Schlaflosigkeit und Konzentrationsschwäche durch Mobilfunkantennen

Beweise für Gesundheitsgefährdung?

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Wissenschaftlich ist noch nichts bewiesen, doch Verbraucher- und Umweltschützer warnen zunehmend vor Elektrosmog und sie berufen sich auf kritische Studien.

Handys sind heute allgegenwärtig. Es gibt keine belebte Strasse mehr, wo nicht einer gerade mit dem Telefon am Ohr spricht, keine Schule, die nicht längst eine Regelung für die Nutzung während des Unterrichts erlassen hat. Ob nun im Zug, im Restaurant oder am Flughafen - dort, wo es nicht verboten ist, klingelt und bimmelt es und alle müssen zwangsläufig den meist überlauten Äußerungen zuhören, die irgendjemand seinem Gesprächspartner mitteilt. Leute, die über Kneipen wohnen, haben eine neue Lärmbelastung zu ertragen und beschweren sich darüber, denn vor den Lokalen stehen fast stets einige Gäste und schreien in ihre mobilen Telefone.

Inzwischen gibt es in Deutschland mehr Handy-Nutzer als Festnetzteilnehmer, rechnerisch hat also jeder zweite Bundesbürger ein Mobiltelefon, insgesamt sind es 50 Millionen. Die Handys senden elektromagnetische Strahlung aus und das Mobilfunknetz kann nur funktionieren, wenn genug Antennen vorhanden sind, damit kein Funkloch entsteht. Die Endgeräte, sprich die Handys selbst, sind schon lange im Verdacht, gesundheitliche Beeinträchtigungen verursachen zu können (Gedächtnisstörungen und Beeinträchtigung der Blut-Gehirn-Schranke?). Die britische Independent Expert Group on Mobile Phones stellte vergangenes Jahr fest, dass es keinen wissenschaftlich ausreichenden Beweis gibt, um die Allgemeinheit vor dem Telefonieren mit Handys zu warnen. Sie rieten dazu, das Handy jeweils für eine möglichst kurze Dauer zu nutzen und nur Geräte mit einer möglichsten niedrigen Spezifischen Absorptionsrate (SAR, specific energy absorption rate) zu verwenden. Der SAR-Wert gibt die Strahlungsenergie an, die vom Körpergewebe aufgenommen wird. Die Experten schlugen vor, Kinder unter 16 Jahren nicht mit Handys telefonieren zu lassen, da sie anfälliger für mögliche Schädigungen sind. Die Gründe dafür sind:

Children are likely to be more vulnerable to any unrecognised health risks from mobile phone use than are adults. The rationale is as follows -the developing nervous system is likely to be more vulnerable than the mature nervous system to potentially hazardous agents -because of their smaller heads, thinner skulls and higher tissue conductivity, children may absorb more energy from a given phone than do adults -if there are detrimental health effects caused by mobile phone signals, those using phones for a longer period of their lives will tend to accumulate a greater risk.

Für Handys existieren bislang keine festgelegten Grenzwerte. Um gesundheitliche Gefährdungen auch bei dauerhaftem Handy-Gebrauch auszuschließen, rät die internationale Strahlenschutzkommission (ICNIRP, International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) einen SAR-Wert von 0,2 Watt/kg Körpergewebe nicht zu überschreiten. Das Europäische Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC) hat eine entsprechende Messvorschrift für Handys erarbeitet und führende Hersteller haben noch für dieses Jahr angekündigt, die SAR-Werte für die von ihnen produzierten Geräte auszuweisen. Im Moment liegt die Streuung bei Handys in etwa zwischen 0,02 bis 1,8 W/kg, wie Untersuchungen des Verbraucher-Guides "SAR Data" (http://www.sardata.com/sardata.htm) zeigen. In den USA wurde jetzt eine Sammelklage wegen möglicher Gesundheitsschäden gegen mehrere Handyhersteller eingereicht.

Um ein flächendeckendes Telefonieren zu ermöglichen, sind natürlich auch die entsprechenden Antennenanlagen nötig. Im Moment gibt es ca. 50'000 Mobilfunkantennen in der Bundesrepublik, dabei sind noch nicht alle bestehenden Funknetze schon voll ausgebaut. Dazu kommen spezielle Netze für Firmen, Polizei, Feuerwehr etc. und demnächst für UMTS (Universal Mobile Telecommunications Standard). Allein für dieses neue Format werden in den kommenden zwei Jahren voraussichtlich bis zu 60'000 neue Sender benötigt. Der Aufbau des UMTS-Netzes könnte sich durch Bürgerproteste, Prozesse und baurechtliche Beschränkungen erheblich verzögern. Sowohl der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Hessens wie der Baden-Württembergs haben inzwischen entschieden, dass für Mobilfunkantennen Baugenehmigungen nötig sind, weil sie gewerbliche Nutzungen darstellen. In Bayern hat der VGH gerade ein Bürgerbegehren gegen einen Sendemasten zugelassen, das zum Ziel hat, in einer Gemeinde den Bau grundsätzlich zu untersagen.

Die Mobilfunkantennen mobilisieren zunehmend die Bürger, weil sie Angst vor der Gefährdung ihrer Gesundheit haben. Das Stichwort ‚Elektrosmog' beunruhigt und erschreckt. Wenn auf dem eigenen Haus oder einem Gebäude in unmittelbarer Nähe eine Mobilfunkantenne montiert wird, protestieren die Anwohner mittlerweile fast immer, entsprechende Bürgerinitiativen schließen sich zusammen. Der Verein Bürgerwelle ist der Dachverband von ca. 600 solcher Initiativen. Aber auch in den Nachbarländern machen die Mobilfunkantennengegner mobil: In Österreich gibt es das Projekt Lebenswert Leben und in der Schweiz die unabhängige Site Elektrosmog in der Schweiz.

Unter Elektrosmog versteht man die elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Felder, die um elektrische Geräte, Sendemasten, Strom- und Hochspannungsleitungen herum entstehen. Mobilfunkanlagen erzeugen wie z.B. auch Mikrowellenherde sowie Radio- und Fernsehsender hochfrequente elektromagnetische Felder. Hochfrequenzanlagen senden zwischen 10 und 300'000 MHz. Mobilfunkantennen operieren im Frequenzbereich ab ca. 400 MHz bis 2000 MHz.

Niederfrequente Felder erzeugen elektrische Ströme im Körper. Sie entstehen rund um z.B. Haushaltsgeräte sowie Hochspannungsleitungen. Hochfrequente Felder können induzierte Ströme im Körper auslösen, ab 1 Megahertz außerdem in das Gewebe eindringen und es erwärmen. Als Gesundheitsbelastung gilt dabei bisher nur die thermische Wirkung, also die Erwärmung des Gewebes durch die Strahlen, andere biologischen Effekte gelten als nicht gesundheitsgefährdend und bleiben bisher unberücksichtigt. Die gesetzlichen Grenzwerte der Bundesimmissionsschutzverordnung regeln wie stark Mobilfunkstationen senden dürfen - je nach Netz 4,5 bis 9 Millionen Mikrowatt pro Quadratmeter (µW/m2).

Der Verein Bürgerwelle macht sich gegen Elektrosmog stark, veröffentlicht Listen von Mobilfunkantennen-Standorten und zitiert Experten, die bestätigen, dass Mobilfunksendeanlagen zu Störungen wie Schlaflosigkeit, Nervosität, Kopfschmerzen, aber auch Atemnot und Ohrensausen führen können. Auf lange Sicht seien sogar Spätfolgen wie Immunsystemschwächungen, Krebs, genetische Schädigungen und Veränderungen der Gehirnströme nicht ausgeschlossen. Nach Angaben des Vereins bestätigt inzwischen sogar die Betriebskrankenkasse der steuerberatenden Berufe: "... dass hochfrequente elektromagnetische Felder zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen, steht in der Zwischenzeit außer Zweifel".

Verbraucherschützer und Umweltaktivisten nehmen die Bürgerängste ernst und verlangen genaue Prüfungen der Anlagen, ein Herabsetzen der Grenzwerte sowie Mitspracherecht der Anwohner bei Standorten. Öko-Test berichtet in seiner Ausgabe vom 26. März über die Messung der Strahlungsstärke von 28 Antennen in Deutschland und Österreich, wobei sie extrem schwankende Strahlenbelastung fanden: Sie lag zwischen 0,01 µW/m2 und 25340 µW/m2. Die Werte hängen von Stärke und Zahl der Sender ab. Die Strahlung ist stärker, je höher die Wohnung liegt, je mehr Sichtkontakt besteht und je dünner die Wände sind. Hohe Werte über 100 µW/m2 fanden die Tester an 16 Standorten, bei Zusammentreffen der Sendeleistung verschiedener Anlagen kam es zu den Spitzenbelastungen bis 25340 µW/m2. Diese Ergebnisse liegen weit unter dem zulässigen Grenzwert, aber Öko-Test zitiert einige Experten, die Werte bereits ab 100 µW/m2 als Dauerbelastung für bedenklich halten. Öko-Test empfiehlt den Konsumenten dicke Wände, massive Baustoffe und speziell beschichtetes Glas für die Fenster.

Der Bund Naturschutz (BUND) hat sich auch des Strahlenschutzes der Bürger angenommen und gibt Entscheidungshilfen für die Verantwortlichen der Gemeinden, wobei explizit erklärt wird: "wenn die Sendeanlage dann in Betrieb geht, beginnen die Probleme. Die Antenne sendet elektromagnetische Strahlung aus und bringt dadurch Gefahren für Mensch und Umwelt mit sich. Die Bewertung dieser Gefahren ist wissenschaftlich und politisch zwar noch umstritten, doch zunehmend beschreiben Forscher konkrete Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung und Ärzte vor Ort berichten von erkennbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Anwohner. (...) Der Erkenntnisbedarf über mögliche Folgen erstreckt sich von allgemeinen Beschwerden wie Kopfschmerzen und Müdigkeit über die Wirkungen auf besonders sensible Menschen bis hin zu den spezifischen Folgen für Kinder, die Mobilfunktechnik nutzen. Bisherige Erfahrungen belegen, dass mehrere Anwohner im Umkreis von bis zu 250 Meter um eine Sendeanlage über verschiedene gesundheitliche Beschwerden klagen, nachdem der Sendebetrieb begonnen hat." Entsprechend empfiehlt der BUND in Schutzbereichen rund um Wohngebiete, Kindergärten, Altenheime, Schulen, Kliniken und Erholungsheime keine Antennenstandorte innerhalb von 250 Meter Abstand zuzulassen.

Die Unruhe und Unsicherheit greift um sich, seit 5. April hat sich selbst der bayerische Umweltminister den kritischen Stimmen angeschlossen und fordert einen besseren Schutz der Menschen vor Mobilfunkstrahlung von der Bundesregierung (Vgl. Heise Newsticker). Allerdings sind Antennen unter 10m Höhe in Bayern nicht genehmigungspflichtig, wobei natürlich die Grenzwerte der Strahlung eingehalten werden müssen. Aber durch diese Regelung kann jeder Hausbesitzer selbst entscheiden, ob er sich durch eine Antenne auf dem Dach ein Zusatzeinkommen sichert. Einen Antrag, diese Regelung zu ändern, hat die bayerische Staatsregierung abgelehnt.

Im Süden Deutschlands formiert sich der Widerstand stärker als in den nördlichen Bundesländern. Die bayerische katholische Kirche verzichtet mit Verweis auf mögliche Gesundheitsgefährdungen auf die möglichen Einnahmen durch Stationierung der Anlagen. Kirchtürme werden durch ihre Höhe (und damit Abstand zu umliegenden Wohnungen) von vielen als ein optimaler Standort betrachtet. Die evangelische Landeskirche überlässt das der Verantwortung der örtlichen Kirchenvorstände, mahnt aber auch "Vorsorglich ist zu bedenken, dass gesundheitliche Gefährdungen nach derzeitigem Wissensstand nicht ausgeschlossen werden können. Der Kirchenvorstand soll sich über den neuesten Erkenntnisstand über gesundheitliche Folgen vor einer Entscheidung informieren." In Norddeutschland sehen das die Vertretungen der Gläubigen noch gelassen. Allein in 50 der 800 Kirchen des Nordelbischen Kirchenamtes in Kiel sind Mobilfunkanlagen installiert. Auch in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis (Michel) steht eine Antennenanlage. 5000 und 10'000 Mark Miete bekommt eine Kirchengemeinde dafür jährlich.

Im April veranstaltete der Ausschuss "Umwelt und Gesundheit" der Bundesärztekammer eine Anhörung zu möglichen Gesundheitsgefahren durch Mobilfunksendeanlagen. Die Ärzte hören täglich in den Praxen von den Beschwerden der Patienten, die sich sicher sind, durch Mobilfunkantennen Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche oder sogar schwere Erkrankungen wie Krebs zu bekommen. Deswegen hatte die Kammer ein Hearing angesetzt, um einen Überblick über den Forschungstand zu bekommen. Wie nicht anders zu erwarten, gab es keine übereinstimmende Darstellung durch die verschiedenen Experten. Die Verbraucher- und Umweltschützer warnten vor Gesundheitsgefährdungen und argumentierten, die zahlreichen Hinweise darauf zu ignorieren, wiederspreche dem Vorsorgeprinzip, das traditionell seinen Platz in Rechtsnomen habe. Sie forderten eine Herabsetzung der Grenzwerte, genaue Informationen zu Anlagen und eine Beschränkung der Standorte. Bernd Rainer Müller vom BUND: "Durch die zunehmend flächendeckenden Belastungen durch elektromagnetische Felder entsteht offensichtlich ein neues, immer mehr Menschen betreffendes Umweltproblem mit großer Tragweite. Angesichts dieser Aussichten stellt sich die Frage nach dem Rechtsschutz für Betroffene. Um es auf den Punkt zu bringen: er wird praktisch außer Kraft gesetzt. Dies liegt darin begründet, dass die Gerichte, statt den Finger in die offene Wunde zu legen und den Gesetzgeber zu einer umfassenden Risikoermittlung und -bewertung aufzufordern, lieber auf Grenzwertempfehlungen privater Organisationen zurückgreifen, die nur Teilaspekte berücksichtigen."

Die von den Mobilfunkanbietern benannten Experten dagegen sehen keine Gesundheitsgefährdung und wiesen auf 8'000 wissenschaftliche Arbeiten hin, die keinen Beweis einer schädlichen Wirkung erbracht hätten. Was die Grenzwerte angeht, so würden selbst die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Richtwerte in der Praxis meist weit unterschritten, weswegen keine Neuregelung nötig sei. Dr. Fritz Lauer von T-Mobil: "Der Nutzen des Mobilfunks ist unbestritten. Neben der volkswirtschaftlichen Bedeutung trägt diese Kommunikationstechnologie zur Erhöhung der persönlichen Sicherheit und der Verbesserung der individuellen Kommunikationsmöglichkeiten bei."

Die beiden unabhängigen Mediziner, die anwesend waren, kamen auch zu dem Fazit, dass im Moment kein Handlungsbedarf besteht, da die Studien, die angeblich Schädigungen durch elektromagnetische Felder von Mobilfunkanlagen nachgewiesen haben, in der Regel Einzelarbeiten oder nicht reproduzierbare Experimente gewesen seien. Dr. Jörg Reißenweber von der Universität Witten/Herdicke fasst zusammen: "Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft besteht kein ausreichender Grund für eine Beunruhigung der Bevölkerung, was die Nutzung der Mobilkommunikation betrifft. Offen gebliebene Fragen sollten noch geklärt werden."

Diese noch offenen Fragen werden wissenschaftlich hoffentlich bald befriedigend beantwortet sein. Doppelblindstudien sollten bald angegangen werden, um schädliche Wirkungen präzise zu überprüfen. Das deutsche Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) bewertet fortlaufend die neuen Erkenntnisse, sieht aber bisher keinen Handlungsbedarf zur Grenzwert-Herabsetzung. Sollte die neue Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die bis 2003 das Krebsrisiko durch Mobilfunkanlagen beim Menschen ermittelt, Hinweise auf einen Zusammenhang erbringen, wird sich das bestimmt ändern.

In jedem Fall ist die Diskrepanz offensichtlich, dass die Benutzung der Handys den Menschen offensichtlich nicht gesundheitsgefährdend erscheint und ein Massenphänomen ist, während die Mobilfunkantennen als Bedrohung betrachtet werden. Wer gegen die Sendeanlagen protestiert, sieht sich letztlich nicht nur der Lobby der Anbieter, sondern auch dieser Masse von Handy-Nutzern gegenüber, die immer und überall ihre Telefone benutzen wollen. Dr. Michael Schüller von D2 Vodafone brachte es bei der Anhörung der Bundesärztekammer auf den Punkt: "Mehr als 50 Millionen Handy-Nutzer in Deutschland benötigen gut ausgebaute Mobilfunknetze, also Mobilfunk-Sender auf Hausdächern und Masten."

Mehr Informationen, FAQs mit ständig aktualisiertem Forschungsüberblick zu Mobilfunksendeanlagen bei International EMF Project: Questions and Answers, siehe auch Heise Newsticker: Studie warnt vor Gesundheitsrisiken durch Mobilfunk