Das Rennen um die innere Sicherheit
Im Vorfeld des ersten großen "Anti-Terror-Tags" im Parlament haben sich Bundestagsfraktionen gegenseitig mit Vorschlägen zur Einschränkung der Bürgerrechte überboten
Nachdem das Bundeskriminalamt (BKA) inzwischen dafür gesorgt hat, dass vor dem Reichstag keine Taxen mehr halten, die Kuppel nur noch unter höchstens Sicherheitsvorkehrungen betreten werden darf und die Beratungsräume "gasdicht" sind, steht der Bundestag am heutigen Donnerstag auch inhaltlich ganz im Zeichen der Terrorbekämpfung. Ein erstes Maßnahmenpaket soll verabschiedet werden, ein Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion steht ebenfalls auf dem Programm. Aber auch die anderen Parteilager haben ihre Positionen weit gehend "Terror-fest" gemacht. Fingerabdrücke im Ausweis, Bewegungsprofile von Handynutzern sowie verstärkte Rasterfahndungen dürften so schon bald alltäglich werden.
Seit den Anschlägen auf die USA und weiteren Androhungen für Terrorattacken nach den Luftangriffen auf Afghanistan schaukeln sich die Bundestagsfraktionen gegenseitig hoch bei der Beratung und Verabschiedung langer Anträge und Positionspapiere zur Stärkung der inneren Sicherheit. Deutschland soll demnach zur gut überwachten Festung werden, in der Schläfer und Attentäter keine Chance mehr haben. Dass dabei keine Zeit mehr bleibt, über bürgerliche Freiheitsrechte zu diskutieren, gehört schon fast zum guten Ton.
Bereits so gut wie beschlossene Sache sind große Teile so genannten erste Anti-Terror-Pakets, dem sich der Bundestag in seiner Sitzung am heutigen Donnerstag widmet. Bei Fragen wie der Ausweitung von § 129a des Strafgesetzbuches (StGB), der in Zukunft auch die Bildung terroristischer Vereinigungen im Ausland erfassen soll (Der Traum vom europäischen Rechtsraum), streiten sich die Regierungs- und Oppositionsparteien im Prinzip nur noch darum, wer entsprechende Regelungen bisher verhindert hat. So weist die FDP-Bundestagsfraktion in einem Positionspapier, das Telepolis vorliegt, süffisant darauf hin, dass "SPD und Grüne 1986 noch die Verschärfung des § 129a StGB abgelehnt hatten."
Generell werden die "Liberalen" in ihren am Dienstag verabschiedeten "Vorschlägen zur Verbesserung der inneren Sicherheit" nicht müde zu betonen, dass sie die besseren Schilys und Schills in der Partei haben. So erinnert die Fraktion an die alten Koalitionszeiten: damals habe man zusammen mit der CDU/CSU mithilfe von "über fünfzig Gesetzen" zwischen 1990 und 1998 "der Polizei, der Justiz und den Geheimdiensten ein verschärftes Instrumentarium an die Hand gegeben, um besser gegen Geldwäsche, organisierte Kriminalität, Korruption und Rauschgifthandel vorgehen zu können." Doch die Waffe sei stumpf, da allein bei der Polizei bundesweit "mehrere zehntausend Stellen fehlen". Allein in Berlin würden daher 2.000 DNA-Analysen nicht bearbeitet und 60 richterlich angeordnete Telefonüberwachungen nicht ausgeführt.
Liberalismus der Stärke
Gemäß dem Motto von FDP-Chef Guido Westerwelle, wonach Liberalismus nicht als Schwäche ausgelegt werden darf, will die Fraktion daher nicht nur dem heute behandelten Maßnahmenpaket zustimmen. Dazu gehört neben der Änderung von § 129a StGB auch die Aufhebung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht sowie die intensivere Überprüfung des Flughafenpersonals in sicherheitsrelevanten Bereichen. Darüber hinaus setzt sich die FDP für eine ganze Reihe von Maßnahmen ein, die nach "Law and Order" rufen.
Die Palette startet bei der Aufforderung an die Bundesländer, die Rasterfahndung konsequent anzuwenden und vorgesehene Befristungen wie etwa in Schleswig-Holstein abzulehnen. Weiter geht es mit Vorschlägen zur stärkeren verfassungsrechtlichen Prüfung von Zuwanderern und bereits Eingebürgerten. Zentrale Forderungen erstrecken sich zudem auf die bessere Nutzung vorhandener sowie Schaffung neuer Datenbestände. So wünscht sich die FDP-Fraktion, bei deren jüngster Anti-Terror-Verhandlungsrunde selbst bisher hartnäckige Verfechter von Bürgerrechten wie die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (Quo vadis, Liberalismus?) verstummten, beispielsweise einen besseren "Informationsaustausch der Nachrichtendienste mit anderen deutschen Behörden, die mit sicherheitsbezogenen Fragen befasst sind."
Konkret gefordert wird auch ein verbesserter Datenabgleich zwischen Sicherheitsbehörden und Ausländerzentralregister sowie ein verstärkter Abgleich von Fingerabdrücken von Asylbewerbern mit den Datenbeständen der Polizeibehörden. Dass die biometrischen Erkennungsmittel laut Plan von Bundesinnenminister Otto Schily in Zukunft die Identitätsfeststellung aller Bürger "wirkungsvoll" erleichtern sollen, begrüßt die Fraktion zudem.
Gleichzeitig kritisiert sie, dass das 1992 beschlossene neue polizeiliche länderübergreifende Informationssystem (INPOL-Neu) aufgrund immer wieder auftretender Hard- und Software-Schwierigkeiten immer noch nicht realisiert ist (Polizei-Informationssystem Inpol-Neu droht zum Fiasko zu werden. Bis zum heutigen Tag sei ein dreistelliger Millionenbetrag für dieses System ausgegeben worden, die Ausgaben- und Kostenplanung des Bundeskriminalamtes sähe für die Jahre 2002 bis 2005 weitere 195 Millionen Mark vor. Trotzdem sei "noch nicht abzusehen, wann dieses Projekt endlich in Betrieb genommen werden kann." Ergänzt werden soll INPOL-Neu, so die FDP-Leitlinien, gleich durch eine "internationale Anti-Terror-Datenbank".
Wenn heute im Bundestag über die Kronzeugenregelung debattiert wird, die von 1989 bis 1999 schon einmal hier zu Lande galt und vor allem auf Bestreben der Grünen nicht verlängert wurde, begrüßt die FDP-Fraktion sie ebenfalls. "Rechtsstaatlich einwandfrei" soll sie aber sein. Die Bundesregierung will dazu einen neu-alten Gesetzesentwurf vorstellen, der "Überläufern" vermutlich fünf Jahre Strafmilderung in Aussicht stellt sowie direkt in § 100 Strafprozessordnung (StPO) eingebettet werden soll. Weit gehend einer Meinung ist die FDP dabei wieder mit ihrer alten Schwesternfraktion. Ähnlich einig ist man bei der Ausrüstung Europols mit Kompetenzen zur Bekämpfung des Terrorismus. Operative und exekutive Befugnisse soll die europäische Polizeibehörde laut FDP allerdings nur erhalten, wenn vorher die Immunität ihrer Mitarbeiter aufgehoben wird.
CDU/CSU frischt ihre alten Anträge auf
Fast schon blass wirkt angesichts der Neupositionierung der (Ex-) Liberalen der überwiegend recycelte Entschließungsantrag, den die CDU/CSU-Fraktion mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Lage nach dem Rückschlag der USA und ihrer Verbündeten in den Bundestag einbringen will. Mit dem Papier "Sicherheit 21" wollen die Konservativen zeigen, "was zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus jetzt zu tun ist." Das sich auf immerhin 1,53 Milliarden Euro belaufende erste "Anti-Terror-Paket" der Bundesregierung kann demnach "nur ein erster Schritt zur Stärkung der äußeren und inneren Sicherheit" sein.
Mittelfristig will die CDU/CSU vor allem "die Dienste" sowie die Ermittler besser technisch und personell ausstatten und zu "schlagkräftigen" Einheiten ausbauen. Die Flugsicherheit soll auf "El-Al-Niveau" gehoben werden, so dass Passagiere wie bei Flügen nach oder von Israel in Zukunft vor allem sehr viel Zeit mitbringen müssten. Angesichts des "Ausmaßes der Bedrohung" erscheinen dem konservativen Lager die geltenden auch "Einschränkungen der akustischen Wohnraumüberwachung und der Ausschluss der optischen Wohnraumüberwachung nicht mehr zeitgemäß." Der Große Lauschangriff soll folglich noch intensiviert werden.
Run auf die Daten
Dazu kommen bekannte Forderungen, wie sie bereits in einem noch aus der Zeit vor dem 11. September stammenden Antrag zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sowie des Terrorismus (Link: CDU/CSU beantragt neue Einschnitte ins Telekommunikationsgeheimnis) sowie in den Leitlinien des CDU-Bundesvorstands zur inneren Sicherheit laut wurden (CDU/CSU beantragt neue Einschnitte ins Telekommunikationsgeheimnis.
So dringt die Fraktion erneut auf eine Ergänzung des Straftatenkatalogs zur Überwachung der Telekommunikation sowie die Änderung des Telekommunikationsgesetzes. Insbesondere soll dabei zugunsten der Strafverfolgungsbehörden eine Mindestfrist für die Speicherung von Verbindungsdaten festgelegt werden. Wie gehabt steht auch die Vereinfachung der rechtlichen Möglichkeit der Erstellung von Bewegungsprofilen von Mobilfunknutzern an oberer Stelle.
Erfolgsaussichten werden dem von führenden Innen-, Außen- und Verteidigungspolitikern der CDU/CSU erarbeiten Entschließungsantrag zwar in seiner Gesamtheit nicht eingeräumt. Zumindest bei der stärkeren Überwachung der Handynutzer könnte die Fraktion allerdings bereits heute Rückendeckung im Bundestag finden: Die Abgeordneten werden am frühen Nachmittag über die Neuregelung von § 12 Fernmeldeanlagengesetz sprechen, der Ermittlern Auskunftsrechte über Verbindungsdaten einräumt. Ausschüsse des Bundesrats haben sich dabei bereits dafür ausgesprochen, Abfragen von Aufenthaltsorten von Beschuldigten über die Auswertung von "Stand-by-Signalen" sogar rückwirkend zu ermöglichen (Verstärkter Datenhunger der Bundesländer).
Nur die Grünen sprechen noch vom Datenschutz als Bürgerrecht
Auch die Bündnisgrünen haben auf der Tagung ihres Außerordentlichen Länderrat einen innenpolitischen Leitantrag erarbeitet. Darin stellt die Fraktion auf ihren "erweiterten Sicherheitsbegriff" ab. Er umfasst "alle ökonomischen, politischen und sozialen Maßnahmen, die die Sicherheit erhöhen". Der Schutz vor der terroristischen Bedrohung ist demnach "ein gemeinsames Anliegen aller, die sich für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie einsetzen, unabhängig von ihrer Religion oder Herkunft".
Der Beschluss enthält als einer der wenigen momentan vorgelegten Fraktionspapiere auch Absätze zu Datenschutz: Die Grünen sehen Datenschutz demnach weiterhin als Bürger- und Menschenrecht - und nicht als "Täterschutz" oder staatlichen Gnadenakt, der nach Belieben widerrufen werden kann. Mit ihren mäßigenden Erwägungen stehen die Grünen momentan allerdings allein auf weiterer Flur in einer politischen Landschaft, in der die Terrorbekämpfung vor allem als Vorwand zur Einengung von Freiheiten der Bürger gebraucht werden.
Schon die kommende Sitzungswoche wird mehr vom selben bringen. Sie steht ganz im Zeichen des so genannten zweiten Anti-Terror-Pakets von Schily. Dabei geht es beispielsweise darum, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung wirksam zu bekämpfen und gleichzeitig Finanzminister Hans Eichel zusätzliches Geld in die Kassen zu spülen. Dazu soll das Bankgeheimnis weichen und die "finanzielle Rasterfahndung" kein Konto ungeprüft lassen. Auch über die Fingerabdrücke im Pass wird dann vom Bundestag abzustimmen sein.