Schilys Geheimplan im Kampf gegen den Terrorismus
Der Bundesinnenminister rüttelt mit seinem zweiten Anti-Terror-Paket an den Grundfesten des Rechtsstaats und stellt alle Bürger unter Generalverdacht
Während das erste Anti-Terror-Paket der Bundesregierung gerade durch die Gremien wandert (Das Rennen um die innere Sicherheit), hat Bundesinnenminister Otto Schily schon sein zweites Bündel geschnürt. Darin geht es vor allem um eine deutliche Ausweitung der Macht des Bundeskriminalamts, das in Zukunft den Terrorismus bereits "vorbeugend" bekämpfen und ohne Verdachtsmomente ermitteln können soll. Der Schritt zum Geheimdienst wäre damit nicht mehr groß. Auch der Bundesverfassungsschutz soll ungehemmt schnüffeln dürfen. Vorgesehen sind zudem tiefe Einschnitte ins Ausländer- und Asylrecht.
Das Bundesinnenministerium hat ein weiteres Anti-Terror-Paket vorbereitet, mit dem die Ermittlungsbefugnisse des Bundeskriminalamts (BKA), des Bundesgrenzschutzes (BGS) sowie des Verfassungsschutzes deutlich ausgeweitet und verdachtsunabhängige Recherchen möglich werden sollen.
Der ausführliche, sich noch in der Abstimmung befindliche "Gesetzesentwurf zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus", der Telepolis bereits vorliegt und Ende Oktober auf der Agenda des Bundeskabinetts steht, soll die Grundlagen schaffen für die Aufnahme von Fingerabdrücken in Pässen, "Sky-Marshals" des BGS an Bord von Verkehrsflugzeugen bringen und Banken gegenüber dem Verfassungsschutz auskunftspflichtig machen. Ausländer müssten bei Inkrafttreten der Änderungen auf deutlich schärfere Kontrollen gefasst sein.
Der in einzelne Artikel unterteilte Vorstoß formuliert nach Ansicht des Innenministeriums "die gesetzlichen Voraussetzungen zur Verbesserung des Informationsaustausches sowie der Schaffung notwendiger identitätssichernder Maßnahmen, die für eine entschlossene aber auch wirkungsvolle Bekämpfung des internationalen Terrorismus dringend erforderlich sind." Betroffen sind die Inhalte von insgesamt elf Gesetzen und Verordnungen: Die Palette reicht vom BKA-Gesetz über das Bundesverfassungsschutzgesetz, das Passgesetz oder das Ausländergesetz bis hin zu Ausländerdateienverordnung.
Der von Bundesinnenminister Otto Schily entworfene Maßnahmenkatalog, der Bund und Ländern erhebliche Mehrkosten aufbürden würde, rührt an den Grundfesten rechtsstaatlicher Prinzipien. So dringt der SPD-Politiker darauf, dass BKA-Ermittler in Zukunft ohne strafprozessualen Anfangsverdacht und verstärkt auch verdeckt tätig werden können. Konkret plant Schily, einen neuen § 7a ins Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) einzuführen. Demnach soll das Bundeskriminalamt "zur Feststellung, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat vorliegen, in den Fällen, in denen es für die Strafverfolgung nach § 4 Absatz 1 zuständig ist, personenbezogene Daten erheben sowie weitere Maßnahmen durchführen" können.
Was sich zunächst unspektakulär anhört, führt seit Jahren zu heftigen Diskussionen unter Juristen und könnte die Arbeitsweise des BKA an die Methoden von Geheimdiensten annähern. Bisher dürfen Kriminalbeamte in der Regel nur ihre Arbeit aufnehmen, wenn eine deutliche Gefahr für ein Rechtsgut erkennbar ist. Auch der Staatsanwalt kann nur ermitteln, wenn ein erster Verdacht vorliegt.
Jeder ist in Verdacht
Derlei Regelungen sind zur Begrenzung der Befugnisse der Strafverfolgungs- und Justizbehörden ins Polizeirecht eingefügt worden. Eine Lockerung dieser Grundsätze ist äußerst strittig. So warnen Experten wie Fredrik Roggan von der Universität Bremen vor einem "Verschwimmen der Grenzen zwischen Polizei- und Strafprozessrecht" sowie drohenden Kompetenzüberschreitungen der Verfolger bei der vorgeschlagenen Schaffung der "Vorfeldermittlungsbefugnis". Dem Juristen stellt sich die Frage, ob zu Zeitpunkten, in dem noch keine Gefahr besteht und noch keine Strafverfolgung zu besorgen ist, überhaupt schon eine Qualifizierung von Betroffenen als Störer, Nichtstörer (oder gar Tatverdächtiger) seriös vorgenommen werden kann.
Solange aber nicht verbindlich festgestellt werden kann, so Roggan, ob ein von polizeirechtlichen Vorfeld-Maßnahmen Betroffener als Störer oder Nichtstörer zu qualifizieren sein wird, können auch die gesetzlichen Schutznormen für "Nichtstörer" ihre Aufgabe nicht erfüllen. Ganz erhebliche, das polizeiliche Handeln sonst steuernde Maßgaben existierten hier also nicht. Das polizeiliche, auch heimliche Tätigwerden werde damit nicht begrenzt und kann sich folglich gegen jeden Bürger richten. Im Bereich der heimlichen Datenerhebungen im Vorfeld sei das polizeiliche Tätigwerden demnach gerade hinsichtlich des Adressatenkreises und des Umfangs der Befugnisse kaum einer effektiven Kontrolle ausgesetzt, da naturgemäß viele der Betroffenen von den Datenerhebungen nichts erfahren würden.
Internet bietet Terroristen und Polizisten neue Tätigkeitsfelder
Verstärkt ins Visier nehmen soll das BKA auf Wunsch des Innenministeriums das Internet, da Datennetze auch "Terroristen ein neues Tätigkeitsfeld" bieten. Den Tätern steht gemäß Begründung des Gesetzesentwurfs mit dem Netz "eine leistungsfähige Infrastruktur zur Durchführung von Straftaten, insbesondere Möglichkeiten zum Angriff auf die Informations- und Kommunikationssysteme zur Verfügung". Das hätten "Erfahrungen aus dem Ermittlungsbereich" gezeigt. Den "anlassunabhängigen" Streifen im Netz, die das BKA bereits durchführt, sowie dem Einsatz der automatisierten "Rasterfahndung"-Suchmaschine INTERMIT will Schily daher nun eine Ermächtigungsgrundlage nachreichen (Die Automatisierung der Web-Überwachung).
Beschränkt werden soll sie auf die Beschaffung von Verdachtsmomenten rund um die gesamte Palette der so genannten "Hackerparagraphen", also das Ausspähen (§ 202 a Strafgesetzbuch), die Datenveränderung (§ 303 a StGB) sowie die Computersabotage (§ 303b StGB), die "zu erheblichen Auswirkungen auf die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland führen oder einen erheblichen Vermögensschaden herbeiführen" könnten.
Verfassungsschutz soll die Lauscher aufstellen
Auch dem Bundesverfassungsschutz will Schily ein deutlich aufgestocktes Instrumentarium an die Hand geben. Er soll das Recht erhalten, "Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten". Sie könnten "ein gefährlicher Nährboden für den wachsenden Terrorismus" sein, ist der Begründung des Gesetzesentwurf zu entnehmen. Um seiner "präventiven" Funktion gerecht werden zu können, will das Innenministerium den Verfassungsschutz mit allen nötigen Informationen über die Kommunikationswege der Terroristen sowie ihre Nachrichteninhalte im Wege von Überwachungsmöglichkeiten nach dem "G-10-Gesetz" versorgen, das das Fernmeldegeheimnis einschränkt (Bundestag verabschiedet Lauschgesetz).
Die Behörde soll dazu Zugriff auf die Verbindungsdaten erhalten, Bewegungsbilder Verdächtiger über die Auswertung der Standortangaben von Mobiltelefonen erstellen und sogar den umstrittenen "IMSI-Catcher" zur Ermittlung von Geräte- und Kartennummern einsetzen dürfen (Regierung hält IMSI-Catcher für (fast) legal). Die sieht das Innenministerium als "Einstiegsinformationen", die zur Ermittlung der Telefonnummer und damit für einen ordnungsgemäßen Antrag auf Anordnung der Telekommunikationsüberwachung nach dem G 10 erforderlich sind.
Die Verfassungsschützer sollen außerdem Geldflüsse und Kontobewegungen überwachen, um die logistischen Vorbereitungen von Terroranschlägen und ihre Finanzierung zu verhindern. Der Entwurf will zu diesem Zweck Banken und Finanzinstitute zur Auskunftspflicht verdonnern. Dabei sei sicherzustellen, "dass jede Transaktion zurückverfolgt werden kann".
Biometrie für Pass und Personalausweis
Ein weiteres Steckenpferd Schilys ist die Verbesserung der computergestützten Identifizierung einer Person auf der Grundlage eines Ausweisdokumentes. Während Amerikaner und Briten noch über die Einführung nationaler Identifikationskarten debattieren, sieht der deutsche Entwurf daher bereits Änderungen des Passgesetzes sowie des Gesetzes über Personalausweise vor. In beiden soll eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, neben dem Lichtbild und der Unterschrift weitere biometrische Informationen, wie etwa Fingerabdrücke, Handgeometrie oder Gesichtsgeometrie, in die Dokumente aufzunehmen.
Damit hinge die Zuverlässigkeit der Identifizierung einer Person nicht mehr allein vom visuellen Vergleich zwischen Lichtbild und Kontrollobjekt und damit von der subjektiven Wahrnehmungsfähigkeit ab, begründen die Autoren des Entwurfs die neuen Vorgaben. Außerdem werde sie auch durch zahlreiche andere Faktoren, wie der Qualität des Lichtbildes, den natürlichen Alterungsprozess oder der Veränderung von Haar- und Barttracht, nicht mehr negativ beeinträchtigt. Um den Abgleich der Daten per Computer zu ermöglichen, sollen sie auf den Ausweiskarten verschlüsselt gelagert werden.
Sprachproben und Data-Mining sollen potenzielle Terroristen outen
Vervollständigt wird das 135 Seiten umfassende Paket durch Änderungen des Ausländergesetzes und des Asylrechts. Die zu Terrorakten bereiten "Schläfer" unter den ausländische Mitbürgern sollen dadurch leichter identifiziert werden und die Einreise von Extremisten von Anfang an besser verhindert werden können. So überlegt das Innenministerium, etwa bei Asylbwerbern ohne Papiere eine gesetzliche Grundlage für Sprachaufzeichnungen zu schaffen, mit der eine identitätssichernde Sprachanalyse zur Bestimmung der Herkunftsregion erfolgen kann. Bei Terrorismus- und Extremismusverdacht sollen zudem Visa einfacher versagt werden können.
Das Ausländerzentralregister, das wichtige Daten im Zusammenhang der Vergabe von Visa enthält, will Schily zu diesem Zweck deutlich ausbauen. Um die Arbeit der Nachrichtendienste und Strafverfolger effektiver zu gestalten, will sie das Innenministerium mit der Möglichkeit versehen, den gesamten Datenbestand automatisiert abzurufen sowie "Gruppenauskünfte" zu erheben.
Insgesamt gehört auch die bessere Informationsausstattung aller deutschen Auslandsvertretungen neben der weiteren Vernetzung des Datenbestandes und des Informationsflusses zwischen den innerstaatlichen Behörden zu den Kernanliegen des Papiers.
Die Kosten für die Sicherheit
Den finanziellen Mehraufwand, zu dem die Einführung erweiterter Ermittlungs- und Befugniskompetenzen bei den Sicherheitsbehörden sowie die Intensivierung der Kontrolltätigkeiten und Sicherheitsaufgaben beim Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder auch der Einsatz der Sky-Marshals führen könnte, ist laut Bundesinnenministerium zum "gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hinreichend genau abschätzbar". Allein die Verbesserung der Datenbestände im Ausländerzentralregister dürfte den Bund voraussichtlich in Höhe von 33,7 Millionen Euro bis zum Jahr 2005 belasten.
Von dem finanziellen Sicherheitspaket in Höhe von 3 Milliarden Mark, das die Bundesregierung bereits eingeplant und aufgeteilt hat, sind bislang "nur" 500 Millionen Mark für das Innenministerium vorgesehen. Der Löwenanteil in Höhe der Hälfte der Gelder soll dem Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt werden. Dass die "Peanuts" für die innere Sicherheit mit dem Vorhaben Schilys kompatibel sind, ist zu bezweifeln. Neben der beschlossenen Erhöhung der Tabaksteuer um 2 Cent pro Zigarette und der Anhebung der Versicherungssteuer um ein Prozent werden vermutlich weitere Teuerungen auf die Verbraucher zukommen (Her mit den Kippen).