Schritt für Schritt in den Krieg

US-Kongress macht Druck für eine humanitäre Intervention im Sudan

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In diesen Tagen berät der UN-Sicherheitsrat beinahe in Permanenz über die Situation im Sudan. Zusätzlicher Druck auf das Gremium kam am Donnerstag aus den USA. Beide Kammern des Kongresses verabschiedeten einstimmig eine Resolution, in welcher die Situation in der sudanesischen Westprovinz Darfur als Völkermord deklariert wird. Wechselseitig warfen sich die Abgeordneten in moralische Positur. "Während die Welt debattiert, sterben Menschen in Darfur", sagte der republikanische Senator Sam Brownback (Kansas): "Wir können jetzt Leben retten statt hinterher darüber zu lamentieren, dass wir etwas hätten unternehmen sollen."

Sudanesische Flüchtlinge im Tschad. Foto: UNHCR/H.Caux

Der demokratische Minderheitsführer im Senat Tom Daschle (South Dakota) sagte, die amerikanische Regierung, die Staatengemeinschaft und vor allem die sudanesische Regierung, die "den Völkermord duldet, wenn nicht gar unterstützt", müssten diese wichtige Botschaft des Kongresses hören. Die Regierung Bush wird in der Resolution aufgefordert, in der UN Sanktionen durchzusetzen sowie "ernsthaft eine multilaterale oder sogar unilaterale Intervention zu erwägen."

Salopp geht der Kongressbeschluss über den bereits erreichten Stand der Kooperation zwischen der sudanesischen Regierung und der UN hinweg. Am 3. Juli war zwischen Khartum und UNO-Generalsekretär Kofi Annan bei dessen Besuch vereinbart worden, dass die Zentralregierung die arabischen Reitermilizen Dschandschawid sowie "andere bewaffnete gesetzlose Gruppen" entwaffnet. Internationale Helfer könnten sich frei bewegen, versprach Khartum in der Erklärung. Die Beschlüsse sollten durch einen gemeinsamen Ausschuss von sudanesischer Regierung und eines UN-Sonderbeauftragten überwacht werden, dafür wurde eine Frist von 90 Tagen anberaumt. Die Resolution des US-Kongresses wurde am 22. Juli verabschiedet - gerade 19 Tage nach der Vereinbarung.

Bereits zur Wochenmitte hatte ein Bericht des Londoner "Guardian" für Aufsehen gesorgt, die britische Regierung plane die Entsendung britischer Truppen nach Sudan. Sie könnten Hilfslieferungen bewachen, Nachschub für afrikanische Schutztruppen organisieren oder Flüchtlingslager gegen marodierende Freischärler schützen. Premier Tony Blair dementierte nur halbherzig und sagte, er schließe "keine Möglichkeit der Hilfe" aus.

Der Aufbau der Drohkulisse wird aus Berlin unterstützt. "Beim Thema Darfur ist Deutschland eines der unbeugsamsten Länder", protestierte der sudanesische Außenminister Mustafa Osman Ismail gegenüber seinem Amtskollegen Joseph ("Joschka") Fischer zur Monatsmitte. Tatsächlich spielten deutsche Politiker zunächst die Vorreiter: Während sich nämlich Colin Powells UN-Resolutionsentwurf ursprünglich damit begnügte, Sanktionen gegenüber den Dschandschawid-Milizen zu fordern, verlangt Bundesentwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul gebetsmühlenartig Sanktionen auch gegenüber der sudanesischen Regierung.

Nach der Resolution des US-Kongresses am Donnerstag hat Außenminister Colin Powell den Resolutionsentwurf übrigens nachgebessert, nun werden auch Sanktionen gegen die Regierung in Khartum gefordert. Frau Wieczorek-Zeul dürfte zufrieden sein. Allerdings ist es nun noch wahrscheinlicher geworden, dass eine solche Resolution durch ein Veto verhindert wird - Moskau und Peking sehen Darfur als inneres Problem des Sudan und in den westlichen Vorstößen einen Eingriff in die Souveränität eines UN-Mitgliedsstaates.

Vor dem Hintergrund einer Blockade des Sicherheitsrates empfiehlt die Resolution des US-Kongresses, "ernsthaft eine multilaterale oder sogar unilaterale Intervention zu erwägen", also ein Vorgehen ohne UN-Mandat. Zurecht fühlt sich der sudanesische Außenminister Ismail an die jüngste Vergangenheit erinnert: "Ich verstehe nicht, warum Großbritannien und die USA systematisch den Druck auf uns erhöhen und nicht den Weg über die Vereinten Nationen gehen. (Dieser) Druck erinnert an den steigenden Druck, der auf den Irak ausgeübt worden ist."

Für den Kooperationswillen der Regierung in Khartum würde sprechen, dass Ismail die Stationierung westlicher Truppen keineswegs rundweg ablehnte: "Wenn (Blair) Truppen nach Darfur schicken möchte, werden wir unsere Einheiten zurückgeben und ihm die Chance geben, die Sicherheit aufrechtzuerhalten. In einem oder zwei Monaten werden diese Truppen von den Menschen in Darfur als Besatzungsmacht angesehen werden, und es wird zu denselben Zwischenfällen kommen wie im Irak."

Auch in ihrem verschärften Resolutionsentwurf für den Sicherheitsrat verwendet die US-Regierung, im Unterschied zur verabschiedeten Resolution des US-Kongresses, den Begriff "Völkermord" nicht. Würde ein UN-Gremium diesen Tatbestand feststellen, ergäbe sich nach der UN-Charta automatisch eine Verpflichtung zum Eingreifen, und diesen Automatismus wollen Bush und Powell offensichtlich vermeiden. Washington gehörte ursprünglich nicht zu den Scharfmachern gegen Khartum, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen hatte sich das streng islamische Regime seit einigen Jahren und verstärkt nach dem 11. September den USA als Verbündeter im Anti-Terror-Krieg angedient und die einheimischen Fundamentalisten entmachtet. Zum anderen hatte Khartum im Mai ein Friedensabkommen mit den christlichen Rebellen im Süden des Landes unterzeichnet. Darin wurde zugestanden, dass der Süden sich nach einer Übergangsfrist vom Sudan abspalten darf - mitsamt den reichen Ölvorkommen.

Die aktuelle Situation ähnelt in etwa der zu Beginn des bosnischen Bürgerkrieges 1992. Auch damals wollte die US-Regierung - Bush senior - eigentlich nichts von einer Intervention wissen, wurde aber dann durch das lautstarke Moralgeschrei aus Deutschland/Europa und - das war entscheidend - von einer wildgewordenen Medienmeute im eigenen Land dazu gedrängt. Auch damals gingen zunächst britische Kampftruppen unter UN-Blauhelmen vor Ort, bevor US-Amerikaner folgten. Auch die deutschen Dementis sind aus den 90er Jahren bekannt. "Niemand bereitet sich in der Bundeswehr auf einen Einsatz im Sudan vor", hieß es am Freitag aus dem Verteidigungsministerium. Die Neue Osnabrücker Zeitung hatte zuvor berichtet, der Stab des I. Deutsch-Niederländischen Korps in Münster stelle sich auf "eine mögliche Führungsaufgabe" im Sudan ein.

Besonnene Stimmen

Im Unterschied zu den selbsternannten Menschenrechtsaposteln haben sich viele humanitäre Aktivisten gegen eine Intervention ausgesprochen. Sogenannte Friedenstruppen hätten im Sudan "nichts zu suchen", sagte Hans-Joachim Preuß, Generalsekretär der Welthungerhilfe. Auch das Deutsche Rote Kreuz (DRK) sprach sich diese Woche gegen einen Militäreinsatz aus. Es sei falsch, "humanitäre und militärische Aufgaben zu vermischen". (FAZ, 23.07.2004)

Die humanitäre Lage in Darfur sei ,"definitiv besser" geworden, erklärt auch Jan Egeland (UN Under-Secretary-General for Humanitarian Affairs), einer der frühesten Warner vor der drohenden Katastrophe, Anfang Juli nach einem Besuch in dem Bürgerkriegsgebiet. Dies betreffe auch den Zugang der Hilfsorganisationen. Hingegen fehle es an Hilfsgütern und Transportmitteln. "Ich bin überrascht, dass viele Länder mehr Resolutionen und Erklärungen als Ausrüstung für unsere Maßnahmen abgeben", so Egeland.

Die Vereinigten Staaten unterstützen die Hilfsmaßnahmen mit 62 Millionen US-Dollar, Großbritannien mit elf Millionen, Deutschland - die stärkste Wirtschaftsmacht der EU - mit lediglich 7,5 Millionen. Auf Unverständnis stößt bei Egeland auch die einseitige Schuldzuweisung an die arabischen Reitermilizen, obwohl auch er diese als "Monster" kritisiert. "Die selben Stämme sind vertreten sowohl unter denjenigen, die andere vertreiben, als auch unter denjenigen, die vertrieben werden." An den Gewalttaten in Darfur seien alle Bürgerkriegsparteien beteiligt. Egeland nennt konkret: "Die so genannten Dschandschawid-Milizen, organisierte Kriminelle, zu viele Arbeitslose mit zu vielen Gewehren, Regierungstruppen und mit Bestimmtheit auch Streitkräfte der Aufständischen."

Im Unterschied zu Wieczorek-Zeul, Fischer und Baum, vertritt im aktuellen Fall ein ausgemachter Konservativer den gesunden Menschenverstand. "Die Hilfsorganisationen können jetzt endlich arbeiten", bilanzierte Hartwig Fischer, Afrikafachmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zur Monatsmitte die verbesserte humanitäre Lage in Darfur. Und: "Bevor wir einen weiteren internationalen Krisenherd schaffen, muss man die Entwaffnung der Milizen durch die sudanesische Regierung versuchen - unter den Augen internationaler Beobachtung." Entwaffnung "der" Milizen und nicht nur einer einzigen Miliz, nämlich der Dschdschawid - das ist auch die offizielle Position von Khartum.