Schlüssige und sichere Beweise liegen nicht vor

Syrien: Vorwürfe über den Gebrauch chemischer Kampfstoffe ziehen an "roten Linien"

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Die Vorwürfe sind schwerwiegend, weil mit dem Einsatz von Chemiewaffen in Syrien ein Grund gegeben wäre, um militärisch einzugreifen, wie US-Präsident Obama zuletzt bei seinem Israel-Besuch im März betonte. Damit würde eine "rote Linie" überschritten, wie heute überall zu lesen ist. Die Beweise, die bisher der Öffentlichkeit präsentiert wurden, halten der Schwere des Vorwurfs bislang nicht stand. Überdies sieht es angesichts der verzwickten Lage in Syrien nicht so aus, dass eine direkte militärische Intervention ein gutes Ende haben könnte. Eher im Gegenteil.

Nach Großbritannien, Frankreich und Israel wirft nun auch das Weiße Haus der Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vor, dass deren Truppen den chemischen Kampfstoff Sarin eingesetzt hätten. In kleinem Ausmaß, wie in einem Brief des Weißen Hauses an den Kongress formuliert wird. Grundlage sind Einschätzungen amerikanischer Geheimdienste, die, wie vermerkt wird, "unterschiedliche Grade an Zutrauen in die Verlässlichkeit" aufweisen.

Schlüssige und sichere Beweise liegen nicht vor, heißt es in der New York Times. Dennoch wird den Spekulationen über etwaige militärische Konsequenzen auf Seiten der US-Regierung zum Teil großer Platz eingeräumt.

Ärzte haben bei Verwundeten Indizien des Gebrauchs chemischer Kampfstoffe beobachtet. Fotos von Opfern, Zeugenaussagen und Bodenproben werden als Indizien für den Gebrauch von Sarin angeführt. Tatsächlich ist aber völlig unklar, ob es Sarin war, möglich wäre, dass auch ein anderer chemischer (Kampf-) Stoff solche Wirkungen hat.

Da der Konflikt in Syrien seit Beginn von Nachrichten begleitet wird, die im Spin-Verdacht stehen, ist hier Vorsicht geboten. Die Symptome könnten auch von anderen Stoffen stammen und die Zeugen in bestimmte Richtung gedrängt werden, gibt zum Beispiel die amerikanische Expertin Amy Smithson zu bedenken.

Die UN soll untersuchen

Dazu liegen auch keine eindeutigen Beweise dafür vor, dass chemische Stoffe von Seiten der Regierungstruppen verwendet wurden; dass die in viele Gruppen und kleinere Kampfeinheiten fraktionierten "Rebellen" die Berichterstattung für ihre Zwecke einnehmen können, ist als Möglichkeit mitzudenken. Immerhin würde der Vorwurf gegen Assad ein weiteres Argument dafür liefern, dass sie militärisch stärker unterstützt werden. Im Bericht der New York Times heißt es, dass sich bei Kämpfen in der Peripherie von Damaskus und Aleppo beide Seiten, Regierung wie "Rebellen", gegenseitig vorwerfen, chemische Kampfstoffe verwendet zu haben.

Die UN soll nun - auch auf Assads Bestreben hin - die Angelegenheit untersuchen. Geht es nach der oben genannten US-Expertin, so sind chemische Kampfstoffe auch längere Zeit nach ihrem Einsatz noch nachzuweisen.

Im selben Interview, in dem Smithson auf Lücken in der Beweisführung zeigt, kommt auch Joshua Landis zu Wort. Dem Amerikaner, Professor für Middle-East-Studien, wird auch von Kritikern der in westlichen Publikationen vorherrschenden Sicht auf die Ereignisse in Syrien eine große Kenntnis der Lage attestiert. Er verweist darauf, dass es in Syrien mehrere Fronten gibt, weswegen die US-Regierung vor einer offenen militärischen Intervention noch zurückscheut.

Die Las Vegas-Regel

Nach Landis' Eindrücken soll in Washington der Tenor auf "containement" liegen, salopp wird dies mit der "Las Vegas-Regel" umschrieben: "Was in Syrien ist, soll auch in Syrien bleiben." Weswegen man sich in den politischen Zirkeln, unterstützt von Israel, Jordanien und der Türkei, eher darauf konzentriert, Pufferzonen innerhalb Syriens zu schaffen, wo vom Westen bzw. von arabischen Golfstaaten unterstützte Milizen "für Sicherheit" sorgen. Dass dies für die syrische Regierung völlig unakzeptabel ist, ist offensichtlich.

Auch diese Form der Intervention läuft auf einen von außen erzwungenen Regierungswechsel hinaus. Ob sich die syrische Bevölkerung, deren Schutz ja als oberstes Ziel solcher Maßnahmen behauptet wird, in einem solchen "Kessel" sicher fühlt? Zum anderen erfährt damit ein altes konfliktreiches Thema eine Wiederauferstehung: die Teilung Syriens.

Wie schwierig die Bedingungen in den unterschiedlichen Teilen Syriens sind, zeigt sich deutlich etwa im Nordosten des Landes. Dort liegen die Ölfelder, die Einnahmen versprechen. Die Spannungen in dieser Region könnten zu einem Krieg zwischen den "Rebellen" führen. Wie hier die USA und Verbündete eingreifen könnten, um die Situation zu stabilisieren, bleibt offen.

Die große Schwierigkeit ist, so Landis, dass sich in der nordöstlichen Region viele Araber und Kurden, aber auch al-Qaida nahe Gruppen und andere Rebellengruppen befinden. Wenn man also Ölimporte aus Syrien wieder zulasse und das Ölembargo gegen Syrien aufhebe, wie das Europa vorhabe, um die Gegner Assads zu unterstützen, dann werde dies zu kriegerischen Auseinandersetzungen über die Kontrolle dieses Gebietes führen.

General Idris, Chef des Militärkomandos der syrischen Opposition, die von den USA und Europa anerkannt wird, kündigte bereits an, dass er 30.000 Soldaten in den Nordosten schicken werde, um diese Ölquellen zu sichern und sie al-Qaida, den Kurden und einigen arabischen Stammesführern wegzunehmen. Wenn das passiert, wird das einen Bürgerkrieg zwischen den unterschiedlichen Rebellengruppen auslösen.