Scholz: Geopolitik der EU und neuer Kalter Krieg zwischen China und USA
Seite 3: Nationalstaatliche Souveränität als Hindernis
- Scholz: Geopolitik der EU und neuer Kalter Krieg zwischen China und USA
- Völkerrecht für Auserwählte
- Nationalstaatliche Souveränität als Hindernis
- Auf einer Seite lesen
Was Friedensverhandlungen mit Putin angeht, spricht sich Scholz konsequenterweise für eine absolute Kompromisslosigkeit aus.
Kein "Diktatfrieden", bei dem Russland Bedingungen stellt, lautet die Parole. Ganz offensichtlich besteht hier deutsch-französischer Gesprächsbedarf, denn Emmanuel Macron hatte mit seinen Sicherheitsgarantien für Russland jüngst andere Töne angeschlagen.
Die neue Säbelrassel-Doktrin der EU, die Deutschland hingegen gemeinsam mit Frankreich verfolgt, soll sich auch in einer neuen "Nationalen Sicherheitsstrategie" niederschlagen, "die wir in wenigen Monaten beschließen werden", schreibt Scholz.
Neben der militärischen Geschlossenheit nach Außen propagiert der Bundeskanzler auch eine politische Geschlossenheit nach Innen. Den Intergouvernementalisten und denjenigen, die der EU schon jetzt ein Demokratiedefizit nachsagen, werden seine Pläne nicht gefallen:
[…] schnelle Entscheidungen [sind]eine wesentliche Voraussetzung für Erfolg. Aus diesem Grund hat Deutschland vorgeschlagen, in Bereichen, in denen Entscheidungen derzeit einstimmig beschlossen werden müssen, die Praxis des Mehrheitsbeschlusses schrittweise auszubauen, beispielsweise in der EU-Außenpolitik und bei Steuerfragen.
Blockaden wie solche aus Ungarn oder vom EU-Anwärter Serbien sind dann Geschichte. Doch genug davon. Olaf Scholz ist ja laut Artikel angetreten, um den Kalten Krieg zu vermeiden.
"Der dritte Weltkrieg beginnt mit dem Vergessen" – und Scholz vergisst gerne
Will Scholz in der China-Frage die gleiche Konfrontationskarte spielen? Ja und nein. Scholz bedient sich hier einer Taktik, die auch bei peinlichen Fragen zu geheimen Absprachen mit Bankern oder unterbliebener Finanzfahndung bisher wunderbar funktioniert: Einfach "vergessen" – oder bestreiten, dass es das Problem gibt:
Viele […] sehen einen neuen Kalten Krieg heraufziehen, der die Vereinigten Staaten und China als Gegner in Stellung bringt. Ich teile diese Ansicht nicht. […] Ich bin vielmehr der Meinung, dass wir derzeit das Ende einer außergewöhnlichen Phase der Globalisierung erleben […] in der die Vereinigten Staaten zur bestimmenden Weltmacht wurden – eine Rolle, die sie auch im 21. Jahrhundert beibehalten werden. […] Chinas Aufstieg ist weder eine Rechtfertigung für die Isolation Pekings noch für eine Einschränkung der Zusammenarbeit.
Kommen Sie da argumentativ noch mit? Während die USA weiterhin den Hegemon spielen sollen in einer Welt, die ganz plötzlich aus den Fugen geraten ist, "rechtfertigt Chinas wachsende Macht […] keine Hegemonialansprüche in Asien und darüber hinaus". Und es wird noch widersprüchlicher.
Denn Scholz wirbt für einen "Dialog und Kooperation auch außerhalb der demokratischen Komfortzone" und zitiert als Vorbild die neue Nationale Sicherheitsstrategie der USA. Diejenige Sicherheitsstrategie, in der China als "einziger Wettbewerber […] mit der Fähigkeit zur Neugestaltung der internationalen Weltordnung" – und damit als potenzielle Bedrohung – benannt wird.
Gleichzeitig aber könne China "ein gefährliches Russland" im Zaum halten – ein Land, bei dem Scholz and Friends "Dialog und Kooperation" von vorneweg ausschließen. "Kein Land sollte der Hinterhof eines anderen sein", schreibt der Kanzler und zitiert damit auch die deutsche Außenministerin.
Der Satz bezieht sich natürlich auf Russlands Doktrin gegenüber einer "militärischen Präsenz an der Nato-Ostflanke", zugleich aber auch auf China und den brodelnden Konflikt um den Inselstaat Taiwan. Wie war das nochmal mit Kuba 1962?
"World War III begins with forgetting", lautet der Titel eines kürzlich erschienenen New York Times-Beitrags des Politologen Stephen Wertheim vom Carnegie Endowment for International Peace. Und der Autor bietet auch eine Erklärung an, warum nicht nur unser Bundeskanzler so vergesslich ist:
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Generationswechsel wurde der Zweite Weltkrieg als moralischer Triumph dargestellt und nicht mehr als warnende Erzählung. […] Die Präsidenten begannen, sich auf den Zweiten Weltkrieg zu berufen, um den Kampf zu verherrlichen und die globale Vorherrschaft der USA zu rechtfertigen.
Die Vorherrschaft, die für unseren Bundeskanzler im 21. Jahrhundert bereits in Stein gemeißelt ist. Und von der manche sagen, sie sei es, der Scholz seine "unerschüttliche Unterstützung" zugesagt habe.