Schon wieder ein humanitärer Krieg?

Berlin und Washington verstärken den Druck auf Sudan

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Paradoxe Welt: Kaum finden Bürgerkriegsparteien eine Friedenslösung - schon fordert der Westen eine Intervention und gießt damit wieder Öl ins Feuer. Diese Ultima irratio des Neoimperialismus, vielfach erprobt etwa während der neunziger Jahre in Bosnien, ist derzeit auch im Sudan zu studieren. Dort verständigten sich Ende Mai die Zentralregierung in Khartum und die Rebellen im Süden des Landes (SPLA) nach 21jähriger blutiger Fehde auf einen tragfähigen Kompromiss: Die Macht im Staat und, darum geht es im Kern, die Einkünfte aus der Ölförderung sollen demnach einvernehmlich aufgeteilt werden.

Trotzdem reißen die schrille Rufe nach Einmischung nicht ab, wie so häufig geben Washington und Berlin den Ton an. Wenn die Regierung in Khartum nicht pariere, müsse der UN-Sicherheitsrat "innerhalb von drei Wochen ... den Einsatz von Militärgewalt anordnen", forderte die International Crisis Group (ICG), ein Balkan-erfahrener Think Tank unter der Patronage des US-Milliardärs Soros schon im Mai.

Heftige Regenfälle behindern bereits jetzt die Versorgung der Flüchtlinge im Ost-Tschad. Foto: UNHCR/C.Sanders

Auch Bundesentwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sprach sich schon für die Entsendung einer "internationalen Friedenstruppe" aus, einstweilen begnügt sie sich mit der Forderung nach Wirtschaftssanktionen. Außenminister Joseph Fischer, seit 1999 im Kosovo auf humanitären Krieg abonniert, forderte am 5. Juli die Entwaffnung regierungsnaher Milizen und ließ ansonsten offen, wie das bei weiterer Renitenz des Regimes in Khartum durchgesetzt werden solle.

Mittlerweile sind 300 Blauhelme der Afrikanischen Union vor Ort eingetroffen, darunter Soldaten aus Ruanda - ein Land, dessen Truppen seit vielen Jahren den Nachbarstaat Kongo plündern und destabilisieren. Alle genannten Optionen werden übrigens vom UN-Sicherheitsrat nicht unterstützt, weil Russland und China durch solche Maßnahmen die Souveränität des Sudan bedroht sehen und deutlich gemacht haben, dass sie gegebenenfalls ihr Veto einlegen würden.

Einseitige Schuldzuweisungen

Anlass für die Drohungen aus Washington und Berlin ist die Situation im Westen des Landes, wo auch nach dem Friedensabkommen mit den Südrebellen weiter gekämpft wird. In der Provinz Darfur - dort leben sieben der insgesamt 31 Millionen Sudanesen - gibt es einen Bürgerkrieg zwischen afrikanischen und arabischen Bevölkerungsgruppen. Das Elend der Flüchtlinge wird sich durch die in diesen Tagen beginnende Regenzeit erheblich verschlimmern, weil die Straßen dann für Hilfstransporte unpassierbar werden. 100.000 Menschen drohten binnen kurzem in der Krisenregion zu verhungern, prognostiziert die amerikanische Organisation USAID, die Bundesregierung spricht gar von 350.000.

Das Problem sind indes nicht die schwer überprüfbaren Zahlen - schon 10.000 Tote wären eine furchtbare Tragödie -, sondern die einseitige Schuldzuweisung. Verantwortlich für die Eskalation sollen allein arabische Reitermilizen sein, die sogenannten Janjawid, die mit Unterstützung von Regierungstruppen gegen afrikanische Dörfer vorgingen. 30.000 Opfer seien das Resultat ihrer Angriffe in den letzten Monaten gewesen - so viele wollen jedenfalls die Experten der Nachrichtenagentur Reuters gezählt haben. Folgerichtig sprechen die Befürworter der Intervention, auch dies ein vom Balkan bekanntes Propagandamuster, nicht von einem Bürgerkrieg, sondern von "ethnischer Säuberung" (AA-Staatssekretärin Kerstin Müller) und "Vertreibungskrieg" (FAZ).

Eines von 8 UNHCR-Flüchtlingslager im Tschad. Foto: UNHCR/H. Caux

Bisweilen ist allerdings einige stilistische Kreativität erforderlich, um die politisch-korrekten Wortkeulen trotz der unklaren Faktenlage zu schwingen: So sprach UN-Generalsekretär Kofi Annan Ende Juni von einer Situation "an der Grenze der ethnischen Säuberung", und auch US-Außenminister Colin Powell wollte sich nicht festlegen, ob der "völkerrechtliche Tatbestand des Völkermords" bereits erfüllt sein. Von solchen Spitzfindigkeiten hält Christa Nickels wenig: Obwohl die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte auf einer Delegationsreise im Mai gar nicht bis in die Krisenregion gelangte, wusste sie zu berichten, dass dort "im Ergebnis Völkermord" stattfinde.

Den ersten Preis für gelungene Public Relation müsste aber ein Sprecher der Darfur-Rebellen bekommen, der einem FAZ-Reporter den Satz in den Laptop diktierte: "Das ist unser Srebrenica." Da hat sich einer gut gemerkt, mit welchen Schlüsselwörtern der europäische Interventionsreflex stimuliert werden muss.

Im Unterschied zu solchen selbsternannten Menschenrechtlern haben sich viele humanitäre Aktivisten gegen eine Intervention ausgesprochen. Sogenannte Friedenstruppen hätten im Sudan "nichts zu suchen", sagte Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Welthungerhilfe. (FAZ, 27.05.2004) Die humanitäre Lage in Darfur sei "definitiv besser" geworden, erklärt auch Jan Egeland (UN Under-Secretary-General for Humanitarian Affairs), einer der frühesten Warner vor der drohenden Katastrophe, Anfang Juli nach einem Besuch in dem Bürgerkriegsgebiet. Dies betreffe auch den Zugang der Hilfsorganisationen in den Sudan. Hingegen fehle es an Hilfsgütern und Transportmitteln.

"Ich bin überrascht, dass viele Länder mehr Resolutionen und Erklärungen als Ausrüstung für unsere Maßnahmen abgeben", so Egeland. Die Vereinigten Staaten unterstützen die Hilfsmaßnahmen mit 62 Millionen US-Dollar, Großbritannien mit elf Millionen, Deutschland - die stärkste Wirtschaftsmacht der EU - mit lediglich 7,5 Millionen.

Die Rolle der Rebellen

Auf Unverständnis stößt bei Egeland auch die einseitige Schuldzuweisung an die arabischen Reitermilizen, obwohl er diese als "Monster" kritisiert. "Die selben Stämme sind vertreten sowohl unter denjenigen, die andere vertreiben, als auch unter denjenigen, die vertrieben werden." An den Gewalttaten in Darfur seien alle Bürgerkriegsparteien beteiligt. Egeland nennt konkret: "Die so genannten Janjawid-Milizen, organisierte Kriminelle, zu viele Arbeitslose mit zu vielen Gewehren, Regierungstruppen und mit Bestimmtheit auch Streitkräfte der Aufständischen."

Unbestritten ist die Tatsache, dass der Ausbruch der Kämpfe nicht auf die Regierung und die Janjawid zurückgeht, sondern auf die Rebellen. Die verbündeten Organisationen Sudan Liberation Army (SLA) und Justice and Equality Movement (JEM) begannen im März 2003 einen Aufstand, und zwar "just zu dem Zeitpunkt, als die Friedensverhandlungen zwischen Khartum und dem Süden ins Stocken geraten waren". Durch die Eröffnung dieser zweiten Front wollten die mit der SLA kooperierenden Südrebellen die Regierung "zu schnellen Konzessionen ... bewegen", konnte man der FAZ am 28. Mai entnehmen.

Dass die Versorgung im Krisengebiet katastrophal sei, liege nicht nur an der "Obstruktionspolitik Khartums", sondern auch an der Haltung von SLA und JEM , "die sich weigerten, 'Hilfe' zu akzeptieren", weil diese angeblich von der Regierung "manipuliert" werde, musste dasselbe Blatt am 6. Juli einräumen. Ebenfalls unbestritten ist, dass die JEM von dem Extremfundamentalisten Hassan al-Turabi unterstützt werden - dem Gastgeber und sudanischen Statthalter von Osama bin Laden Anfang der neunziger Jahre. Zwar ist auch die Regierung in Khartum unter fundamentalistischem Einfluss, immerhin entmachtete Präsident Omar al Baschir aber 1999 Turabi, der nun auf ein Comeback mit Hilfe der JEM setzt).

Konflikte zwischen Ethnien und Religionsgruppen gibt es im Sudan seit langem. Im Falle Darfurs wurden sie durch den ökologischen Raubbau verschärft, der die nomadisierenden arabischen Stämme vor der vordringenden Wüste nach Süden ausweichen ließ, wo sie auf die sesshaften afrikanischen Stämme stießen. Zweifelsohne hat der fundamentalistische Umsturz in Khartum im Jahre 1989 die Beherrschbarkeit dieses und anderer Konflikte sehr erschwert, weil etwa der Pragmatismus der traditionellen Dorfgerichte durch dogmatisches islamistisches Recht ersetzt wurden. Besonders die Christen und die Anhänger von Naturreligionen waren mit der Einführung der Scharia von extremer Repression bedroht. Doch erstens hat sich das Regime in den letzten Jahren eindeutig gemäßigt. Und zweitens war die Brutalität der Kriegführung - bei den Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Südrebellen starben seit 1983 schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen - undenkbar ohne die Einmischung ausländischer Ölkonzerne, die vor allem die Aufständischen unterstützten.

Wie stark der Einfluss der westlichen Energiekonzerne auf die Ereignisse im ölreichen Darfur ist, kann auf Grundlage der vorliegenden Fakten nicht eingeschätzt werden. Fakt ist nur die Unterstützung der SLA aus dem benachbarten Tschad. Aber sicher ist, dass eine Intervention einer selbsternannten "internationalen Staatengemeinschaft" die Lage nicht verbessern, sondern das ganze Land ins Chaos stürzen würde. Sinnvoll wäre hingegen Hilfe für die Regierung bei der Entwaffnung nicht nur der Janjawid-Milizen, sondern auch aller anderen bewaffneten Gruppen, wozu jetzt einige tausend Sicherheitskräfte in die Krisenregion entsandt werden sollen.

Und was die zweifellos drohende Hungerkatastrophe angeht, gilt für den Sudan wie für den Rest des Globus: Eine inhumane Weltwirtschaftsordnung kann nicht durch humanitäre Kriegseinsätze verbessert werden. "Brot für die Welt" und "Bomben für den Frieden" ist ein Widerspruch.