Kann es eine Rückkehr zur Kernkraft in Deutschland geben?
Während sich die Energiewirtschaft von der Kernkraft verabschiedet hat, fordert die Opposition in Berlin ein Zurück zur zentralen Kernkraft.
Die deutsche Stromwirtschaft war von der Kernkraftnutzung aus technischer Sicht nie begeistert. Sie folgte dann jedoch der Politik, welche einen Großteil der wirtschaftlichen Risiken übernahm, weil sie sich einen Vorteil davon versprach, wenn Westdeutschland sein schon vor der Gründung der Bundesrepublik erworbenes kernkrafttechnisches Wissen weiter nutzen könnte.
Die Politik unter dem damaligen Atomminister Franz-Josef Strauß setzte auf diese Option. So wurde nur ein kleiner Teil der denkbaren Havarierisiken über die gewerbliche Versicherungswirtschaft sowie über eine Pooling-Vereinbarung aller Kernkraftwerksbetreiber abgesichert. Der Rest war Sache der Steuerzahler.
Wankelmut der deutschen Atompolitik
In den 1970er-Jahren, als die Bonner Politik noch immer einen weiteren Ausbau der Kernkraft als erstrebenswert erachtete, kam in der Bevölkerung der erste Widerstand auf und der Plan der damaligen Filbinger-Regierung in Stuttgart ein Kernkraftwerk in Wyhl am Kaiserstuhl zu errichten, scheiterte am Widerstand der südbadischen Bevölkerung.
Im Jahr 2000 handelte die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder mit der Energiewirtschaft den Atomkonsens aus, in dem die Grundlagen eines Ausstiegs aus der Kernenergie vereinbart wurden. Im Juni 2001 wurde dieser Vertrag unterzeichnet.
Ein Jahr später, im April 2002, beschloss der Bundestag das "Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität", in dem erstmals der Ausstieg aus der Atomenergie entschieden wurde. […]
Nach der Bundestagswahl 2009 bildeten Union und FDP die Bundesregierung. Ein zentrales energiepolitisches Projekt der schwarz-gelben Koalition unter Angela Merkel war zunächst die Laufzeitverlängerung für die noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke. Die Regellaufzeit für Kernkraftwerke wurde im Jahr 2010 weiter verlängert, sodass die letzten Meiler wohl erst 2040 vom Netz gegangen wären.
Bundeszentrale für politische Bildung
Doch diese Entscheidung hatte nur kurzen Bestand. Unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011 wurde sie gekippt und am 30. Juni 2011 beschloss der Bundestag, dass die letzten Reaktoren in Deutschland bis Ende 2022 abgeschaltet werden sollten. Die drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland durften dann auf politischen Druck in einem befristeten Streckbetrieb noch bis zum 15. April 2023 weiterbetrieben werden.
Die Energiewirtschaft hatte sich mit dem letzten von der Politik veranlassen Ausstieg dann von der Zukunft der Kernkraft in Deutschland verabschiedet und den Nachlass der Kernkraftnutzung der Politik überlassen, die jetzt beabsichtigt, sich bis 2050 um ein Endlager für die Hinterlassenschaften der ehemals angesagten deutschen Stromversorgung zu kümmern. Bis zu diesem Zeitpunkt muss dann regelmäßig die Betriebserlaubnis für die Castor-Behälter in den Zwischenlagern verlängert werden.
Während die letzten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet wurden und die Kernkraftwerksbauer ihren Abschied von der ehemaligen Zukunftstechnologie in Deutschland verkündet haben und nur noch zusammen mit Rosatom in Russland im Sektor Kernkraft arbeiten wollen, suchen die ehemaligen Zulieferbetriebe der Kraftwerksbetreiber inzwischen nach neuen Finanzquellen.
So fand man für die Firma Nukem, welche zuvor an Rosatom verkauft wurde und die zu den letzten kerntechnischen Betrieben in Deutschland zählten, einen Weg, sie kostengünstig von Rosatom zu lösen. Die Reste der früheren RWE-Tochter Nukem will man derzeit wohl über ein Insolvenzverfahren auf ein neues Fundament stellen.
Wiederauferstehung der Kernkraft in Deutschland?
Die politische Opposition in Deutschland sieht jetzt die Gelegenheit gekommen, für einen Wiedereinstieg in die Kernkraft zu trommeln. Während die Energiewirtschaft auf den Bau neuer Gaskraftwerke setzt und vor einer neuen Atomdebatte warnt, fordert die CDU/CSU jetzt eine Rückkehr zur Kernkraft in Deutschland und die wie immer "technologieoffene" FDP stimmt dieser Forderung zu, obwohl sie damit in Opposition zur Regierungsmeinung und den Plänen der Energiewirtschaft steht.
Auch die AfD fordert eine Rückkehr zur Kernkraft:
Die AfD-Fraktion will betriebsfähige Kernkraftwerke reaktivieren und Kernenergie ausbauen. In ihrem Antrag (20/9155) mit dem Titel "Für die Wiederherstellung einer kostengünstigen, sicheren und souveränen Energieversorgung" fordern die AfD-Abgeordneten die Bundesregierung auf, die jeweils zuständigen Behörden der Länder anzuweisen, die Genehmigungsverfahren zum Rückbau der am 15. April 2023 und am 31. Dezember 2021 abgeschalteten Reaktorblöcke sowie der abgeschalteten Anlagen Philippsburg 2 sowie Gundremmingen B und C unverzüglich zu stoppen beziehungsweise, soweit bereits erteilt, zu widerrufen und für eine schnellstmögliche Wiederinbetriebnahme zu sorgen.
Deutscher Bundestag
Wer die Kraftwerke künftig mit welchem Personal betreiben soll, wird derzeit ebenso wenig diskutiert wie die mögliche Übernahme des Betriebsrisikos. Wolfram König, bis Anfang 2024 Chef des Bundesamts für Sicherheit der nuklearen Entsorgung, stellte Anfang Januar im Zusammenhang mir der neu aufgeflammten Atomdebatte fest:
Fakt ist, dass sich der Bau von Atomkraftwerken sowohl zeitlich als auch ökonomisch in der Praxis völlig anders darstellt, als es versprochen wird.