Schily warnt vor Panik rund um Bioterror
An dem ersten gefassten Trittbrettfahrer will der Bundesinnenminister, der im Bundestag den europäischen Maßnahmenkatalog gegen den Terrorismus vorstellte, ein Exempel statuieren
Europaweit kommt der Kampf gegen den Terrorismus gut voran, berichtete Innenminister Otto Schily am Mittwoch vor dem Europaauschuss des Bundestags. Ein beschlossenes Maßnahmenpaket soll Europol mehr Befugnisse geben und die Schläferfahndung verbessern. Nachlässigkeiten räumte der SPD-Politiker allerdings im Bereich Vorsorge gegen den Terrorismus mit Biowaffen ein.
Nachdem in Deutschland seit Tagen Briefe mit weißem Pulver unter anderem im Bundeskanzleramt, im Amtsgericht Tiergarten sowie im Berliner Axel-Springer-Verlag zu heller Aufregung wegen potenzieller Milzbrand-Attentate geführt haben, hat Bundesinnenminister Otto Schily am Mittwoch bei einem Fachgespräch des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union vor einer Hysterie in der Bevölkerung und der Lähmung des öffentlichen Lebens gewarnt. "Wir müssen auch an der Psychologie arbeiten", sagte der SPD-Politiker. Es dürfe nicht so weiter gehen, "dass jedes Pülverchen gleich zu Expertenkommissionen führt."
Der Innenminister rief angesichts der vielen ausgelösten Alarmfälle zu "mehr Gelassenheit" auf. Gefragt sei Standfestigkeit, damit "wir uns nicht aus der Bahn treiben lassen" von Trittbrettfahrern, die ein "sadistisches Vergnügen" hätten, die Bevölkerung zu ängstigen. Das Phänomen, dass Menschen mit dem "Entsetzen Scherz treiben" bezeichnete Schily als "eine der widerlichsten Erscheinungen", die er kennen gelernt habe. Der oberste Sicherheitshüter der Republik versicherte den Abgeordneten daher, alle erdenklichen Anstrengungen zur Ergreifung der Täter zu unternehmen. "Es muss gelingen, einen dieser Burschen zu fassen." Sollte Schily einer der Vögel ins Netz gehen, will er ihn "exemplarisch bestrafen" und ihm auch "Schadensersatz aufbrummen".
Wie die Polizei den anonymen Briefversendern auf die Spur kommen will, erläuterte Schily nicht. Zu einer flächendeckenden Überwachung von Briefkästen dürfte momentan das Personal bei den Sicherheitskräften fehlen. Selbst falls die Bundeswehr stärker zu derlei inneren Aufgaben herangezogen würde, wie es Mitglieder der Unionsparteien seit dem 11. September immer wieder fordern, wird die Kontrolle der Postabgabestellen schwer fallen.
Keine Pockenimpfstoffe in Deutschland
Schily gab gleichzeitig Defizite bei der Prävention von terroristischen Anschlägen mit Hilfe von Biowaffen wie Milzbrand-Bakterien oder Pocken-Erregern zu. "Darauf waren wir auch nicht eingestellt", berichtete der frühere RAF-Anwalt. Um Terrorismus mit biologischen Substanzen zu verhindern, will Schily nun zunächst die "Detektionsmöglichkeiten" ausbauen.
Auch die "Frage der Bevorratung" mit Abwehrstoffen steht auf seiner Agenda. Bei pharmazeutischen Substanzen habe die Bundesregierung bisher auf eine "Just in time"-Produktion gesetzt. Eine der Folgen dieser Politik: In ganz Deutschland gibt es keinen Pockenimpfstoff mehr, obwohl die Bundesregierung einen Angriff mit den Viren nicht mehr ausschließt. Das Bundesgesundheitsministerium erwägt daher, Impfstoff gegen die ausgerottet geglaubte in größeren Mengen zu produzieren.
Dass die Bundesregierung den Katastrophenschutz insgesamt in den letzten Jahren vernachlässigt habe und es keine gemeinsamen Einsatzpläne der Sicherheitsbehörden im Falle einer grenzüberschreitenden Terroraktion gäbe, wie der CSU-Abgeordnete Peter Altmaier anmerkte, wollte Schily allerdings nicht bestätigen. Man habe ein neues Warnsystem geschaffen, das am besten auch europaweit ausgebaut werden sollte. Zu beachten sei dabei aber, die föderale Struktur zu erhalten.
Umfangreiches Maßnahmenpaket auf EU-Ebene verabschiedet
Den Ausschussmitgliedern stellte der Innenminister außerdem den "umfangreichen Maßnahmenkatalog" vor, den die europäischen Justiz- und Innenminister bei ihren jüngsten Sitzungen nach den Terrorattacken auf New York und Washington beschlossen haben. Beispielhaft nannte er dabei die geplante Einführung eines europäischen Haftbefehls in Zusammenhang mit terroristischen Anschläge, den Aufbau eines allgemeinen Ermittlungsdiensts unter Einbeziehung von Europol und der als grenzüberschreitenden Staatsanwaltschaft gehandelten, bislang aber hauptsächlich auf dem Papier existierenden Institution Eurojust, sowie die Verbesserung des Austauschs der Sicherheitsbehörden unter der Einbeziehung des europäischen Polizeiamts. Insgesamt sei die Intensivierung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit im internationalen Maßstab auf guten Wege.
Einvernehmen bestehe innerhalb der EU auch beim Kampf gegen die Finanzierung des Terrorismus, so Schily weiter. Die entsprechende EU-Geldwäscherichtlinie sei auf den Weg gebracht worden. Damit stehe auch in Deutschland eine mal wieder ziemlich "umfangreiche" Novellierung des deutschen Geldwäschegesetzes an, die Schily in seinem Haus "als einer der ersten" umzusetzen gedenkt. Damit sei auch eine stärkere Kontrolle der Finanzmärkte geplant. Stichworte dabei sind die Verschärfung Konten-Inhaberkontrolle, der Aufbau eines EDV-Rasters, die Aufsicht über das Kreditkartengeschäft, die bessere Verfolgung von Insider-Geschäften sowie die Begrenzung von "Leerverkäufen" und anderen Börsenspekulationen in Krisensituationen.
Auf dem Programm steht des Weiteren die Einrichtung gemeinsamer Visa-Dateien sowie eines europäisches Zentralregistesr für Staatsbürger "verdächtiger" Drittstaaten. Eine Ergänzung dieser Schutzmaßnahmen sieht Schily in der Einführung neuer Methoden zur Identitätssicherung wie etwa mit Hilfe von Fingerabdrücken (Hat der Fingerabdruck ausgedient?). Außerdem dringt Schily darauf, überall in Europa endlich die Voraussetzungen für die in Deutschland seit Anfang Oktober laufende Rasterfahndung zu schaffen und Europol für den Online-Zugriff auf Datenbanken der Ermittlungsbehörden der Mitgliedsländer zu ermächtigen. Auf sein zweites Anti-Terrorpaket, dessen Grundlinien Telepolis vergangene Woche veröffentlicht hatte (Schilys Geheimplan im Kampf gegen den Terrorismus), ging der Innenminister im Europaauschuss nicht ein.
Datenschutz gerät ins Hintertreffen
Die einzige Stimme, die angesichts der geplanten Ausweitung der Befugnisse der Strafverfolger und des anstehenden unbegrenzten Informationsflusses der Sicherheitsbehörden Bedenken wegen Verletzungen des Datenschutzes und Eingriffen in die Bürgerrechte äußerte, kam bei dem "Fachgespräch" von ganz links außen. So bemängelte der PDS-Abgeordnete Uwe Hiksch, dass die "die Frage der Unantastbarkeit der Privatsphäre" in der freiheitlichen Gesellschaft immer mehr in den Hintergrund gerate, und fragte an, wie der Datenschutz der Bürger weiterhin aufrecht erhalten sollte.
Schilys Antwort fiel ziemlich knapp und schwammig aus: Der Datenschutz sei durch entsprechende Richtlinien in Europa bereits gut - fast schon zu gut - geregelt. "Das Regelungsbedürfnis" auf EU-Ebene, stöhnte der Innenminister, "macht uns die Sache nicht immer einfach". Wie im nationalen Bereich sei bei der Sicherung der Bürgerrechte immer abzuwägen mit den Interessen der Strafverfolger.