Schiitische Milizen drängen im Irak an die Macht
- Schiitische Milizen drängen im Irak an die Macht
- Schiitische Milizen wollen unabhängige Streitkräfte bleiben
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Der Abzug von US-Soldaten wird gefordert, tausende Anhänger des radikalen Geistlichen as-Sadr fordern eine neue Regierung und belagern die Green Zone
Syrien lenkt den Blick ab, schließlich ist nicht nur der Islamische Staat auch im Irak weiterhin präsent und kontrolliert mit Mosul die zweitgrößte Stadt des Landes, es finden an vielen Fronten Kämpfe statt und der IS überzieht das Land mit zahllosen Selbstmordanschlägen, sondern ähnlich wie Syrien ist auch der Irak kein Staat mehr.
Die Kurden im Norden sind bereits ein Staat im Staat mit eigenen Streitkräften, die letztes Jahr begonnen haben, eigenmächtig Öl aus der 2014 von Peschmerga besetzten Gegend um Kirkuk zu exportieren und Bagdad an den Einnahmen des kurdischen Öls nicht teilhaben zu lassen. Bagdad hat gerade die Lieferung von Öl eingestellt, das bislang über die Pipeline aus dem Nordirak in den türkischen Hafen Ceyhan gepumpt wurde, um die Kurden zu zwingen, sich zur Einigung über die Einkünfte wieder an den Verhandlungstisch zu setzen .Die Kurden helfen zwar, den IS zurückzudrängen, aber damit erweitern sie gleichzeitig das von ihnen kontrollierte Territorium. Auch die Kurden im Nordirak drängen auf einen eigenen Staat.
Der IS ist bislang die mächtigste bewaffnete Fraktion der irakischen Sunniten, die sich auch deswegen teilweise dem IS unterwerfen, weil sie von der irakischen Regierung, dominiert von schiitischen Politikern, diskriminiert werden. Zudem hängen die schiitischen Parteien eng mit schiitischen Milizen zusammen, die mit dem Einmarsch der Amerikaner entstanden sind und seitdem immer mächtiger wurden. Die Mahdi-Miliz des radikalen Geistlichen Muktada al-Sadr hat jahrelang auch gegen die amerikanischen Truppen gekämpft.
Seit dem Abzug der US-Streitkräfte hat die schiitisch dominierte Regierung unter Regierungschef al-Maliki die Sunniten, gerade auch jene Milizen, die von den USA bezahlt gegen die damaligen islamistischen Terrorgruppen die Ordnung aufrechterhielten, weitgehend entmachtet und damit die Politik der USA verstärkt. Die US-Regierung wollte durch Ent-Baathisisierung Behörden und Sicherheitskräfte von Hussein-Loyalen säubern, womit allerdings die staatliche Ordnung einbrach und viele der Sunniten in den Widerstand getrieben wurden. Der seit 2014 amtierende Regierungschef al-Abadi, der neben dem gemäßigten schiitischen Geistlichen al-Sistani auch von Washington gegen al-Maliki durchgesetzt wurde, nachdem der IS sich im Irak auch mit Unterstützung der sunnitischen Iraker ausgebreitet hat, konnte daran wenig verändern.
Die USA haben zwar nach dem Luftkrieg gegen den IS auch wieder Truppen in den Irak gesandt, um die irakische Zentralregierung zu stützen, aber unter al-Abadi hat Bagdad engere Verbindungen zu Moskau und Teheran geknüpft. Zudem ist die irakische Armee weiter geschwächt und auf die Hilfe der schiitischen Milizen angewiesen, die vom Iran unterstützt werden und eng mit der Regierung in Bagdad kooperieren. Das Pentagon versucht, diese möglichst aus den Kämpfen herauszuhalten, was aber nicht gelingt. Auch an der Rückeroberung von Tikrit waren schiitische Milizen, darunter von al-Sadr, beteiligt. Der Geistliche ist mit seinen Vertretern im Parlament auch weiterhin politisch einflussreich. Im Irak haben die schiitische Milizen, es soll um die 50 geben, mittlerweile zwischen 60.000 und 140.000 Mann, die auch über schwere Waffen verfügen, die sie oft aus Militärbeständen erhalten, darunter auch an die irakische Armee gelieferte US-Waffen.
Gerade führt as-Sadr Demonstrationen in Bagdad an, auf denen seine Anhänger, die meisten aus den armen schiitischen Vierteln der Hauptstadt, mit einem Ultimatum bis Ende März die Bildung einer neuen Regierung fordern. Sie soll nicht aus Politikern der gewählten Parteien bestehen, sondern aus Technokraten, um der grassierenden Korruption ein Ende zu bereiten. Sadrs Partei sitzt nicht nur im Parlament mit 40 Abgeordneten, auch 3 Minister werden von seiner Partei gestellt. Sadr hat sich auch von diesen distanziert, wenn sie korrupt sein sollten. Gefordert wird überdies, alle Iraker an den Ölgewinnen teilhaben zu lassen.
Der Unmut im Irak wächst, nachdem die Ölpreise eingebrochen sind und die Regierung neue Steuern erheben sowie Kürzungen ausführen musste, während sich Regierungsangehörige bereicherten. Die Regierung steht unter Druck, die vier Millionen Regierungsmitarbeiter in den Behörden weiter bezahlen zu können und die vielen Mitglieder der Milizen durch Soldzahlungen bei Laune zu halten. Dabei geht es nicht nur darum, dass sie weiter mit den irakischen Truppen gegen den IS kämpfen, sondern auch die Regierung nicht gefährden. Zehntausende schwerbewaffneter Kämpfer, deren Grausamkeit berüchtigt ist, sind eine permanente Bedrohung der Staatsmacht.
Sadr versucht auf diesem Hintergrund, die Lage durch außerparlamentarische Proteste auf den Straßen zu eskalieren. Letzten Freitag begannen trotz eines verhängten Verbots Tausende seiner Anhänger mit einem Sit-in vor der weiterhin festungsartig gesicherten Green Zone, dem Regierungsviertel, wo auch viele Politiker leben. Sadr hatte Ende Februar gedroht, die Green City zu stürmen und einen Protest von vielen Millionen angekündigt. Man darf davon ausgehen, dass eine technokratische Regierung, wie sie von ihm gefordert wird weitgehend aus Schiiten bestehen würde, was den losen Zusammenhalt des Landes noch weiter gefährden würde. Möglicherweise nutzt Sadr auch die Haltung des einflussreichen, aber gemäßigten schiitischen Geistlichen al-Sistani aus, der im Januar beschlossen hatte, aus Kritik an der reformunwilligen Regierung, nicht mehr zu predigen. Sadr-Anhänger sprechen von einer "Harmonie" der beiden Geistlichen, auch wenn es keine direkte Kooperation gibt.
Probleme gibt es gerade, nachdem das Pentagon erklärte hatte, zusätzliche Truppen in den Irak geschickt zu haben. Die 26th Marine Expeditionary Unit soll die irakischen Truppen bei der geplanten Offensive auf Mosul unterstützen. Ein Soldat der Einheit, der sich auf dem offenbar neu eingerichteten Stützpunkt bei Makhmour in der Nähe von Mosul befand, wurde am Samstag durch einen Raketenangriff getötet, acht wurden teils schwer verletzt. Einige hundert Marines sollen sich bereits seit 2 Wochen dort aufhalten. Vergangenen Samstag hatte Pentagon-Sprecher Peter Cook den Vorfall gemeldet. Daraufhin war die Stationierung bekannt geworden. Am Montag wurde der Stützpunkt erneut von IS-Kämpfern angegriffen, die diesem so nahe kamen, dass sie mit Schusswaffen feuern konnten.
In den USA fragt man sich, woher der Islamische Staat Kenntnis von der Stationierung der Marines hatte, da diese nicht bekannt gegeben wurde. Daily Beast will von Regierungsmiterbeitern erfahren haben, dass die USA tatsächlich den Einsatz im Land in Vorbereitung der "größten Schlacht". Man hatte beabsichtigt, die Verlegung am 20. März bekanntzugeben, nachdem die Einheit voll einsatzfähig ist. Offenbar wurde der Aufbau des Stützpunkts und die Ankunft der Truppen vom IS beobachtet, der der Pentagon-Medienstrategie mit dem Angriff zuvorkam. Klar wurde dadurch, dass nicht alle US-Soldaten nicht in gesicherten Stützpunkten stationiert sind und nicht direkt an Kämpfen teilnehmen.