Schlechte Zeiten für Klimaskeptiker

Die Energie- und Klimawochenschau: US-Wissenschaftler meinen, dass Klimaschutz-Herausforderung unterschätzt worden sein könnte. In Bangladesch hat die Bevölkerung einer ganzen Region unterdessen gute Aussichten, einen Kohle-Tagebau doch noch zu verhindern

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Knapp 16 Jahre ist es her, dass in Rio de Janeiro die UN-Klimarahmenkonvention unterzeichnet wurde und die Industriestaaten zur Eindämmung ihrer Treibhausgasemissionen verpflichtete. Doch geschehen ist seit dem herzlich wenig. Einzig die osteuropäischen Staaten haben ihren Ausstoß nicht nur wie von der Konvention vorgesehen auf dem 1990er Niveau stabilisiert, sondern auch drastisch reduziert. Allerdings eher recht unfreiwillig aufgrund der schweren Wirtschaftskrise, die den Zusammenbruch des Ostblocks begleitete. Aber selbst in Osteuropa sind die Emissionen noch lange nicht auf dem Niveau angelangt, die eine weitergehende Klimaveränderung vermeiden würde.

Die Entwicklungsländer, namentlich China haben hingegen in den letzten Jahren ihre Emissionen kräftig gesteigert China war es zuvor allerdings von Anfang der 1990er bis etwa 2003 gelungen, Wirtschaftswachstum und Emissionszunahme vollständig zu entkoppeln. Trotz eines durchschnittlichen jährlichen Wachstums von fast zehn Prozent verharrten die Emissionen auf konstant niedrigem Niveau. Eine Tatsache, die beim allgemeinen China-Bashing gerne übersehen wird.

Die Steigerung in den Ländern des Südens erfolgt allerdings von einem zum Teil äußerst geringen Niveau aus, und sie war absehbar. Die Idee war ursprünglich gewesen, dass die Industriestaaten, die für den bisherigen Anstieg der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentration (CO2-Konzentration) von vorindustriellen 280 Millionstel Volumenanteilen (ppm = parts per million) auf heute rund 386 ppm verantwortlich sind, vorangehen und durch ihre Reduktionsmaßnahmen den Entwicklungsländern Raum für deren ökonomischen Fortschritt geben müssen. Gleichzeitig sollte ein Technologietransfer aus de Norden in den Süden erfolgen, damit die Entwicklungsländer nicht all die Umweltfehler Europas und Nordamerikas wiederholen.

Aus dem Transfer ist jedoch trotz des wiederholten Insistierens der Entwicklungsländer in diversen Verhandlungsrunden nichts geworden. Deutschland hat sich zum Beispiel stattdessen lieber bemüht, China mit neuen Automobilwerken auf den Irrweg des motorisierten Individualverkehrs zu drängen (chinesische Modernisierer, ganz vom westlichen Vorbild eingenommen, ließen sich allerdings auch nicht lange bitten).

Problem unterschätzt?

Nach dem also nun mehr gut zwei Jahrzehnte seit dem Beginn der internationalen Klimaverhandlungen weitgehend tatenlos verstrichen sind, kommt nun – eigentlich wenig verwunderlich – in der Wissenschaftsgemeinde eine Diskussion auf, dass die Lage vielleicht schon schlimmer als bisher angenommen sein könnte. Wie bereits berichtet haben US-Wissenschaftler letzte Woche darauf hingewiesen, dass das Klimasystem langfristig empfindlicher als bisher angenommen auf erhöhte Treibhausgaskonzentrationen reagieren könnte.

In einem Artikel des renommierten Wissenschaftsmagazins Nature demonstriert eine andere Expertengruppe die Dringlichkeit anhand der jüngsten Emissionsstatistiken. Roger Pielke, Politologe an der Universität von Colorado in Boulder (USA), Tom Wigley, der in der gleichen Stadt als Klimatologe am National Center for Atmospheric Research arbeitet, und der Ökonom Christopher Green von der McGill Universität in Montreal (Kanada) haben sich zusammengetan, um die CO2-Emissionen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Ihr Ergebnis: Das Ausmaß der techologischen und ökonomischen Herausforderung, die die Stabilisierung der CO2-Konzentration darstellt, wurde bisher im großen Maße unterschätzt.

Ihr Ausgangspunkt ist der Vergleich der Emissions-Szenarien, die den verschiedenen Klimaprojektionen zugrunde liegen. In diesen Szenarien wird unter der Maßgabe verschiedener Annahmen über Bevölkerungsentwicklung, die Art des technologischen Fortschritts, das Bruttonationaleinkommen pro Kopf, die Energie- und Emissionsintensität der Wirtschaft sowie über den Grad der ökonomischen Globalisierung berechnet, wie hoch in den nächsten Jahrzehnten die Treibhausgasemissionen sein werden. Alle Szenarien schließen gezielte Klimaschutzmaßnahmen aus, haben aber einen eingebauten Effizienzfaktor, das heißt, die verwendeten ökonomischen Modelle gehen davon aus, dass sich auch ohne gezielten Klimaschutz der Einsatz der eingesetzten Energie und damit der Emissionen pro Einheit an Wirtschaftsleistung verringert. Außerdem wird, je nach Szenario im unterschiedlichen Ausmaß, eine durch marktwirtschaftliche Mechanismen angetriebene Verbreitung der erneuerbaren Energieträger vorausgesetzt.

Zu optimistisch

An dieser Stelle setzt die Kritik der Autoren an. Die Annahmen seien bestenfalls optimistisch und schlimmsten Falls nicht erreichbar. Zwei-Drittel der nötigen Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und CO2-Reduktion seien bereits in die Szenarien eingebaut, gesprochen und verhandelt werde aber nur immer über das letzte Drittel. Die Autoren haben daher die Emissionen für die verschiedenen Szenarien neu berechnet, wobei sie eine „eingefrorene Technologie“ voraussetzten. Das heißt, in ihrem Modellen wird sich weder die Technik weiterentwickeln, noch gibt es technologische „Diffusion“, also Verbreitung.

Die Höhe der Säulen entspricht den kumulativen, d.h. aufsummierten, CO2-Emissionen in Milliarden Tonnen Kohlenstoff bis zum Jahre 2100 für unterschiedlich Emissions-Szenarien unter der Annahme, der technologische Stand von 1990 bliebe erhalten. An der Basis der Säulen ist in Ocker das erlaubte Emissionsniveau dargestellt, wenn die atmosphärische CO2-Konzentration bei 500 ppm stabilisiert werden soll. Die gepunktete Linie entspricht einem Stabilisierungsziel von 450 ppm, das von den meisten Wissenschaftlern als Obergrenze für die Vermeidung gefährlicher Klimaveränderungen angesehen wird. Blau ist jener Anteil der Emissionsreduktion dargestellt, den die Berechnungen des IPCC bisher als ohnehin durch ökonomische Prozesse erreichbar halten. Rot ist schließlich der Teil, der auf jeden Fall durch aktive Klimaschutzpolitik erreicht werden muss. Grafik: Nature/Pielke et al.

Die meisten der Szenarien, so die Autoren, würden eine Abnahme der Energie- und Kohlenstoffintensität der Weltwirtschaft um ein Prozent pro Jahr annehmen. Das deckt sich mit dem Trend der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts, aber leider nicht mit den aktuellen Zahlen. Zwischen 2000 und 2005 hat, wie die Autoren errechnet haben, sowohl die CO2-Emissionen pro Einheit verwendeter Energie zugenommen, als auch die Energieintensität der Weltwirtschaft. Die Autoren führen das unter anderem auf die Transformationsprozesse in den Entwicklungsländern zurück. Vormals hauptsächlich agrarische Gesellschaften werden urbanisiert, der Lebensstil wird damit unvermeidlich energieaufwändiger.

Die Frage ist allerdings zum einen, inwieweit dieser Prozess auch in Zukunft mit einem relativ verschwenderischen Energieaufwand einher gehen muss. China hat jedenfalls das Problem schon vor drei Jahren erkannt und sich zumindest im bis 2010 laufenden Fünf-Jahres-Plan ehrgeizige Ziele zur Steigerung der Energieeffizienz seiner Volkswirtschaft gesetzt. Immerhin sind im Rahmen dieser Politik in den letzten Jahren zahlreiche veraltete Kraftwerke, Hochöfen und ähnliche Anlagen stillgelegt worden. Weitere stehen auf der Abschlussliste, aber ob damit und mit dem massiven Ausbau der Windenergie, die derzeit in China zu beobachten ist, das Emissionswachstum tatsächlich auf die 2,6 bis 4,8 Prozent jährlich zu begrenzen ist, die die IPCC-Szenarien für Asien in diesem Jahrzehnt vorsehen, ist fraglich. Derzeit betrüge das Emissions-Wachstum in China 11 bis 13 Prozent im Jahr.

Bild: Xinhua

Ein anderer Einwand gegen das düstere Bild, das die Autoren malen, ist, dass die Energie in den Entwicklungsländern nicht notwendiger Weise aus fossilen Quellen kommen muss. Während deutsche Unternehmen wie Evonik sonnenreichen Staaten wie den Philippinen Kohlekraftwerke (größere PDF-Datei) andrehen, steigen die Kosten sowohl für Öl und Gas als auch für Kohle immer weiter. Allein schon aus ökonomischen Gründen wird es daher mittelfristig wesentlich sinnvoller sein, Strom aus Wind und Sonne zu gewinnen und eventuell diesen auch viel stärker als bisher im Transportsektor zu nutzen.

Doch sicherlich haben die Autoren recht, dass die IPCC-Szenarien, die bereits vor fast zehn Jahren berechnet wurden, angepasst werden müssen. Ein entsprechender Diskussionsprozess ist bereits in Gang, so dass in den nächsten IPCC-Bericht 2013 oder später eine neue Grundlage für die Klima-Projektionen besteht. Sollten die Autoren recht behalten, dann werden diese die Dringlichkeit des Problems noch stärker untermauern.

Proteste gegen Kohlenmine im Tagebau in Bangladesh. Bild: SEHD/P. Gain

Rückzüge

Der unerwartet starke Anstieg der CO2-Emissionen in den letzten Jahren hat viel mit dem gegenwärtigen Kohle-Hype zu tun. Selbst ein Land wie Bangladesch – mit Wind und Sonne reichlich gesegnet – denkt über die Ausbeutung seiner Kohlevorräte nach. Doch auch dort finden derlei Pläne nicht die einhellige Unterstützung der Bevölkerung.

130.000 Menschen sollen für einen Tagebau in der Region Phulbari umgesiedelt werden, 220.000 weitere würden ihre Existenzgrundlagen verlieren, berichtet die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald. Die lokale Bevölkerung ist über diese Aussichten wenig begeistert. Schon im August 2006 sei der Konflikt eskaliert, heißt es bei urgewald. Paramilitärs hätten in eine Demonstration von über 50.000 Menschen geschossen und dabei drei Personen getötet sowie über hundert verletzt. Als Reaktion verwüsteten aufgebrachte Bürger die lokalen Büros der britischen Firma GCM Resources, die den Tagebau betreiben will. Ihr Personal ergriff die Flucht und traute sich bis heute nicht zurück.

Nun hat auch die Asiatische Entwicklungsbank die Konsequenzen gezogen. Ursprünglich wollte sie das Projekt mit einem Kredit von 100 Millionen US-Dollar und eine zusätzliche Bürgschaft in Höhe von 200 Millionen US-Dollar unterstützen. Doch letzte Woche gab die Bank ihren Rückzug aus dem Vorhaben bekannt.

Bablu Roy wurde am 26. August 2006 bei Protesten gegen den Tagebau durch eine Polizeikugel am Rückgrad verletzt. Bild: Phulbari Resitance

Einen Rückzug musste letzte Woche auch der Bundesumweltminister machen. Irgendwie hatte es sich bis Berlin herumgesprochen, dass Ethanol eine ziemlich ätzende Angelegenheit ist, die nicht jeder Motor und vor allem nicht jede Benzinleitung verträgt.

Leider haben die Hungernden in aller Welt keinen ADAC, und deshalb wird der Agrarsprit-Boom trotzt des deutschen Zwischenstopps wohl leider weitergehen. Und so explodieren weltweit die Nahrungsmittelpreise. Eine der Ursachen, aber sicherlich nicht die einzige: der zunehmende Flächenverbrauch für Agrarkraftstoffe, die in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion treten.

In verschiedenen Ländern hat die Inflation der Lebensmittelpreise schon zu erheblichen Spannungen geführt. In Argentinien legen seit Wochen Bauern das Land lahm, weil die Regierung die Inflation mit hohen Abgaben auf die Exporte eindämmen will. Nur so können in dem Land, das im großen Maßstab Agrarprodukte ausführt, die Preise auf dem Binnenmarkt unterm Weltmarktniveau gehalten werden. Für die Bauern schmälert die Regierungspolitik allerdings die Einkommen. In Ägypten protestieren derzeit die Textilarbeiter wegen der hohen Lebensmittelpreise. Bei Zusammenstößen mit der Polizei hat diese, wie Blogger berichten, mehrere Menschen erschossen.

Angesichts dessen sind die Aussagen der niederländischen Firma iFuel Corporate Advisory wenig beruhigend. Demnach werden die Preise für Nahrungsmittel noch einige Jahre weiter steigen, bis „Marktkräfte“ dafür sorgen, dass mehr angebaut wird. Wo das Land dafür her kommen soll, wird allerdings nicht verraten. Schon jetzt ist zum Beispiel in Brasilien, das noch über große ungenutzte, nicht bewaldete Flächen verfügt, zu beobachten, wie die „Marktkräfte“ den Anbau von Soja immer weiter in den Urwald vortreiben.

Erst nachdem Umweltorganisationen erheblichen Druck auf die großen Saatgut- und Nahrungsmittelkonzerne ausgeübt haben, verkündeten diese, sie würden zunächst kein Soja aus der Amazonas-Region mehr aufkaufen. Fürs erste scheint das Moratorium zu halten und die Ausweitung zumindest des Sojaanbaus gestoppt zu sein.