Schmerzfreies Sterben ist möglich

Hinter der Forderung nach aktiver Sterbhilfe steht oft die Vorstellung von einem schnellen Tod, der Sterbenden sinnloses Leiden ersparen könne. Doch Todkranken kann die schmerzlindernde Palliativmedizin helfen, die letzte Lebensphase in Würde und ohne Schmerzen zu erleben

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„Der Tod ist nichts Schreckliches“, schreibt Norbert Elias in „Über die Einsamkeit der Sterbenden“. „Man fällt ins Träumen und die Welt verschwindet – wenn es gut geht. Schrecklich können die Schmerzen der Sterbenden sein.“ Die müsste man aber nicht fürchten, gäbe es in Deutschland eine ausreichende Versorgung Schwerstkranker mit Schmerztherapien. Dabei gibt es schon längst mit der Palliativmedizin Mittel und Wege, die stärksten Schmerzen zu lindern. Mit dieser speziellen Behandlung mildern Ärzte die Beschwerden einer Erkrankung, heilen aber nicht ihre Ursache und begleiten Menschen bis zu ihrem Tod. Und das nicht nur mit wirkungsvollen Medikamenten auf eigens dafür eingerichteten Stationen wie im Berliner Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe. Dort betreut der Arzt Thomas Jehser Sterbende. „Palliativmedizin ist eine medizinische und psychosoziale Stütze für Sterbende“, so Jehser. Der Arzt baute die Palliativstation im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin vor 10 Jahren auf. „Neben der medizinischen Versorgung begleiten Ärzte, Pflegepersonal und eine Psychologin die Sterbenden auf unserer Station auch seelsorgerisch und kümmern sich um ihre sozialen Belange.“

Doch noch gibt es keine flächendeckende palliative Versorgung, die seit 1983 erst zögerlich aufgebaut wurde. Heute stehen 234 Stationen in Krankenhäusern und Hospizen mit 2055 Betten für Schwerstkranke zur Verfügung. Das ist viel zu wenig. „Auf 1 Million Einwohner kommen nur 11 Betten, wünschenswert wären aber 50“, sagt Thomas Schindler, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. So werden nur rund zwei Prozent der 850.000 Sterbenden in Deutschland palliativ versorgt.

Sich Zeit nehmen für die Patienten

Die meisten Menschen wünschen sich, zu Hause zu sterben, so der Soziologe Klaus Feldmann. Die eigenen vier Wände kann die Station im Haus 13 der Havelhöher Klinik natürlich nicht ersetzen. Fast jeder der acht Patienten hat ein Einzelzimmer. Helle hohe Räume mit Blick in einen Blumengarten. Ein Bett, dessen Holzrahmen gediegen seine diversen Funktionen kaschiert. Daneben eine Couch. Unter einer Lichtleiste befinden sich Anschlüsse für medizinische Geräte. Aber viele persönliche Dinge hat hier kaum einer mitgebracht. Ein Krankenhaus eben, steriler und nüchterner, als man es sich wünschen würde.

Zwei Krankschwestern, zwei Ärzte und zeitweise eine Psychologin betreuen die Patienten während einer Schicht. Bei einer Teambesprechung tauschen sich Ärzte und Schwestern über das momentane Befinden der Patienten aus. Es fallen Worte wie Raumforderung, Ablaufbeutel oder Morphin. Dem Laien sagt das nichts und im ersten Moment klingt manches bedrohlich. Dabei dreht sich alles um das Wohlergehen der Todkranken, Schmerzen und andere Beschwerden zu minimieren. Und so einigen sogar wieder ein Leben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen. Dort können sie dann ambulant weiter betreut werden. Doch 40 Prozent der Kranken sterben hier.

Unsere Patienten wissen um ihren Zustand. Die Mehrzahl von ihnen leidet an Krebs. Schwierig für Menschen am Lebensende ist vor allem, dass die Kraft nachlässt. Viele selbstverständliche Dinge können sie nicht mehr machen, können kaum noch am sozialen Leben teilnehmen. Manche verlieren die Kontrolle über ihre Körperfunktionen. Natürlich ist das für sie auch psychisch schwer auszuhalten. Da müssen wir die Menschen auffangen.

Thomas Jehser

Auffangen heißt dann nicht nur Symptome wie Luftnot oder Brechreiz und vieles Schlimmere zu lindern.

Stärkster vorstellbarer Schmerz

Auffangen heißt auch zuhören, Trost spenden und mit den unheilbar Kranken in ihrer ausweglosen Situation noch eine Perspektive für einige Wochen oder Monat aufzubauen. In einem längeren Gespräch mit einem 58-jährigen Tontechniker, dem der Magenkrebs die letzten Kräfte raubte, nimmt sich Jehser die Zeit, über die Pein des Patienten wie auch seine alltäglichen Sorgen zu sprechen. Denn heute feiert seine Frau einen runden Geburtstag. Aber er kann nicht daheim feiern. Ein großer Blumenstrauß und eine Flasche Sekt stehen bereit. Angehörige sind gekommen und seine Frau, um anzustoßen auf ihr Wohl, sobald die Visite vorbei ist. Der Mann klagt über taube Beine, konnte tagelang nicht aufstehen. Nun sitzt er in einem speziellen Rollstuhl. Arzt und Patient überlegen, wie er sich damit fortbewegen und gleichzeitig die dauerhaft notwendige Transfusion erhalten kann. Dafür erhält der Kranke eine Schmerzpumpe, die es ihm ermöglicht, in wenigen Tagen wieder nach Hause zu kommen.

Die Pumpe leitet über einen Schlauch Morphin in seinen Körper. Morphin ist ein Opiat, das in der palliativen Behandlung eine große Rolle spielt. Es besänftigt die stärksten Schmerzen. Aber es hat auch Nebenwirkungen, die im Laufe der Therapie unter anderem zu starker Müdigkeit oder Atemschwierigkeiten führen können.

Am Ende des Lebens werden Opiate etwas anders eingesetzt. Dann stellt sich die Frage, was nutzen sie, und was schaden sie. In der geübten Hand kann man mit Opiaten eine sehr gute Schmerzlinderung erreichen, ohne dass zum Beispiel die Organe stark angegriffen werden, wie das bei anderen Medikamenten vielleicht der Fall ist. In der richtigen Dosierung schaden sie also weniger als sie dem Patienten helfen.

Thomas Jehser

Eine Schwierigkeit für den Arzt besteht darin, die richtige Menge Morphin zu verabreichen. Denn Schmerzen erlebt jeder anders. Wer unter großer Angst oder einer Depression leidet, empfindet Schmerzen oft viel stärker als ein Mensch, der gelassen mit seiner Lage umgeht. Um so wichtiger sei es für einen Arzt, so Jehser, im Gespräch die psychische Befindlichkeit eines Kranken kennen zu lernen. Um die Stärke der Schmerzen und damit eine wirksame Dosis ermitteln zu können, verständigen sich Arzt und Patient auch mit Hilfe einer Zahlenskala. Die reicht von 0 für „kein Schmerz“ bis 10 für „stärkster vorstellbarer Schmerz".

Den Gegnern der Sterbehilfe mag eine aktuelle Umfrage der Deutschen Hospizstiftung recht geben. Den Befragten wurden die Möglichkeiten der Palliativmedizin vorgestellt. Daraufhin lehnten 56 Prozent die Tötung auf Verlangen ab, aber immerhin 35 Prozent nicht. Aber um mehr Menschen die Angst vor qualvollem Siechtum zu nehmen, bedarf es einer flächendeckenden palliativen Pflege. Immerhin kündigte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt an, die Palliativmedizin mit über 250 Millionen Euro deutlich zu verbessern. So sollen bis zu 330 Teams aus speziell ausgebildeten Ärzten und Pflegern gebildet werden, die Schwerstkranke versorgen. Ein Leistungsanspruch auf eine ambulante Betreuung solle für Sterbende eine Schmerztherapie sicherstellen.

Warum aber gut ein Drittel der Deutschen aktive Sterbehilfe befürwortet, geht aus den Informationen der Hospizstiftung nicht hervor. Vielleicht steht dahinter die Ahnung, dass auch die palliative Behandlung nicht ganz ohne Apparate auskommen kann, die für viele der Horror schlechthin sind. Ein Eingriff in den Körper, der auch schwere Beeinträchtigungen mit sich bringen kann, wie bei einer jungen Frau auf der Station einige Zimmer weiter. Über Jahre raffte die Leukämie die 1969 Geborene hin. Früher arbeitete sie als Sachbearbeiterin. Schlafend liegt sie bei der Visite im Bett. Ihre wächserne Haut ist ganz fahl. Aus der Nase führt ein Schlauch heraus, eine Magensode zur künstlichen Ernäherung. Die hat sich irgendwie verdreht und muss später entfernt werden. Jetzt soll sie in ein Hospiz in der Nähe ihrer Wohnung verlegt werden, damit Mann und Tochter sie besser erreichen können.

Manchmal klappt es eben nicht so gut mit den Medikamenten. Eine 42-jährige Gastronomin, den kahlen Schädel verbirgt ein blaues Tuch, fürchtet Magenbeschwerden durch ein häufig verwendetes Schmerzmittel. Thomas Jehser möchte es ihr dennoch verabreichen, um die Schmerzen in ihrer Schulter zu lindern. Eine Computertomographie ergab, dass sich im Knochen Metastasen gebildet haben. Jehser ermutigt die Patientin: „Versuchen sie es noch mal. Dieses Mittel wirkt erfahrungsgemäß für ihre Beschwerden besonders gut.“ Der Arzt geht auf alle Nachfragen genau ein. Es sei ihr wichtig, nachvollziehen zu können, was mit ihr passiert, sagt sie. Ihr helfen die Gespräche, mit ihrer Krankheit besser umzugehen. In ein, zwei Tagen kann sie dann wieder nach Hause entlassen werden, wo sie ihre Hausärztin betreuen kann. Weniger diese Aussicht als Jehsers Argumente überzeugen sie dann von der Einnahme des für sie schwer verträglichen Mittels. Nun plant die Frau die nächsten Schritte ihres Lebens. Genauso wichtig ist ihr, mit Jehser zu klären, wie sie wieder nach Hause kommen kann. So übernimmt der Arzt an manchen Tagen auch die Rolle eines Sozialarbeiters, der seine Patienten in ihrer Lebensführung unterstützt. Auch wenn er nicht jeden Tag so viel Zeit hat wie heute.

Zu Hause sterben zu können, darauf kann die Palliativmedizin Todkranke vorbereiten. Denn dem Hausarzt wie anderen Fachärzten im Krankenhaus fehlt dafür meist die Erfahrung, um schnell und gezielt Schmerzen zu lindern und viele andere unangenehme Symptome einer Krebserkrankung erträglich zu machen. Dazu braucht es Zeit, die sich die Ärzte und Pfleger auf der Palliativstation nehmen können. Bleibt also zu hoffen, dass schnellstmöglich die Versorgung Sterbender verbessert wird. Und wenn es gut geht, verliert damit der Tod seinen Schrecken.