Schlecht geschützt verkauft sich gut
Umsatzsteigerung bei Klassik-CDs widerlegt die Argumentation der Musikindustrie
Die Jahrespressekonferenz des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft am gestrigen Donnerstag unterschied sich nur wenig von denen der letzten Jahre: Wieder wurde ein Umsatzverlust beklagt und wieder sollten private Kopien daran schuld sein. Michael Haentjes, Vorstandsvorsitzender der deutschen Phonoverbände forderte unter anderem ein Verbot von Aufnahmesoftware und beklagte den Entwurf der Umsetzung der "Enforcement-Richtlinie" als kontraproduktiv, weil er unmäßig hohe Abmahngebühren verbiete und bei der Herausgabe von Daten den Richtervorbehalt nicht abschaffe (Vgl. Musikindustrie will Kampf gegen nicht-lizenzierte Downloads deutlich verschärfen).
Ein sehr überraschendes Ergebnis, der von der Plattenindustrie präsentierten Statistiken, wurde dagegen kaum thematisiert – wahrscheinlich auch deshalb, weil es dieser Argumentation diametral entgegensteht: Während der Branchenumsatz 2006 um 2,4 Prozent zurückging, konnten Klassik-CDs eine Verkaufssteigerung von satten sechs Prozent verbuchen. Bei "Bildtonträgern" wie DVDs wuchs der Klassik-Markt sogar um ein Drittel.
Die Musikindustrie führt das darauf zurück, dass die Kunden in diesem Segment kaum privat kopieren würden, weil sie weniger Erfahrung im Umgang mit Computern hätten. Empirisch untermauern können die Funktionäre diese Behauptung jedoch nicht.
Seltsam ist in jedem Fall, dass das, was die Musikindustrie sonst auf der Jahrespressekonferenz in einem durch forderte, gerade bei der klassischen Musik nicht vorliegt: Beim weitaus größten Teil der verkauften Werke ist der Urheberrechtsschutz längst abgelaufen.
Die Entwicklung widerspricht auch der Anti-Download-Argumentation der Plattenindustrie. Im Internet gibt es zahlreiche gemeinfreie Klassik-Aufnahmen die ganz legal, bequem und risikolos von jedem heruntergeladen und für Remixes und Samples verwendet werden können: Sei es im Internet Archive, bei Wikipedia oder im Open Classical Music Repository. Letzteres stellt nicht nur gemeinfreie Werke zur Verfügung, sondern will auch Aufnahmen selten gespielter Barockmusik anregen, die von den Plattenfirmen aufgrund der schmalen Profiterwartung bisher vernachlässigt wurden. Den beteiligten College-Orchestern wird dabei ein wesentlich größeres und aufmerksameres Publikum geboten als die übliche mit Eltern gefüllte Turnhalle.
Bemerkenswert ist die Verkaufsentwicklung auch deshalb, weil der Klassikmarkt von den vier großen Konzernen, die den Musikmarkt beherrschen, bereits in den 1990ern als ein angeblich nicht zukunftsfähiger Markt, dessen Hörer vergreisen und wegsterben würden, vernachlässigt und teilweise sogar ganz zugunsten von Genres wie Castingopfermusik und Gangsterrap aufgegeben wurde. Das Feld übernahmen kleine Firmen mit innovativen Geschäftsmodellen wie Brilliant Classics.
Das Wunderkind des Klassik-Booms wurde von Pieter van Winkel gegründet, der vorher Manager bei Hyperion, Telarc und Naxos war. Der Brilliant-Katalog umfasst große Teile der bekannten Werke der klassischen Musik, oft in Gesamteinspielungen, wie etwa die Mahler-Symphonien.
Standortvorteil liberales Urheberrecht
Ansässig ist die erfolgreiche Firma in den Niederlanden, die die EU-Urheberrechtsrichtline weit weniger industriehörig umsetzen als Deutschland. So stellt etwa das Anbieten von Umgehungstechnologie in den Niederlanden zwar eine unrechtmäßige Handlung dar, aber zivilrechtliche Gegenmittel wurden als angemessen und ausreichend angesehen. Anstatt strafrechtliche Sanktionen einzuführen, wurden die Verbote aus der Richtlinie mittels des bürgerlichen Rechts als "unrechtmäßige Handlungen" umgesetzt.
Kamiel Koelman und Menno Briët vom Institut für Informatik und Recht an der Freien Universität Amsterdam fassen die Debatte, die zu dieser Entscheidung führte, wie folgt zusammen:
"Der niederländische Gesetzgeber hielt es für unangemessen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit einzuführen, weil das einen fundamentalen Grundsatz des Strafrechts verletzt hätte: Strafvorschriften müssen klar und eindeutig sein. Die Beschreibung einer strafbaren Handlung darf keine vagen oder mehrdeutigen Begriffe enthalten. Da die Bedingungen der Richtlinie [...] nicht besonders klar sind, kam der Gesetzgeber zu dem Schluss, dass es nicht angemessen sei, hier eine strafrechtliche Verantwortlichkeit einzuführen. Zudem kam während der Debatten im Parlament zu Ausdruck, dass die Durchsetzung von Urheberrechten Privatsache sei und bleiben solle."
Der niederländische Justizminister stellte außerdem klar, dass auch der Download von Musik oder Filmen via P2P keine strafbare Handlung ist. Privatkopien, wie sie in analoger Form erlaubt sind, wurden explizit auch für die digitale Form bestätigt. Und diese digitale Form beinhaltet auch P2P-Downloads, oder, um es in den Worten des holländischen Justizministers zu sagen: "Das trifft auch zu, wenn eine Privatkopie von einem unrechtmäßig zugänglich gemachten Original ohne Zustimmung des Autors angefertigt wurde."