Schleichende Machtverschiebung?
Wie es nach dem Weltgipfel zur Informationsgesellschaft weitergehen soll, ist noch unklar, ein von den Vereinten Nationen gegründetes "Globales Bündnis für ICT und Entwicklung" könnte neue Dynamik mit sich bringen
Bis zum Jahr 2015 soll die Hälfte der Menschheit online sein. Das hat der UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) beschlossen. Um auf diesem Weg voranzukommen, hat UN-Generalsekretär Kofi Annan die Bildung einer Global Alliance for ICT and Development befördert, die sich kommende Woche in Kuala Lumpur konstituiert.
Das Jahr 2015 ist zu einer magischen Zahl geworden. Zur Jahrtausendwende hatten die Staatsoberhäupter dieser Welt beschlossen, binnen 15 Jahren die Armut auf der Welt abzuschaffen. In acht sogenannten "Jahrtausendentwicklungszielen" (Millenium Development Goals) wurden von den Staats- und Regierungschefs der 192 UN-Mitgliedstaaten Fixpunkte formuliert, an denen sich die Weltpolitik orientieren sollte.
Der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS), der in zwei Phasen im Dezember 2003 in Genf und im November 2005 in Tunis stattfand, setzte auf diese "Millenium Development Goals" (MDG) noch eins drauf und formulierte seinerseits konkrete Ziele, wie die "globale Informationsgesellschaft" bis zum Jahr 2015 gestaltet werden soll. Bis dahin sollen mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zum Internet haben und alle Dörfer, Verwaltungen, Schulen, Universitäten, Bibliotheken, Museen und Krankenhäuser dieser Welt vernetzt sein.
Kompliziertes Follow Up-Gestrüpp
Während man in Genf 2003 sich relativ leicht über die Visionen einigen konnte, tat man sich in Tunis 2005 schon schwerer, als es darum ging, diesen Prozess nun zu gestalten, und zwar sowohl institutionell als auch materiell. Nicht wenige Regierungen sperrten sich, den Weg von "A" nach "B" genauer zu beschreiben. Eine ins Gespräch gebrachte "Überprüfungskonferenz" für das Jahr 2010 verschwand wieder vom WSIS-Verhandlungstisch: Am Schluss einigte man sich auf ein ziemlich nebulöses und zerfasertes "Follow Up".
Erstens wurde für jede der 19 Sachbereiche, die der Genfer Aktionsplan als Teil der WSIS Agenda 2015 definiert hat, ein eigenständiges Team gebildet, daß jeweils unter der Leitung einer UN Spezialorganisation steht. So ist z.B. die UNESCO verantwortlich für die Aktionslinie 3 (Zugang zu Information und Wissen), die Aktionslinie 8 (Kulturelle Vielfalt) und die Aktionslinie 9 (Medien). Die ITU ist verantwortlich für Informationsinfrastruktur und Informationssicherheit (Aktionslinien 2 und 5). UNDP trägt Verantwortung für "Capacity Building" (Aktionslinie 6), die WMO für "eUmwelt" (Aktionslinie 7.6), die UNCTAD für "eBusiness" (Aktionslinie 7. 2) und die FAO für "e-Landwirtschaft (Aktionslinie 7.7). Mittlerweile haben sich die einzelnen Teams konstituiert, aber mehr als heiße Luft ist bei den ersten Treffen nicht herausgekommen.
Das kann man auch zweitens von der UN Commission for Science and Technology Development (UNSTD) sagen, die durch die Tunis Konferenz ein neues Mandat erhalten hat und sich zukünftig darum bemühen soll, die WSIS Ziele bis zum Jahr 2015 zu erfüllen helfen. Bevor man jedoch zur Sache kommt, hat man in der UNSTD erst einmal Prozeduralfragen diskutiert.
Als ein dritte Linie wurde innerhalb des sogenannten "Chief Executive Board" (CEB) der New Yorker UNO-Bürokratie eine neue "UN Group on the Information Society" geschaffen, die ihre Arbeit jedoch noch nicht aufgenommen hat. Dort sollen alle Aktivitäten koordiniert und an die UN Spezialorganisationen sowie an die UN Vollversammlung weitergeleitet werden.
Etwas konkreter ist viertens der Digitale Solidaritätsfonds (DSF), der behilflich sein soll bei der Finanzierung der WSIS Agenda 2015. Dort wartet man jedoch noch immer auf freiwillige Beiträge von Geberländern sowie auf die "digitale Dividende" die durch das Bekenntnis von öffentlichen Verwaltungen zum sogenannten "Genfer Prinzip" eingespielt werden soll. Nach diesem Prinzip soll jeweils ein Prozent des Vertragsvolumens eines Auftrages, den öffentliche Verwaltungen and ICT Firmen aushändigen, an den DSF überweisen werden. Im Gegenzug sollen die involvierten Unternehmen, die diesen Aufschlag akzeptierten, ein "Digitales Solidaritätssiegel" bekommen, das ihr Engagement bei der Überwindung der digitalen Spaltung vor aller Welt dokumentiert. Viel ist allerdings bislang nicht zusammengekommen und so wird beim DSF geplant, im Herbst 2006 eine Geberkonferenz zu organisieren, Dafür erhielt erst einmal der geistige Vater des DSF, der senegalesische Präsident Abdoulaye Wade, am neuen "Weltinformationsgesellschaftstag" (17. Mai 2006) in Genf die neu geschaffene Auszeichnungsmedaille, den "Information Society Award".
Eine richtige Dynamik ist fünftens nach dem Tunis-Gipfel eigentlich nur beim Streitthema "Internet Governance" zu vermelden. Das in Tunis beschlossene Internet Governance Forum (IGF) wird am 30. Oktober 2006 in Athen eröffnet. Der UN-Generalsekretär hat seinen ehemaligen Stellvertreter Nitin Desai zum IGF-Vorsitzenden ernannt, in Genf wurde ein kleines IGF-Sekretariat geschaffen und eine 46-köpfige "IGF Advisory Group" hat mit der konkreten Vorbereitung dieser ersten "Welt Internet Olympiade" begonnen.. Zugleich hat Desai im Auftrag von Kofi Annan auch "Konsultationen" mit "betroffenen Parteien" zum Thema "Enhanced Cooperation" - das diplomatische Verschleierungswort für Kontrolle über die Internet-Kernressourcen - gestartet.
So verwirrend die Vielfalt der eingeleiteten Prozesse ist, so unklar ist im Moment auch, was denn nun bei den ganzen Aktivitäten am Schluss herauskommt. Nach der ersten konstitutionellen Phase dieses WSIS-Follow Up kann man aber eine interessante Beobachtung machen, die möglicherweise von strategischer Bedeutung für die kommenden Jahre bis 2015 ist.
Dynamik entsteht immer dort, wo reale Interessen von Betroffenen und Beteiligten involviert sind. Während die Regierungen sich primär auf die bürokratische und institutionelle Dimension des WSIS-Prozesses konzentriert haben, pushen Privatwirtschaft und die Zivilgesellschaft dort, wo sie zum Zuge kommen, die Entwicklung konkreter voran. WSIS war ja der erste UN-Weltgipfel, der das Prinzip der gleichberechtigten Einbeziehung von Regierungen, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft in Politikentwicklung und Beschlussumsetzung erankert und praktiziert hat. Und schaut man etwas genauer hin, dann sind es in der Tat die beiden nicht-gouvermentalen Stakeholder, von denen gegenwärtig der größte Druck zur Implementierung der WSIS-Agenda 2015 ausgeht.
Bündnis für ICT und Entwicklung
Im Moment wächst aber erst einmal die Gefahr, dass alle die vielen kleinen Prozesse in verschiedene Richtungen laufen, sich verbürokratisieren und keiner mehr weiß, was in den anderen Gremien, Komitees, Aktionslinien, Foren oder Fonds passiert.
Um dem entgegen zu wirken, hat jetzt Kofi Annan der "Global Alliance for ICT and Development" seinen Segen erteilt. Dieses "Bündnis", das sich nächste Woche in Kuala Lumpur konstituiert, soll sozusagen den Gesamtüberblick behalten, dafür sorgen, dass die "WSIS-Ziele" und die "Millenium Development Goals" eng miteinander verzahnt werden und vor allem den realen Akteuren und Machern eine institutionelle Basis geben. Die "Global Alliance" ist der Nachfolger der im Jahr 2001 gegründeten "UN ICT Task Force" deren Mandat im Dezember 2005 ausgelaufen war.
Die Grundidee der "Global Alliance" ist, dass man auf hoher Ebene und etwas außerhalb des traditionellen inter-gouvermentalen UN-Prozedere ein "strategisches Bündnis" schmiedet, in dem Regierungen mit der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft auf gleicher Augenhöhe miteinander agieren. Es ist mehr als ein Wink mit dem Zaunspfahl, dass Kofi Annen zum Vorsitzenden des Lenkungsausschusses (Steering Committee) der "Global Alliance" den CEO von der Intel Corporation, Craig Barrett, berufen hat. Mit dabei von der "Haute volée" der Business World sind Guy Sebba, Präsident der "International Chamber of Commerce" (ICC), Walter Fust von der Schweizer Entwicklungsagentur und der jordanische Multimillionär Talal Abu Gazahleh. Als zivilgesellschaftliches Gegengewicht hat Kofi Annan die Präsidentin des Koordinierungskommitees der Nichtregierungsorganisationen (CONGO), Renate Bloem, und Titi Akinsamni vom "Global Teenage Project" des WSIS Youth Caucus der Zivilgesellschaft berufen. Im elfköpfigen "Steering Committee" sind nur drei Regierungsvertreter: ITU-Generalsekretär Utsumi, Kofi Annans Stellvertreter Ocampo und der malaische Finanzminister Jamaludin Jarjis.
Zwar haben die Regeirungen in dem 60-köpfigen "Strategy Council", der dem "Steering Committee" zur Seite steht, mit 40 Sitzen die Mehrheit (auch die deutsche Bundesregierung hat einen Sitz), aber immerhin sind zwanzig Nicht-Regierungsleute gleichberechtigte Mitglieder. Die Geschäftswelt ist dabei mit Pamela Passman, Vize Präsident von Microsoft, Mike Nelson von IBM, der die rechte Hand des ehemaligen US Vize-Präsidenten Al Gore im Weißen Haus war, als dieser die "Global Information Infrastructure Initiative" (GII) 1995 auf den Weg brachte, und Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt durchaus schwergewichtig vertreten. Die Zivilgesellschaft repräsentieren u.a. Lynn Waneki, Präsidentin von FEMNET aus Nairobi, der Österreicher Peter Bruck, Präsident des "World Media Award", und Lynn St. Amour, Präsidentin der "Internet Society" (ISOC).
Was die „Global Alliance" wird bewegen können, wird abzuwarten sein. Die Zusammensetzung der verschiedenen Gremien signalisiert immerhin, dass das im WSIS-Prozess kreierte Prinzip des „Multistakeholderism“ wieder ein bisschen mehr mit Leben erfüllt wird. Wie ernst die Einbeziehung der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft in die globale Diplomatie der Informationsgesellschaft gemeint ist und wie weit die Einsicht von Regierungen reicht, politische Entscheidungsmacht mit nichtstaatlichen Akteuren tatsächlich zu teilen, steht auf einem anderen Blatt. Sollte die schleichende Machtverschiebung jedoch vorankommen, wird es spannend werden wenn im Jahr 2015 eine Bilanz gezogen wird.
Der Autor ist Professor für internationale Kommunikationspolitik an der Universität Aarhus und ist Mitglied des "Panel of Advisers" der "Global Alliance for ICT and Development".