflugzeugen bombardiert worden. Zuvor war mittels Drohnen beobachtet worden, dass Gräben ausgehoben wurde, vermutet wurde, dass eine Massenexekution stattfinden werde. Unter den Gefangenen wurden nicht nur Kurden und Peschmerga-Kämpfer vermutet, die Amerikaner gingen auch davon aus, dass darunter auch ehemalige Soldaten und Mitarbeiter des Husseins-Regimes seien, die mit dem IS kooperiert, aber dann in Ungnade gefallen sind. Diesen soll das Hauptinteresse der US-Geheimdienste gegolten haben, die deren Kenntnisse über den IS erfahren wollten.
Bei der Befreiung der Gefangenen kam allerdings erstmals seit dem Abzug der amerikanischen Bodentruppen 2011 ein US-Soldat der Delta Force ums Leben. Das war mitsamt der Mission ein Signal, dass Washington nicht mehr nur mit Kampfflugzeugen und Drohnen direkt in die Kämpfe eingreifen will, sondern letztlich wieder mit Bodentruppen. Ein Schritt, den US-Präsident Obama eigentlich unbedingt vermeiden wollte, auch wenn bereits einige tausend Soldaten zur Beratung und Ausbildung im Irak stationiert sind. Die Mission war allerdings auch im Ergebnis nur halbwegs erfolgreich. Zwar konnten 70 Gefangene befreit werden, aber es waren lediglich Kurden.
Letzten Freitag betonte US-Verteidigungsminister Carter, dass es mehr von diesen Einsätzen in Zukunft geben werde. Das würde aber keineswegs bedeuten, dass nun doch wieder Bodentruppen eingesetzt würden. Man habe jetzt im Irak nicht wie früher Kampftruppen. Allerdings haben die USA Ende 2014 offizielle auch die letzten Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen. Seitdem sind dort im Kampf vier US-Soldaten getötet worden. Gestern sagte er vor dem Streitkräfteausschuss des Senats, das man weiterhin Partner bei Angriffen auf den IS wie letzte Woche auf Gefängnis "unterstützen" werde. Der IS müsse wissen, dass das US-Militär jedes Ziel erreichen könne.
Carter machte auch deutlich, dass das Pentagon in Syrien auf die neue "Syrisch-Arabische Koalition" setzt, um mit diesen Bodentruppen Raqqa anzugreifen. Allerdings hat die Türkei begonnen, nun nicht nur die PKK anzugreifen, sondern auch die YPD, die wesentlicher Bestandteil der von den USA unterstützten Koalition ist. Sie besteht vor allem aus kurdischen Kämpfern, die offenbar auch alleine die von den USA gelieferte Munition erhalten hat. Welche Rolle die arabischen und sunnitischen Partner spielen, ist nicht klar, sie dienen vor allem der Legitimation der Unterstützung der Kurden gegenüber der Türkei und den Golfstaaten und Saudi-Arabien. Zudem kämpfen die YPD-Einheiten zwar gegen den IS, aber mit der Assad-Regierung gibt es eine Art Stillhalteabkommen, das allerdings bislang auch die USA gepflogen haben.
Wichtig war Carter auch zu betonen, dass man mit Russland nicht militärisch kooperiert: "Wir lassen Russland keinen Einfluss auf die Geschwindigkeit und den Umfang unserer Kampagne gegen den IS im Irak und in Syrien", sagte der Verteidigungsminister, was natürlich nicht stimmt, abgesehen davon, dass die USA weiterhin die nicht genauer benannte gemäßigte syrische Opposition unterstützt und den Russen vorwirft, eben diese anzugreifen.
Dass Russland sehr wohl die amerikanische Haltung beeinflusst, zeigen Überlegungen im Weißen Haus, die US-Streitkräfte im Irak und in Syrien stärker in den Kampf gegen den IS einzubinden. US-Präsident Obama hatte Pläne gefordert, den Kampf effektiver zu machen, nachdem er bereits entschieden hatte, die verbliebenen US-Kampftruppen länger in Afghanistan zu lassen, nachdem die Taliban erfolgreich temporär Kundus eingenommen hatten.
Überlegt werde, so die Washington Post, neue Truppen in die Region zu schicken und Spezialeinheiten als Bodentruppen einzusetzen. Im Pentagon wird weiterhin die Einrichtung einer Flugverbotszone abgelehnt, da dies den Einsatz zahlreicher Bodentruppen und vieler Kampfflugzeuge erforderlich macht, die zudem die Luftabwehrsysteme und Kampfflugzeuge der syrischen Armee ausschalten müssten - undenkbar bei der Präsenz russischer Drohnen und Kampfflugzeuge in Syrien.
Obama habe ein Memo erhalten, das vorschlägt, um die Bekämpfung des IS zu verbessern, eine begrenzte Zahl von US-Spezialeinheiten auch in Syrien einzusetzen - auf dem Boden. Der Versuch, "gemäßigte" Kämpfer auszubilden, ist grandios gescheitert. Die wenigen, die ausgebildet und mit Waffen ausgestattet wurden, sind zu anderen Gruppen übergelaufen oder haben sich verdünnisiert. Die kleinen Teams der Spezialeinheiten sollten in Syrien mit den "gemäßigten" syrischen Oppositionsgruppen und den kurdischen YPG-Verbänden kooperieren, die, gestützt durch Luftangriffe, gegen den IS vorgehen sollten (aber nicht gegen die syrische Armee). Auch im Irak sollten Berater in die Kampfeinheiten integriert (embedded) und US-Soldaten weiter an die Kampflinien vorverlegt werden.
Die USA könnten so Schritt für Schritt wieder auch mit Bodentruppen in die Kämpfe hineingezogen werden. Das würde auch heißen, dass es mehr tote US-Soldaten geben wird. Wie sich die Situation militärisch lösen ließe, steht in den Sternen, wenn die USA nicht mit Russland paktieren und die Kröte Assad als Übergangslösung schlucken. Aber selbst wenn es hier eine Einigung auch mit dem Iran geben sollte, ist die große Frage, ob die Türkei, Saudi-Arabien und die Golfstaaten mitziehen werden. Und dann ist da auch noch das Problem, dass jede Eskalierung der Kämpfe neue Flüchtlingsströme auslösen könnte, die zwar nicht die USA, wohl aber die europäischen Alliierten betreffen. Darüber könnte auch die enge Beziehung der USA zu den osteuropäischen Staaten, mit denen man Druck auf das "alte Europa" auch im Ukraine-Konflikt ausgeübt hat, leiden.
Es könnte durchaus sein, dass die Hoffnung der USA auf die YPG ähnlich verwegen ist wie der Versuch, selbst syrische Bodentruppen aufzustellen. Angeblich haben die syrischen Kurden wenig Interesse, eine Offensive auf Raqqa zu starten. Eher will man Afrin mit Rojava verbinden, also das Gebiet unter kurdische Kontrolle stellen, das die Türkei als Flugverbotszone wünscht und das die syrische Armee mit russischer Unterstützung einnehmen will.