Schmerzbekämpfung mit dem Holzhammer
Seite 2: Ist etwas schief gelaufen oder ist das alles normal?
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Dem Patienten wurde im Krankenwagen nicht mitgeteilt, dass es sich beim Schmerzmittel Ketamin um ein Medikament handelt, das narkotische Effekte haben kann. Die Grenzen zwischen Narkose und Schmerzbekämpfung sind hier offenbar nicht ganz trennscharf, denn in diesem Fall verliert der Patient das Bewusstsein. Ob für 3 Minuten oder 30 Minuten wusste er nicht, als er wieder aufwachte.
Die oben beschriebenen Psycho-Nebenwirkungen im Rettungswagen nach dem Ausrenken des Arms, wurden im Nachhinein vom zuständigen Arzt als "normale Reaktion" bezeichnet. Auch die Rettungssanitäter zeigten sich wenig beeindruckt und spielten die durchaus traumatische Nahtoderfahrung als zu vernachlässigende Nebenwirkung herunter. Im Protokoll des Rettungseinsatzes steht überhaupt nichts über den Vorfall.
Der Patient wurde über die seitenlangen Nebenwirkungen, von denen sich die meisten so lesen, als ob niemand das Medikament nach dieser Zurkenntnisnahme noch akzeptieren würde, lediglich über eine einzige aufgeklärt, und das auch noch vollkommen verkürzt. Der Patient werde sich kurz nur "etwas komisch fühlen". Wohl kaum eine hinreichende Aufklärung über die sehr häufig auftretenden Nebenwirkungen.
Laut offizieller Empfehlung soll Ketamin wegen psychomimetischer Nebenwirkungen immer in Kombination mit Benzodiazepinen zur Anwendung kommen, wie auch hier geschehen.
Interessant ist, dass dieser Empfehlung von anderer Seite durchaus widersprochen wird:
"Beispiele für Downer, die man nicht mit dissoziativ wirkenden Drogen [also z.B. Ketamin] kombinieren darf, sind: [...] Benzodiazepine [...]"
Neue psychoaktive Substanzen.de
"Bei Benzodiazepinen muss wegen der sehr langen Halbwertszeit je nach dem genommenen Benzo teils 48-72 Stunden gewartet werden, bevor ein Dissoziativum eingenommen werden kann, ohne dass es zu gefährlichen Wechselwirkungen kommt!"
Zum Teil wird wiederum die Meinung vertreten, dass der Grund für heftige Nebenwirkungen darin liegen könne, dass der zeitliche Abstand von der Gabe von Ketamin und Benzodiazepin nicht groß genug sei. Am Ende wird in jeder medizinischen Notfallsituation individuell entschieden, welche Schmerzmittel gegeben werden. Entsprechend der Umstände, der Ausstattung des Krankenwagens mit Medikamenten, etwaigen Unverträglichkeiten des Patienten usw.
Alternativen zu Ketamin für die Bekämpfung akuter Schmerzen in Notfallsituationen sind vor allem Morphium-basierte Medikamente und Opioide wie Fentanyl.
Eine grundlegende Frage, die hier gestellt werden muss, ist, ob Schmerzen nach einem Unfall unbedingt auf null gebracht werden müssen, was vom Patienten eventuell gar nicht verlangt wird. Würden nicht ein Paar Ibuprofen-Tabletten oder eben ein großes Glas Schnaps ausreichen, um das Schmerzgefühl - von einer Skala von 9/10 auf sagen wir erträgliche 5/10 herunter zu bringen?
Ketamin in der "Spaß"gesellschaft
Wie bereits erwähnt wird Ketamin seit den 1970er-Jahren als halluzinogene Droge zweckentfremdet. Die große Diskrepanz in der Wahrnehmung des Patienten im oben beschriebenen Beispiel und dem Weltbild, das in Internet-Berichten von Drogentrips zum Vorschein kommen, könnte größer nicht sein. Für die meisten Menschen dürften Nahtod-Erfahrungen traumatisch sein. Für Drogen-Hobbyisten hingegen ist die Erfahrung vielleicht auch traumatisch, aber sie suchen offenbar gerade diesen "Kick":
Ich bin froh das ich wieder hier bin, und ziemlich sicher, dass es bis zu einer nächsten psychedelischen Erfahrung, egal ob Ketamin oder LSD wieder sehr lange dauern wird, das ganze muss ich erst mal verarbeiten, einordnen, integrieren. Immer mehr habe ich das Gefühl gerade dem Wahnsinn von der Schippe gesprungen zu sein, ich brauch jetzt ein wenig Zeit für mich und mein gutes altes Gedankenkonstrukt...."
Land der Träume
Auch bei Video-Plattformen finden sich Tripberichte, was sicherlich zu einer weiteren Verbreitung der Droge beiträgt. Etwa auf Youtube sprechen junge Leute über Erfahrungen mit Ketamin, wobei immerhin auch über starke Angstgefühle und sogenannte K-Holes berichtet wird. Andere experimentierfreudige Menschen werden also auch vorgewarnt.
Dass die Zahl der Ketamin-Konsumenten im Drogen-Mainstream stark ansteigt, wurde u.a. in einem Frontal21-Bericht (erschienen Ende 2018) herausgearbeitet.
Es wird Dr. Felix Betzler vom Universitätsklinikum in Berlin zitiert, der von einer Verdreifachung der bekannten Fälle von Ketaminmissbrauch als Droge innerhalb der letzten drei Jahre spricht.
Die Beschaffung von Ketamin als illegale Partydroge ist offenbar denkbar einfach. Wie in der Sendung gezeigt wird, kann die Substanz über frei zugängliche Onlineläden, etwa aus China bezogen werden. Teils haben diese Ketamin-Präparate aber ungewöhnliche Zusammensetzungen und können deutlich stärker wirken als die medizinisch üblichen Präparate.
Die interviewten Experten betonen, dass Ketamin als Party- oder Spaßdroge gefährlich ist. Zum einen können Menschen während des Rausches zu stark dehydrieren oder Unfälle verursachen. Zum anderen kann der Konsum zu einer Lähmung der Atmung führen und damit im schlimmsten Fall zum Tod. Außerdem schade Ketamin dem Gehirn und dem Gedächtnis bei regelmäßiger Einnahme. Dadurch könnten dauerhafte Wahnvorstellungen hervorgerufen werden.
Was schließen wir aus all dem?
Im beschriebenen Beispiel hat man dreierlei getan, um die von Ketamin bekannten heftigen Nebenwirkungen abzumildern.
- Ergänzend wurde Midazolam zur Beruhigung und Sedierung gegeben
- Die Dosierung von Ketamin war sehr niedrig
- Es wurde Ketamin S, gegeben, das weniger psychoaktiv sein soll als das ursprüngliche Ketamin
Und trotz dieser Maßnahmen sind die Nebenwirkungen eingetreten und es kam zu einem der gefürchteten K-Hole-Erlebnisse. Wie der Chefarzt im Nachgang bestätigt hat, sei dies als "normal" zu betrachten. Es liege keine Unverträglichkeit vor.
Aus Patientensicht zu kritisieren ist, dass man, obwohl man um etwas möglichst Harmloses bittet - gleich drei höchst potente Medikamente verarbeitet bekommt, davon mindestens ein lebensgefährliches und ein potentiell traumatisierendes.
Wenn man der Typ für Psychoexperimente und Grenzerfahrungen ist und wenn man sowieso schon einmal damit geliebäugelt hat, LSD zu nehmen und dem Wahnsinn ins Gesicht zu blicken, dann sollte man der Gabe von Ketamin in einem Notfall unbedingt zustimmen. Sofern man aber kein Interesse daran haben, frühzeitig im Leben zu erfahren, wie es sich vielleicht anfühlen könnte zu sterben, dem sei dringend davon abzuraten, einer solchen Medikamenten-Gabe zuzustimmen.
Am Ende bleibt wieder einmal zu konstatieren, dass man überaus vorsichtig sein muss, wenn man mit dem schulmedizinischen System konfrontiert wird. Natürlich hat die Schulmedizin ihre Berechtigung, wenn es um schwere Krankheiten geht, wie um die Bekämpfung von Krebs - oder um Transplantationen und andere überlebenswichtige medizinische Eingriffe.
Aber die beschriebenen traumatischen Erlebnisse verbucht das Gesundheitssystem nur als unbedeutende unerwünschte Nebenwirkung. Wobei am Ende die extremen Schmerzen für viele erträglicher wären als ein Nahtoderlebnis. Auch psychische Aspekte sollten insgesamt stärker in die Erwägungen von Ärzten einbezogen werden.
Dann doch lieber 200 ml Schnaps auf ex. Das wird vielleicht einen schweren Kopf machen, aber ist in Bezug auf die Nebenwirkungen berechenbar.
Zu guter Letzt ein Schlusswort von der Band "Placebo" zu Ketamin:
"No hesitation, no delay
'Special K' von Placebo / Album: 'Black Market Music' / Jahr 2000
You come on just like special K […]
I'm on sinking sand
Gravity / No escaping gravity / Gravity /
No escaping, not for free
I fall down, hit the ground"