Norbert Häring erläutert Pläne, Akteure, Umsetzungsstrategien und Konsequenzen einer Bargeldabschaffung. Von der finanziellen Totalüberwachung bis zu Möglichkeiten des Widerstands.
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Herr Häring, vor 2 Jahren veröffentlichten Sie Ihr Buch "Die Abschaffung des Bargelds und die Folgen". Warum legen Sie mit "Schönes neues Geld" so schnell zum gleichen Thema nach? Ist das allgemeine Problembewusstsein noch nicht groß genug, oder kommen die Einschläge näher?
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Norbert Häring: Als ich das Manuskript für "Die Abschaffung des Bargelds" Ende 2015 abschloss, hatte die Kampagne Deutschland noch gar nicht erkennbar erreicht. Ich schrieb über die starken Indizien aus dem Ausland, dass es eine solche Kampagne gab, und darüber, warum diese gefährlich für uns wäre. Noch vor Erscheinen des Buches sagte dann der Deutsche-Bank-Chef das baldige Ende des Bargelds voraus, forderte das Finanzministerium eine Barzahlungsobergrenze für Europa und die SPD-Fraktion zusätzlich das Ende für den 500-Euro-Schein.
Ich habe weiterrecherchiert, und das, was ich herausfand, war zu tiefgreifend und umfassend, als dass ich dem auf meinem Blog hätte gerecht werden können. Das ging nur in Buchform. Darin steht nun unter anderem, wer diese Kampagne von den USA aus koordiniert, welche Erscheinungsformen diese Kampagne hat und in welcher Weise die Bundesregierung, die Bundesbank und die Europäische Zentralbank darin eingebunden sind - wenn auch zum Teil etwas widerwillig.
Aus Sicht der Bürger: Welche Vorteile des Bargelds könnten durch dessen Abschaffung verloren gehen?
Norbert Häring: Der bargeldlose Zahlungsverkehr wird praktisch lückenlos aufgezeichnet, gespeichert und analysiert. Wenn wir nur noch digital bezahlen können gibt es ein praktisch lückenloses zentrales Bewegungs- und Tätigkeitsprofil von uns. Buchgeld kann jederzeit blockiert und eingefroren werden, wie zum Beispiel die Iraner derzeit merken. Sie wollen ihr rechtmäßig erworbenes Buchgeld bei der Bundesbank als Bargeld ausgezahlt haben und bekamen es nicht.
Wenn es kein Bargeld mehr gibt, können die Banken Negativzinsen auch von zwei, drei oder fünf Prozent an ihre Einlagenkunden weitergeben. So können sie leicht auf Kosten der Einleger saniert werden, wenn sie sich mal wieder verzockt haben. Wer am Rande der Gesellschaft lebt, keine Plastikkarten und keine Lesegeräte hat, kann mit Bargeld trotzdem als Käufer oder Verkäufer am Wirtschaftsleben teilnehmen. Und Bargeld kostet ihn oder sie nichts.
Umgekehrt ausgedrückt: Die Finanzbranche verdient nichts daran. Das sind nur die wichtigsten Vorteile von Bargeld, es gibt einige mehr. Aber ich will damit nicht generell digitale Bezahlverfahren schlechtreden. Auch sie haben Vorteile. Mir geht es darum, uns die Option des Barzahlens zu erhalten.
Biometrie
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Wer erhält welche Daten der Bürger, wenn Bargeld abgeschafft wird?
Norbert Häring: Die Daten bekommen die IT-Konzerne, Kreditkartenunternehmen, Banken und Regierungen auch heute schon vom digitalen Zahlungsverkehr. Wenn Bargeld weg ist, werden diese Daten jedoch viel vollständiger, verlässlicher und damit wertvoller. Wir können uns nicht mehr entscheiden, bestimmte sensible Dinge bar zu bezahlen, die etwa Hinweise auf unsere politische Einstellung geben können, oder auf sexuelle Orientierung, außereheliche Aktivitäten und vieles mehr.
Von den Zahlungsabwicklern gehen die Daten an jede Menge Unternehmen weltweit, die zum Teil wiederum das Recht haben, sie weitergeben. Letztlich wird alles bei sogenannten Datenaggregatoren wie Axciom zusammengeführt, die äußerst umfangreiche Dossiers über Milliarden Menschen pflegen. Wer das Geld dafür ausgibt, kann diese Dossiers nutzen.
Mit welcher Begründung wollen Regierungen Biometrie-Daten mit finanziellen Transaktionsdaten verknüpfen?
Norbert Häring: Ich zitiere in dem Buch Kampagnenführer, die schreiben, dass digitales Bezahlen genutzt werden kann und sollte, um die biometrische Erfassung aller voranzubringen, und dass umgekehrt die biometrische Erfassung zur weiteren Verbreitung des digitalen Zahlungsverkehrs beitragen soll. Die Haupttreiber für beide Agenden sind dieselben.
Das Hauptziel ist auch dasselbe: Wenn Zahlungen nur noch digital möglich sind, wenn alle Weltbürger mit ihren biometrischen Daten in vernetzten Datenbanken gespeichert sind, und wenn die Geräte mit denen wir digitale Zahlungen auslösen, nur über biometrische Daten in Gang gesetzt werden können, dann kann fast alles, was weltweit geschieht, zentral erfasst, gespeichert, analysiert und kontrolliert werden. Man weiß dann, dass es tatsächlich Jakob Mustermann ist, der vom Computer oder Handy von Jakob Mustermann aus eine Zahlung tätigt.
Ist das jetzt nicht eine etwas überdrehte Horrorvision?
Norbert Häring: Ich fürchte nein: Schauen Sie nur nach China. Dort ist es schon Pflicht, dass Unternehmen, die dort Telekommunikation und soziale Medien betreiben, biometrische Daten zur Nutzeranmeldung einsetzen. Und aus den Nutzerbewertungen dieser Unternehmen nach Art der auch bei uns bekannten Kreditwürdigkeitsprüfungen hat sich ein umfassendes Bürgerbewertungssystem entwickelt, das die Regierung gerade landesweit ausrollt.
Durch Privilegien und Sanktionen für gute und schlechte Bewertungen kann die Regierung dann das Verhalten "ihrer" Bürgerinnen und Bürger steuern. Für die allermeisten Menschen hat die Datensammelei keine direkten Nachteile. Sie hat allerdings den indirekten Nachteil, dass sie in einer Duckmäuser-Gesellschaft leben müssen, in der jeder weiß, dass er vollständig überwacht ist und beliebig erpresst oder bestraft werden kann - und sich entsprechend verhält.
Abgesehen von Großkonzernen, die legal Steuern umgehen: Wie können illegale Steuerhinterzieher, kriminelle Vereinigungen und Terroristen ihre Finanztransaktionen bargeldlos abwickeln, ohne dass es den Geheimdiensten und Behörden auffällt?
Norbert Häring: Terroristen brauchen oft sehr wenig Geld für einen Anschlag. Es fällt nicht auf, wenn sie ein Hotelzimmer und ein Auto bargeldlos bezahlen. Die Überwachung des digitalen Zahlungsverkehrs hilft allenfalls nach einem Anschlag ein bisschen herauszufinden, wer da mit wem geplant hat. Aber meistens waren die Täter und ihr Umfeld in den letzten Jahren ohnehin bekannte Gefährder, die beobachtet wurden oder hätten werden sollen.
Für Geldwäsche sind gefälschte Rechnungen ein beliebtes Mittel. Mit einer gefälschten Rechnung über die Lieferung eines Frachtschiffs kann man leicht und billig einige Millionen Schwarzgeld sauber bekommen. Außerdem benutzen natürlich auch Kriminelle die Möglichkeiten, anonym Unternehmen zu führen, wie sie Steueroasen wie Delaware in den USA oder die Karibikinseln bieten.
Wer hinter der Anti-Bargeld-Kampagne steckt
Kommen wir zu der Anti-Bargeld-Kampagne. Wer steckt dahinter?
Norbert Häring: Es gibt seit 2012 eine Better Than Cash Alliance, also Besser-als-Bargeld-Allianz, mit Sitz in New York. Kernmitglieder sind unter anderem die US-Regierung, die Kreditkartenunternehmen Visa und Mastercard und die US-Großbank Citi. Aus der IT-Branche sind die Bill & Melinda Gates Stiftung des Microsoft-Gründers dabei sowie das Omidyar Network, das mit Ebay und PayPal in Zusammenhang steht. Ihr Ziel ist erklärter Maßen die weltweite Beseitigung des Bargelds.
Im Wesentlichen die gleichen Organisationen agitieren schon einige Jahre länger mit der Consultative Group to Assist the Poor (CGAP) dafür, alle Menschen weltweit in das formale, US-kontrollierte Finanzsystem zu integrieren. Diese CGAP, also Silicon Valley und Wall Street, durfte das Strategiepapier für eine weltweite Regierungskampagne gegen das Bargeld schreiben. Diese G20-Initiative heißt Global Partnership for Financial Inclusion.
Was hat finanzielle Inklusion mit Bargeldbeseitigung zu tun? Ist das Orwellsches "Newspeak" oder etwas anderes?
Norbert Häring: Finanzielle Inklusion ist das Tarnwort für Bargeldbeseitigung. Bis 2010 haben Visa und Mastercard einen offen erklärten "Krieg gegen das Bargeld" geführt, um ihre Gewinne zu steigern. Seither kämpfen sie mit den gleichen Mitteln stattdessen für "finanzielle Inklusion" und zwar angeblich, um den Armen zu helfen. Man tut zwar so, als wolle man den Menschen nur die Option auf ein Konto und Teilnahme am bankbetriebenen Geldverkehr geben.
Aber wenn man genau hinsieht ,wird sehr schnell deutlich, dass es vor allem darum geht, sie vom Bargeld wegzubringen oder ihnen die Option sogar ganz zu nehmen. Neusprech passt dafür sehr gut, es beruht ja darauf, ein Wort mit dem Gegenteil seiner tatsächlichen Bedeutung zu belegen. Bargeld ist das inklusivste Zahlungsmittel, weil es alle leicht nutzen können und es sie nichts kostet. Nimmt man den Menschen Bargeld weg, bedeutet das in Wirklichkeit finanziellen Ausschluss.
Unterstützt auch die Bundesregierung das Zurückdrängen des Bargelds?
Norbert Häring: Ja, wie alle Mitglieder der G20, also der zwanzig größten Industrienationen und Schwellenländer. Washington hat diese Partnerschaft 2010 - mitten in der Finanzkrise - den G20 untergeschoben. Die meisten anderen Regierungen wussten wahrscheinlich gar nicht, worauf sie sich da einlassen. Sie hatten andere Sorgen, und finanzielle Inklusion klingt ja erst einmal harmlos.
Worum es wirklich geht, sieht man unter anderem daran, dass die Better Than Cash Alliance und die CGAP Umsetzungspartnerin sind. Fakt ist: Bundesregierung und Bundesbank haben sich im Rahmen dieser Partnerschaft auf Maßnahmen zur Zurückdrängung des Bargelds verpflichtet. Und das passiert auch.
Beispiel Schweden
Das Beispiel Schweden dient den Gegnern von Bargeld als Vorzeige-Land für die Bargeldabschaffung. Was ist in Schweden anders? Gibt es dort auch eine Gegenbewegung?
Norbert Häring: Die Mitglieder der Better Than Cash Alliance haben sich vermutlich wegen seines progressiven Rufs Schweden als Vorzeigeland ausgesucht. Dort fing die PR-Kampagne gegen das Bargeld an. Mastercard hat das Abba Museum bezahlt. Dafür durfte man dort schon sehr früh den Eintritt nicht mehr bar zahlen. Außerdem hat Abba-Musiker Björn Ulvaeus unter großem Medienecho ein Jahr lang kein Bargeld benutzt.
Die Zentralbank hat die Bargeldverdrängung aktiv betrieben. Sie hat die Kosten der Bargeldversorgung den Banken auferlegt. Den großen Banken wurde erlaubt, ein Geldautomaten-Kartell zu betreiben und die Bargeldversorgung damit immer weiter zu verschlechtern. Heute bekommt man in den meisten Bankfilialen in Schweden kein Bargeld mehr.
Händler müssen oft sehr weit fahren, um Bareinnahmen einzahlen zu können oder Wechselgeld zu bekommen. Dann ist das auch noch sehr teuer für sie. Unter solchen Bedingungen sind ihnen natürlich Kartenzahlungen viel lieber. Es gibt aber auch in Schweden eine Bürgerinitiative dagegen. Ihr Vorsitzender ist der frühere Polizeichef. Der sagt, dass die Kriminalitätsbekämpfung nur ein Vorwand ist.
Wer zieht die Fäden bei der "Financial Action Task Force" FATF, und wie arbeitet sie mit den USA, den G-20 Regierungen, der BIZ und der EU-Kommission an der Umsetzung der Bargeldabschaffung?
Norbert Häring: Die FATF ist ein informeller, aber dafür umso mächtigerer Club der Behörden der G20-Länder und einiger kleinerer europäischer Länder. Er legt im Auftrag der G20 Regeln für den Finanzverkehr fest, die Geldwäsche verhindern sollen. Diese Standards sind zwar formal unverbindlich, werden aber mithilfe von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds rabiat durchgesetzt. Und zwar weltweit, auch bei Nichtmitgliedsländern.
Die Mitgliedsländer und die EU-Kommission bauen diese Standards in ihre eigenen Regulierungen ein. Als Teil der Globalen Partnerschaft für Finanzielle Inklusion ist die FATF darauf verpflichtet, ihre Standards bargeldfeindlich auszugestalten. Das tut sie auch. Nutzung von Bargeld steht in den Standards der FATF fast überall ganz vorne bei den Verdachtsmomenten auf Geldwäsche.
Es gibt auch noch ähnliche informelle Standardsetzer, die bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) aufgehängt sind. Auch sie haben sich verpflichtet, mit der Better Than Cash Alliance zusammenzuarbeiten. Wie bei allem, was die G20 betrifft, haben die USA in diesen Gruppen die Führungsrolle. Wie heuchlerisch die Anti-Bargeld-Agenda der G20 ist, erkennt man schon daran, dass die USA mit Delaware eines der wichtigsten Geldwäschezentren weltweit betreiben.
Was motiviert Bill Gates, die Abschaffung von Bargeld zu forcieren?
Norbert Häring: Das Interesse von Microsoft und der ganzen IT-Branche geht natürlich in Richtung Digitalisierung von allem. Darüber hinaus ist Gates ein Patriot und als ehemaliger Chef von Microsoft, einem der ganz wichtigen Kooperationspartner der US-Geheimdienste, aufs Engste mit der entsprechenden Community vernetzt.
Sie beschreiben Handy-Bezahlsysteme in Afrika, wie z.B. das von Vodafone / Safaricom betriebene System "M-Pesa". Größere Guthabentransfers / Zahlungen kosten bis zu 11 Prozent Gebühren, Geldtransfers an Nichtkunden bis zu 44 Prozent. Ist das ein Vorgeschmack, was auf uns zukommt, wenn es kein Bargeld mehr gibt?
Norbert Häring: Der Richtung nach ja, wenn auch wohl nicht so extrem. Bei M-Pesa wurde die Monopolstellung von Safaricom geschaffen, um ein Vorzeigemodell dafür zu bekommen, dass man in Afrika mit dem Angebot mobilen Bezahlens viel Geld verdienen kann. Von Kenia aus haben Safaricom und andere unter Konkurrenzbedingungen das Angebot in andere Länder getragen.
Dort ist es meist viel billiger. Aber: Es gibt in der Digitalwirtschaft eine sehr starke Tendenz zur Konzentration und Monopolisierung. Wenn das eine Weile seinen Lauf nimmt, und Bargeld als Konkurrenzprodukt abgeschafft ist, muss man mit sehr deutlichen Kostenerhöhungen für den digitalen Zahlungsverkehr rechnen.
Negativzinsen
Wie kann ein Normalbürger Negativzinsen auf sein Bankkonto umgehen, wenn es kein Bargeld mehr gibt?
Norbert Häring: In der Gesamtheit der Kunden gar nicht. Der Einzelne kann zwar Gold oder etwas anderes kaufen. Aber dann landen die Guthaben eben auf dem Konto des Verkäufers. Außerdem werden die Preise von Gold, Aktien und Immobilien nach oben getrieben, wenn viele Anleger diese massenhaft kaufen wollen, um Negativzinsen zu vermeiden. Sie riskieren dann Wertverluste statt Negativzinsen, falls die Preisblase platzen sollte.
Wie wird die griechische Bevölkerung zum Umstieg auf Bargeld "motiviert" - und ist das ein Weg, der auch auf die Bundesbürger zukommt?
Norbert Häring: Auf vielfältige Weise. Wer seine Quote für Digitalzahlungen nicht erfüllt, muss eine Strafsteuer zahlen. Händler werden gesetzlich gezwungen, Verträge mit Kreditkartenfirmen abzuschließen. Es ist verboten, die Provisionen der Kartenunternehmen den kartenzahlenden Kundinnen und Kunden zu belasten.
Es gibt ein Barzahlungsobergrenze von 500 Euro. Vieles darf gar nicht mehr bar bezahlt werden oder man kann es nicht von der Steuer absetzen, wenn man es gegen Quittung bar bezahlt hat. Bargeld, das man zuhause aufbewahrt, ist anmeldepflichtig und kann kontrolliert werden. Viele dieser Regeln, wie zum Beispiel das Kostenumlegungsverbot und die Pflicht, Verträge mit Kartenfirmen abzuschließen, sind inzwischen auch in Deutschland oder der ganzen EU eingeführt worden. Einiges mehr ist geplant.
Welche Parteien im Deutschen Bundestag sind für eine Abschaffung des Bargelds?
Norbert Häring: Keine. Jedenfalls würde es keine so sagen. Offiziell geht es immer nur darum, Geldwäsche und Steuerhinterziehung schwerer zu machen, indem man Begrenzungen für die Bargeldnutzung einführt. Das wird von den meisten Parteien unterstützt. Meines Wissens hat aber kaum eine Partei eine ausformulierte Position zum Bargeldthema. Ich habe mich mit den Details der Parteipositionen allerdings nicht intensiv befasst, weil die Parlamente bei dieser Kampagne weit am Rand stehen.
Die Clubs wie G20, FATF und Standardsetzer bei der BIZ und auch die G20 selbst, sind ja gerade deshalb "informell", damit sie sich nicht nach Vorgaben der Parlamente richten müssen und diesen gegenüber keine Rechenschaft ablegen müssen. Die Kampagne ist international und wird an den Parlamenten vorbei betrieben. Allerdings machen sich die Parteien zu passiven Komplizen, indem sie das tolerieren und oft sogar gutheißen. Das würde ich gern durch Aufklärung der Wählerinnen und Wähler ändern.
Kryptowährungen
Könnten Kryptowährungen ein Ausweg für Menschen sein, ihre Privatsphäre zu wahren, wenn Bargeld abgeschafft wird?
Norbert Häring: Ich denke nicht. Henning Diedrich schreibt in seinem Buch "Ethereum" zum Beispiel, dass die NSA das Patent für Formeln der Ethereum-Blockchain hält. Ethereum ist hinter Bitcoin die meistgenutzte Kryptowährung. Wer Bitcoin entwickelt hat, weiß man bis heute nicht. Niemand kann sagen, ob es nicht ein großer Geheimdienst war, der Bitcoin nun als Honigtopf nutzt.
Das Establishment von Wall-Street und Silicon-Valley ist sehr aktiv bei der Finanzierung und Entwicklung von Kryptowährungen und Blockchain-Anwendungen. Die Geheimdienste sagen schon lange, die Anonymität der Nutzer könnten sie knacken. Es ist ja auch nur eine Pseudonymität. Man hat eine Nummer als Pseudonym. Wird die Verbindung zur tatsächlichen Person hergestellt, ist alles gespeichert und liegt offen da.
Sie spannen in Ihrem Buch erst einen dystopischen Bogen, um dann im Kapitel "Wirksame Wege des Widerstands" Hoffnung zu machen, dass sich die Bargeldabschaffung in der EU verhindern lässt. Könnten Sie erklären, welche Rolle dabei Artikel 128 des "Vertrags über die Arbeitsweise der EU" spielt?
Norbert Häring: In diesem Artikel und in §14 Bundesbankgesetz ist festgelegt, dass Euro-Banknoten den Status eines unbeschränkten gesetzlichen Zahlungsmittels haben. Nach dem, was die EU-Kommission als Bedeutung von "gesetzlichem Zahlungsmittel" aufgeschrieben hat, und was allgemeine Rechtsauffassung in der Literatur ist, bedeutet das, dass öffentliche Stellen Bargeld akzeptieren müssen, und dass man niemand die Barzahlung verbieten kann. Meine Klage in dieser Richtung ist inzwischen beim Bundesverwaltungsgericht.
Das Problem für die Bargeldabschaffer ist, dass man den EU-Vertrag praktisch nicht ändern kann, weil in manchen Ländern dazu Volksabstimmungen nötig wären. Und das Volk stimmt eigentlich immer mit nein, wenn es gefragt wird, weil sich die EU so einen schlechten Ruf erworben hat. Bisher gingen die Bargeldbeschränkungen in der EU durch, weil weder die Europäische Zentralbank noch die EU-Kommission Einwände erhoben. Nach dem Prinzip: Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter. Das will ich mit meiner Klage ändern.
Auch wenn man juristisch das Bargeld erhalten kann: Wie ist Ihre Prognose für die Zukunft? Wird die Welt frei nach Goethe mit "Halb zog sie ihn, halb sank er hin, und ward nicht mehr gesehn" den Weg der Schweden gehen? Werden sich die Bargeldgegner mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche in der Praxis durchsetzen?
Norbert Häring: Nach gegenwärtigen Trends müsste man davon ausgehen. Ich kämpfe aber dafür, dass es anders kommt. Wenn es weithin bekannt wird, dass hier keine Entwicklung stattfindet, sondern eine Kampagne geführt wird, bin ich zuversichtlich, dass es eine starke Gegenbewegung geben wird. Den Menschen wird zunehmend bewusst, wie weit die Überwachung bereits fortgeschritten ist. Daher schätzen sie Bargeldnutzung als eine der letzten Oasen der Privatheit immer mehr, und werden sie noch mehr schätzen lernen.
Norbert Häring (Jahrgang 1963) ist Buchautor, Blogger, Volkswirt und Wirtschaftsjournalist beim "Handelsblatt". Sein neues Buch Schönes neues Geld erschien am 16.08.2018 im campus Verlag.
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