Schleichender Störfall (II)
Antihaftbeschichtete Errungenschaften haben ihren Preis
Verbesserte Methoden der chemischen Analytik zeichnen nach und nach das Bild einer außer Kontrolle geratenen Verbreitung von Vertretern der Substanzklasse der Perfluortenside in unserer Umwelt. Perfluortenside sind Substanzen anthropogenen Ursprungs, sie kommen nicht natürlich vor – und sind trotzdem mittlerweile überall auf dem Globus anzutreffen. Sie werden in der Atmosphäre, im Boden, in Gewässern sowie in Blut und Gewebe von Mensch und Tier vorgefunden.
PFT-Funde in Deutschland
Im Sommer 2006 wurden in Gewässern der Region Arnsberg im Sauerland perfluorierte Verbindungen in erhöhten Konzentrationen nachgewiesen - eher zufällig: Wissenschaftler vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit der Universität Bonn hatten PFTs im Rhein gefunden und bis in die Zuflüsse zurückverfolgt. Der Fund gilt mittlerweile als einer der größten Umweltskandale Nordrhein-Westfalens. Die höchsten PFOA-Konzentrationen wurden in der Möhne und im Möhnestausee gefunden – höhere Werte hat man bisher nur in südostasiatischen Küstengewässern gemessen.
Der Stausee ist der größte Trinkwasserspeicher Nordrhein-Westfalens. Dabei gibt es im Einzugsbereich der Möhne keine Fluorchemie - als PFT-Quelle wurden später 6.700 Tonnen Dünger aus „organischen Abfällen“ ausgemacht - der größte Anteil wurde auf einem Maisacker bei Brilon-Scharfenberg ausgebracht. Dem Dünger waren zu entsorgende Chemieabfälle beigemischt, die dann über den Regen in die Möhne gespült wurden. Im Einzugsbereich von Möhne und Ruhr waren im Zuge krimineller Machenschaften auf 932 Hektar Ackerfläche insgesamt 15.400 Tonnen stark PFT-haltiger Dünger aufgebracht worden.
Das Umweltbundesamt geht davon aus), dass weitere landwirtschaftliche Nutzflächen von ähnlichen Kontaminationen betroffen sind. Wenig später berichtete das Bundesinstitut für Risikobewertung von erhöhten PFOS- und PFOA-Konzentrationen in Zuchtforellen aus dem Hochsauerlandkreis.
Andere PFOA-Schlagzeilen in Deutschland kamen aus dem bayerischen Chemiedreieck. Hohe PFOA-Konzentrationen in der Alz – bis zu 1000 mal höhere Werte als im Rhein - wurden auf die Anwesenheit des 3M-Tochterunternehmens Dyneon in Gendorf zurückgeführt, dass hier Fluorpolymere produziert und PFOA als Hilfsstoff einsetzt. Dyneon selbst hat eine Lizenz, die zum Einleiten von Abwässern mit bis zu 1 mg/l PFT in die Alz berechtigt. Bis 2010 will die Firma Ersatz für PFOA gefunden haben. In Brunnen der Umgebung Gendorfs wurden PFOA-Konzentrationen gemessen, die oberhalb des Mindestqualitätsziels der Trinkwasserkommission des Bundesministeriums für Gesundheit beim Umweltbundesamt für die lebenslange gesundheitliche Vorsorge von ≤ 0.1 μg/l (Summe aller Perfluortenside) lagen1. Damit wird klar, dass PFOA-Kontaminationen nicht nur ein Problem für die Trinkwassergewinnung aus Oberflächenwasser darstellen, sondern auch das Grundwasser gefährden.
Verbreitungswege und Herkunft sind oft unklar
Die Quellen von PFOS und PFOA im menschlichen Blutserum sind gegenwärtig nicht bekannt, ebenso wie die Wege der Verbreitung in der Umwelt. Funde in Flussläufen wie der Elbe, entlang derer keine Fluorpolymere produziert werden, deuten auf einen möglichen Eintrag durch kommunale Abwässer hin.
Perfluorcarbon- und sulfonsäuren gelten als nicht flüchtig, so dass ihre Verdampfung und damit der Transport auf dem Luftweg bisher ausgeschlossen werden. Dass PFOA in der Arktis im Schnee in höheren Konzentrationen gefunden wurde als im Wasser, deutet jedoch auf erhebliche Einträge aus der Luft hin.
Gegenwärtig wird angenommen, dass ein direkter Ursprung wie die Fluorpolymerproduktion die weitaus größte Emissionsquelle darstellt. Der Abbau von Fluortelomeralkoholen und – olefinen wird als eine mögliche indirekte Ursache für das Vorkommen von Perfluorcarbonsäuren in der Umwelt betrachtet. Ihr Dampfdruck ist groß genug – sie könnten deshalb ihren Anteil haben an der globalen Verteilung von Perfluorcarbonsäuren.
PFT und REACH
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen viele unterschiedliche, sich teilweise widersprechende physikalisch-chemische Datensätze zu Perfluortensiden vor, so dass deren Verhalten in der Umwelt schwer vorhersagbar ist. Diese Tatsache ist teilweise den Besonderheiten dieser Stoffgruppe geschuldet. So lässt sich der n-Octanol-Wasser-Verteilungskoeffizient, ein Parameter zur Abschätzung der Bioakkumulation, nicht bestimmen, da die Anwesenheit der perfluorierten Verbindungen zur Ausbildung einer dritten Phase führt. Es existieren nur grobe und teilweise widersprüchliche Daten zu Wasserlöslichkeit, Dampfdruck und Henry-Konstante der einzelnen Verbindungen. Diese Daten sind jedoch wichtig für die Beurteilung der Transport- und Verteilungsmechanismen in der Umwelt.
Die EU-Chemikalienverordnung REACH sieht für so genannte PBT-Stoffe (persistent, bioakkumulierbar, toxisch) ein EU-weites Zulassungsverfahren vor. Jede Verwendung ist zu beantragen und wird bei vertretbarem Risiko nur dann zugelassen, falls keine Alternativen existieren und die sozioökonomischen Vorteile eindeutig nachgewiesen werden können. Mit diesem Passus wird das verbindliche Vorschreiben des Ersatzes von Gefahrstoffen zugunsten eines Risikomanagements umgangen.
REACH setzt bei Herstellung, Einfuhr, Verwendung und Inverkehrbringung von Chemikalien auf die Selbstverantwortung und Sorgfalt der Industrie, doch Kritiker befürchten beispielsweise angesichts des Ausmaßes der PFT-Verseuchung an Möhne und Ruhr, dass es sich hierbei nur um eine Worthülse handelt, die keine klaren Regelungen ersetzen kann.
Uwe Lahl, Ministerialdirektor beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, wies 2005 in einem Diskussionsbeitrag vor der 2. Lesung von REACH auf die Tatsache hin, dass die geforderten Basisdatensätze für den niedrigtonnagigen Bereich ergänzt werden müssten. Das betrifft gerade den für PFT relevanten Bereich von eins bis zehn Tonnen pro Jahr, der als entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit eingestuft wird – wesentliche Prüfpflichten kommen erst bei größeren Mengen ins Spiel.
Persistent, bioakkumulierbar, toxisch
PFOS erfüllt die Kriterien für eine Einstufung als PBT-Stoff. Auch PFOA ist gegenüber atmosphärischen und biologischen Abbaureaktionen persistent und außerdem toxisch, doch erscheint den Experten dessen Anreicherungsverhalten zurzeit als nicht ausreichend besorgniserregend, um eine PBT-Einstufung zu empfehlen.
In Europa darf PFOS als PBT-Stoff ab dem 27.Juni 2008 nicht mehr in den Verkehr gebracht und verwendet werden. Ausgenommen von dieser Regulierung sind unter anderem bisher alternativlose Prozesse in der Halbleiterherstellung sowie die Anwendung als Antireflektionsbeschichtung in der Fotolithografie. Schweden hat angeregt, PFOS aufgrund seiner Eigenschaften und weltweiten Verbreitung auch als POP zu klassifizieren. PFOS wurde auch im Rahmen des POP-Protokolls der Genfer Luftreinhaltekonvention als POP bestätigt.
Das ist ein erster Schritt für ein weltweites Herstellungs- und Verwendungsverbot. Für PFOA hat die US-amerikanische Umweltbehörde EPA ein Product Stewardship Programme mit den wichtigsten fluorchemischen Unternehmen des Landes abgestimmt, um die Emissionen von PFOA und möglichen Vorläufersubstanzen bis 2010 auf 5 Prozent des Standes von 2000 zu reduzieren. Auch DuPont hat sein „aggressives Engagement“ für dieses Programm unterstrichen. Die Vereinbarung gilt zusätzlich für längerkettige Perfluorcarbonsäuren und für Emissionen aus Produkten. 2015 soll das Programm zur vollständigen Reduktion aller Emissionen abgeschlossen sein. EPA selbst stufte PFOA im Jahre 2006 als „wahrscheinlich kanzerogen“ ein.
Auch Firmen in Europa haben vergleichbare Maßnahmen eingeleitet. Ein Risikobewertungsbericht gemäß REACH soll der Europäischen Kommission Ende Februar 2008 vorliegen. In den Vereinigten Staaten ist DuPont der einzige PFOA-Produzent. Nach erfolgreichem Abschluss des EPA-Programms würde China als weltgrößter PFOA-Hersteller verbleiben.
Erinnerungen an das „Dreckige Dutzend“ bleiben wach
Persistenz und Toxizität von chlororganischen Verbindungen galten jahrzehntelang geradezu als Sinnbild von Verfehlungen und Irrwegen der chemischen Industrie, auch wenn diese heute lieber nicht mehr daran erinnert werden mag. Pflanzenschutzmittel wie Aldrin, Chlordan, DDT, Dieldrin, Endrin, Heptachlor, Hexachlorbenzol, Mirex, Toxaphen oder die als Industriechemikalien genutzten bzw. bei Verbrennungsprozessen gebildeten polychlorierten Biphenyle sowie Dibenzodioxine und – furane sind klangvolle Namen aus einer Zeit, in der beim großflächigen (beabsichtigten oder unbeabsichtigten) Freisetzen von Chemikalien hinsichtlich späterer Konsequenzen eine gewisse Unbekümmertheit regierte. Diese Verbindungen sind nun in der 2004 in Kraft getretenen POPs-Konvention erfasst, die das weltweite Verbot dieser besonders gefährlichen Chemikalien zum Ziel hat. Die Schwachstelle dieser Konvention: bisher werden nur die mittlerweile als historisch zu bezeichnende Verbindungen aufgeführt, deren industrielle Produktion kaum noch eine Rolle spielt.
Die Stoffgruppe der Perfluortenside, mit ihren besonderen, vom Menschen „maßgeschneiderten“ physikalisch-chemischen Eigenschaften, weist nun ein weiteres Mal auf die Janusköpfigkeit der Naturwissenschaft Chemie hin – und auf die Ignoranz des Menschen, der die Lektionen von PCB, DDT und Dioxin nur halbherzig verinnerlicht zu haben scheint.
Heute weiß man, dass Perfluortenside wie Perfluoroctansulfonat oder Perfluoroctansäure niemals in dieser Menge und dieser Form in den Verkehr hätten kommen dürfen. Doch was niemand weiß: Wie viele PFT-analoge Zeitbomben aus bereits zugelassenen und in Verkehr befindlichen Chemikalien ticken noch da draußen?