Scholz: Geopolitik der EU und neuer Kalter Krieg zwischen China und USA

Olaf Scholz, 2022. Bild: Nebojša Tejič / Vlada Republike Slovenije / Public Domain Mark 1.0

Der (geschichts-)vergessliche Kanzler über eine multipolare Weltordnung mit den USA an der Spitze, Nato-Säbelrasseln für den Weltfrieden und andere semantische Spagate. Eine Exegese.

Nachdem ein US-chinesischer Think Tank aus Ökonomen, Journalisten und Juristen Anfang September in Foreign Affairs sein Konzept für eine "bessere" Weltordnung vorlegte (Telepolis berichtete), hat sich Anfang Dezember auch der deutsche Bundeskanzler im renommierten Politmagazin zu Wort gemeldet.

Hierzulande fand der Artikel mit dem Titel "Die globale Zeitenwende – Wie ein neuer Kalter Krieg in einer multipolaren Ära vermieden werden kann" allerdings wenig Beachtung. Die müsste er aber haben.

Olaf Scholz (SPD) übertraf die Autoren der "US-China Trade Policy Working Group" nicht nur um Längen Text, sondern auch darin, seine Argumente in eine ambivalente Rhetorik zu kleiden. Teilweise so ambivalent und formlos, dass er seiner Vorgängerin und Ratgeberin Angela Merkel Konkurrenz machte. Vor manchen Parallelen verschließen ja selbst die großen deutschen Medien mittlerweile nicht mehr die Augen.

Was kaum zu glauben ist: Wie im Text des transpazifischen Think Tanks finden sich auch bei Scholz versteckte Sticheleien, die das herrschende transatlantische Narrativ herausfordern und wagemutige Kritik am US-amerikanischen Hegemon üben.

So kritisiert Scholz die Großmacht für eine geopolitisch motivierte Interessenpolitik in der Ukraine, verurteilt aufs Schärfste ihre Aufweichung der Atomwaffendoktrin im Angesicht eines drohenden Dritten Weltkriegs und wirft ihr schließlich noch die menschenverachtenden Mordpläne der Central Intelligence Agency (CIA) an Julian Assange vor, der ja lediglich Kriegsverbrechen aufgedeckt habe, die nun endlich in Den Haag verurteilt werden müssten.

Glauben Sie nicht? Sollten Sie auch nicht. Denn diese Themen erwähnte Scholz wenig überraschend mit keinem Wort.

Geschichtsvergessene Geschichten

Eigentlich ist es eine Art Trauerrede. Denn Scholz beerdigt – mit Merkelschem Pathos – die "widerstandsfähige Weltordnung", die sich mit dem Fall der Berliner Mauer ankündigt und eine Zeit des Friedens eingeläutet habe. Damals habe Europa endlich "zusammenwachsen" und vor allem abrüsten können, weil die Länder des ehemaligen Ostblocks den Warschauer Pakt verließen und bald in die Nato eintraten.

Alles wäre wohl perfekt gewesen, hätte ein "imperialistisches" und "revisionistisches" Russland unter Wladimir Putin der Friedensordnung nicht ein schlagartiges Ende bereitet:

"Anstatt den friedlichen Sturz der kommunistischen Herrschaft als Chance für mehr Freiheit und Demokratie zu begreifen, bezeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin diesen [2005] als 'größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts'."

Werden sich die Leser von Foreign Affairs da auch ans Kinn fassen und an die Nato-Osterweiterung denken? Deren Unterbleiben hatten die Sowjets damals schließlich zur Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht und entsprechende Zusicherungen erhalten – auch wenn das in den einseitigen Darstellungen seit der Zeitenwende gerne ignoriert wird. Ebenso wie die Zusicherungen selbst ignoriert wurden.

George H. W. Bush, Ex-Chef der für zahlreiche Regime-Changes verantwortlichen CIA, der in Scholz' Text eher als Europa wohlgesinnter Befreier auftritt, soll hinsichtlich der sowjetischen Konditionen übrigens damals zu Helmut Kohl gesagt haben "Zur Hölle mit ihnen! Wir haben gesiegt, nicht die."

Aber Scholz erzählt eine andere Geschichte.

Eben die des Revisionisten Putin, der sich schon 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz erdreistete, "die regelbasierte internationale Ordnung als bloßes Werkzeug amerikanischer Vorherrschaft [zu] brandmark[en]". Die regelbasierte internationale Ordnung, der Scholz im Artikel seine "unerschütterliche Unterstützung" zusichert.

Dass Putin mit seinem Urteil allerdings bei Weitem nicht alleine ist, und sogar Autoren der Zeitung, in der immerhin Scholz' Beitrag erscheint, seine Meinung teilen, hat Telepolis im eingangs genannten Text herausgearbeitet.

Aber auch das passt eben nicht zu der Geschichte, die Scholz erzählt.